Gehirn & Geschlecht

Unser Gehirn ist formbarer, als lange gedacht. Wenn wir lernen, verändert sich nicht nur die Aktivität der Nervenzellen, sondern auch der Aufbau des Gehirns selbst. Sowohl die graue Substanz (wo die Nervenzellen liegen) als auch die weiße Substanz (die Verbindungen zwischen ihnen) sind anpassungsfähig. Mithilfe moderner bildgebender Verfahren wie der MRT konnte beobachtet werden, dass Lernen tatsächlich messbare strukturelle Veränderungen im Gehirn bewirkt – z. B. ein Wachstum bestimmter Areale oder eine bessere Vernetzung [1]. Diese sogenannte neuronale Plastizität ist nicht nur bei Kindern aktiv, sondern bleibt auch im Erwachsenenalter erhalten und bildet die Grundlage dafür, dass wir uns ein Leben lang weiterentwickeln können.

Die Entwicklung des Gehirns ist besonders in der frühen Kindheit geprägt von einer hohen Plastizität, die es ermöglicht, auf Umweltreize und Erfahrungen flexibel zu reagieren. Studien zeigen, dass die Anzahl der Synapsen – also der Verbindungsstellen zwischen Nervenzellen – vor allem im Alter von etwa 2 bis 10 Jahren relativ konstant bleibt, nachdem sie in den ersten Lebensjahren stark zugenommen hat. Gleichzeitig erreicht das Gehirn bis zum fünften Lebensjahr bereits etwa 90 bis 95 % seiner späteren erwachsenen Masse, was die vergleichsweise großen Köpfe von Kleinkindern erklärt. Mit zunehmendem Alter nimmt die Dynamik der plastischen Veränderungen zwar ab, doch bleibt das Gehirn ein Leben lang anpassungsfähig. Diane Halpern betont in ihrem Überblickswerk aus dem Jahr 2012, dass diese frühe Phase der Entwicklung entscheidend für kognitive Fähigkeiten und Geschlechtsunterschiede ist, da in dieser Zeit genetische Programme und Umweltfaktoren gemeinsam die Grundlage für die spätere Gehirnstruktur und -funktion legen [2].

Geschlechtsdimorphismus des Gehirns

Eine zentrale Rolle im hormonellen Zusammenspiel des Körpers spielt der Hypothalamus. Dieses kleine, aber hochkomplexe Areal im Zwischenhirn steuert über fein abgestimmte Signale an die Hypophyse eine Vielzahl hormoneller Prozesse wie die Stressreaktion, den Stoffwechsel und die Fortpflanzung. Dabei zeigt der Hypothalamus selbst einen deutlichen Sexualdimorphismus. Er ist maßgeblich an der Regulation des Menstruationszyklus beteiligt und kontrolliert bei Männern die Bildung von Spermien. Bestimmte Kerne des Hypothalamus unterscheiden sich nicht nur funktionell, sondern auch strukturell zwischen den Geschlechtern. Diese Unterschiede werden bereits vor der Geburt durch hormonelle Einflüsse wie Testosteron geprägt. Damit liefert der Hypothalamus ein besonders eindrückliches Beispiel dafür, dass sich biologische Geschlechtsunterschiede bereits tief im neuroendokrinen System manifestieren.

Diese Unterschiede spiegeln sich auch in der Anatomie des Gehirns wider. Fortschritte in der bildgebenden Hirnforschung ermöglichen immer tiefere Einblicke in die neurobiologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Eine groß angelegte Studie eines Forschungsteams um Stuart J. Ritchie (2018) untersuchte anhand von über 5000 Erwachsenen aus der britischen UK Biobank, ob und wie sich die Gehirne von Männern und Frauen strukturell unterscheiden [3].

Im Schnitt hatten Männer ein größeres Gesamthirnvolumen (etwa 11 % mehr), was sich auch in fast allen untersuchten Regionen widerspiegelte. Frauen hingegen wiesen in vielen Bereichen eine größere kortikale Dicke auf – ein Maß, das mit neuronaler Dichte und Verarbeitungskapazität in Verbindung gebracht wird. Männer zeigten allgemein mehr Variabilität in vielen Hirnmerkmalen, während Frauen tendenziell gleichmäßiger ausgeprägte Strukturen hatten. So deutlich die Durchschnittswerte voneinander abwichen, so groß waren allerdings auch die individuelle Überlappung. Viele Frauen hatten z. B. ein größeres Hirnvolumen als viele Männer.

Die Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI), ein Verfahren zur Darstellung des Verlaufs von Nervenfasern, offenbart weitere geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gehirnstruktur. Eine vielbeachtete Studie von Ingalhalikar et al. (2014) kam zu dem Ergebnis, dass weibliche Gehirne tendenziell stärker zwischen den Hemisphären vernetzt sind, während bei männlichen Gehirnen die Verbindungen innerhalb einer Hemisphäre dominieren [4]:

Aus Ingalhalikar et al.: Sex differences in the structural
connectome of the human brain (Proc. Natl. Acad. Sci., 2014)

Das Team untersuchte hierzu die Gehirne von 949 Personen (428 männlich, 521 weiblich) im Alter von 8 bis 22 Jahren. Bis etwa zum 13. Lebensjahr waren keine nennenswerten Unterschiede zwischen den Geschlechtern erkennbar. Mit Einsetzen der Pubertät veränderte sich dieses Bild jedoch deutlich. Die Gehirne der weiblichen Probandinnen wiesen eine stärkere Vernetzung insbesondere zwischen der linken und rechten Gehirnhälfte auf, was auf eine zunehmende funktionale Integration hindeutet.

Eine mögliche Erklärung für diesen evolvierten Unterschied ist, dass männliche Gehirne im Durchschnitt größer sind und Verbindungen zwischen den beiden Hemisphären deshalb länger und damit energetisch weniger effizient wären. In den im Schnitt kompakteren Gehirnen von Frauen können solche Querverbindungen hingegen leichter und ökonomischer gebildet werden.

Die Ergebnisse von Ingalhalikar et al. fanden rasch große Beachtung und werden von Fachleuten wie dem Neurowissenschaftler Larry Cahill als wegweisend bewertet. In einem Kommentar von 2014 hebt Cahill hervor, dass die von Ingalhalikar et al. nachgewiesenen Netzwerkunterschiede eine fundamentale geschlechtsspezifische Architektur des Gehirns offenbaren [5]. Diese Unterschiede könnten, so Cahill, nicht als bloße Folge von Größenvariationen interpretiert werden, sondern weisen auf komplementäre funktionale Stärken hin, die tief in der Neurobiologie verankert sind. Er plädiert daher dafür, Geschlecht als zentrale Variable in der Hirnforschung zu berücksichtigen.

Ergänzend zu diesen strukturellen Befunden zeigt eine Studie von Satterthwaite et al. (2015), dass solche Unterschiede bereits im Jugendalter auch funktionelle Auswirkungen haben können [6]. Mithilfe funktioneller MRT-Untersuchungen bei über 800 Personen im Alter von 8 bis 22 Jahren stellten die Forscher fest, dass sich die Konnektivität des Gehirns zwischen den Geschlechtern unterscheidet und diese Unterschiede mit bestimmten kognitiven Leistungen wie räumlichem Denken oder sprachlicher Verarbeitung korrelieren. Die Ergebnisse legen nahe, dass die unterschiedlichen "Verdrahtungen" von männlichen und weiblichen Gehirnen, wie sie von Ingalhalikar et al. beschrieben wurden, bereits in jungen Jahren funktionell wirksam werden und sich in komplementären Stärken niederschlagen.

Die Emotionsverarbeitung verläuft bei den beiden Geschlechtern ebenfalls unterschiedlich. Die Amygdala, ein mandelförmiges Kerngebiet tief im Schläfenlappen, spielt eine zentrale Rolle bei der Verarbeitung von Emotionen, insbesondere bei der Bewertung potenzieller Gefahren. Studien deuten darauf hin, dass Männer und Frauen emotionale Reize teilweise über unterschiedliche neuronale Netzwerke verarbeiten. Forschungen von Schneider et al. (2020) zeigen etwa, dass bei Männern die rechte Amygdala häufiger aktiviert ist, wenn sie negative oder bedrohliche Reize wahrnehmen, während bei Frauen eher die linke Amygdala einbezogen wird [7]. Zudem legen bildgebende Untersuchungen nahe, dass Frauen emotionale Informationen stärker mit Regionen der Hirnrinde, insbesondere dem präfrontalen Kortex, verknüpfen, der für kognitive Bewertung und Emotionskontrolle zuständig ist. Männer hingegen scheinen emotionale Reize häufiger über direktere, reflexartige Schaltkreise zu verarbeiten, in denen die Amygdala eine dominante Rolle spielt. Dies bedeutet nicht, dass Frauen ihre Emotionen "rationaler" empfinden, sondern dass die Gewichtung zwischen automatischer Reizverarbeitung und kognitiver Einbettung bei den Geschlechtern unterschiedlich ausfällt. Solche Unterschiede werden als mögliche Erklärung dafür diskutiert, warum Männer und Frauen in bestimmten Situationen (etwa bei Stress oder Angst) im Schnitt unterschiedliche Reaktionsmuster zeigen.

Bei der Wahrnehmung sozialer Reize zeigen sich ebenfalls deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede in der neuronalen Aktivierung. Eine Studie von Pavlova et al. (2015) untersuchte mittels Magnetoenzephalografie (MEG) die Gehirnreaktionen von Männern und Frauen auf sogenannte "biological motion" – also Bewegungsmuster, die typisch menschliche Körperbewegungen darstellen [8]. Dabei zeigte sich, dass Frauen insbesondere in Arealen des sogenannten "Social Brain" – darunter der rechte Parietal- sowie der linke und rechte Temporallappen – eine stärkere Aktivierung aufwiesen, während Männer in späteren Verarbeitungsphasen erhöhte Aktivität in frontalen und okzipitalen Regionen zeigten. Diese Befunde deuten darauf hin, dass Männer und Frauen soziale Bewegungen und damit verbundene emotionale Signale wie die Körpersprache und Mimik unterschiedlich verarbeiten: Frauen offenbar stärker über Netzwerke, die soziale Wahrnehmung und Empathie fördern, Männer hingegen über Areale, die eher mit visuell-räumlicher Verarbeitung und Handlungsplanung verknüpft sind.

Auch im höheren Lebensalter zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede in der Gehirnstruktur. Gur und Kollegen (1991) konnten anhand von MRT-Untersuchungen nachweisen, dass der altersbedingte Verlust an Gehirnvolumen, die sogenannte Atrophie, bei Männern und Frauen unterschiedlich verläuft [9]. Während bei beiden Geschlechtern das Gehirn mit zunehmendem Alter schrumpft, deuten die Befunde darauf hin, dass die Geschwindigkeit und das Muster dieses Abbaus geschlechtsspezifisch variieren. Diese Erkenntnisse unterstreichen, dass geschlechtliche Unterschiede im Gehirn nicht nur während der Entwicklung, sondern auch im Alter eine wichtige Rolle spielen und somit über die gesamte Lebensspanne hinweg relevant bleiben.

Ein besonders starkes Indiz für robuste neurobiologische Geschlechtsunterschiede liefert eine groß angelegte KI-Studie von Ryali et al. (2024) [10]. Die Autoren trainierten ein neuronales Netzwerk auf über tausend fMRT-Datensätzen und zeigten, dass männliche und weibliche Gehirne allein anhand ihrer spontanen Funktionsdynamik mit über 90 % Trefferquote unterscheidbar sind – und zwar replizierbar über mehrere Messzeitpunkte und sogar generalisiert auf komplett unabhängige Versuchskohorten. Erstmals gelang damit der Nachweis, dass die Geschlechter stabile, klar voneinander unterscheidbare funktionelle Hirnsignaturen besitzen. Besonders stark differenzierten sich Netzwerke, die Selbstbezug, Motivation, Belohnungsverarbeitung und emotionale Einbettung steuern. Die identifizierten Geschlechtsmerkmale waren dabei nicht bloß statistische Muster, sondern vermittelten unterschiedliche kognitive Profile. Das heißt, dass die geschlechtsspezifische funktionelle Neuroarchitektur messbare Verhaltensrelevanz besitzt. Die Autoren kommen daher zu dem expliziten Schluss, dass ihre Ergebnisse die verbreitete These eines überlappenden "Hirnkontinuums" zwischen Männern und Frauen widerlegen und das Geschlecht als einen grundlegenden biologischen Organisationsfaktor des menschlichen Gehirns bestätigen:

Aus Ryali et al.: Deep learning models reveal replicable, generalizable, and behaviorally
relevant sex differences in human functional brain organization (Proc. Natl. Acad. Sci., 2024)

Kontroverse und das "Mosaik-Gehirn"

Solche Befunde rufen regelmäßig Widerspruch hervor, insbesondere aus den sozialwissenschaftlichen Disziplinen. Der Vorwurf lautet, solche Erkenntnisse würden angeblich "sexistische Stereotype" bestärken. Joel und Tarrasch (2014) kritisierten beispielsweise in einer Stellungnahme zur Studie von Ingalhalikar et al. (2014) die Interpretation geschlechtsspezifischer Unterschiede in der Gehirnvernetzung [11]. Ihrer Ansicht nach seien die berichteten Differenzen überbetont, die Daten falsch präsentiert und stereotype Annahmen über Geschlechterrollen wissenschaftlich unzulässig untermauert worden. Dabei ist zu beachten, dass Joel und Tarrasch keine klinischen Neurologen im engeren Sinn sind, sondern aus der psychologischen Neurowissenschaft mit engem Bezug zu den Gender Studies kommen. Ihre Perspektive ist somit eher sozial- und verhaltenswissenschaftlich geprägt als neurobiologisch fundiert.

Aus einer biologischen, also naturalistisch orientierten Sicht, sind diese Ergebnisse keineswegs ideologisch motiviert, sondern spiegeln real existierende, messbare Unterschiede wider, die in der Sexualbiologie als Ausdruck von Sexualdimorphismus verstanden werden. In einer Gegendarstellung wiesen Ingalhalikar und Kolleginnen die Kritik von Joel und Tarrasch entschieden zurück [12]. Sie verteidigen ihre Studie zur geschlechtsspezifischen Gehirnvernetzung als sorgfältig durchgeführt und methodisch korrekt – die berichteten Unterschiede seien statistisch signifikant und in der Fachsprache üblich visualisiert worden. Die häufig kritisierte funktionale Deutung der Daten sei ausdrücklich als hypothetisch gekennzeichnet gewesen, nicht als definitive Aussage über Geschlechterverhalten. Ingalhalikar et al. werfen Joel und Tarrasch vor, ihre Arbeit missverstanden und verzerrt dargestellt zu haben. Wichtig ist dabei: Im Gegensatz zu ihren Kritikerinnen stammen die Autoren der Gegendarstellung überwiegend aus der medizinischen Bildgebung, der klinischen Neurologie und der Neuropsychologie – also aus Disziplinen mit starker empirisch-neurobiologischer Ausrichtung.

In einer eigenen Studie analysierte Joel et al. (2015) über 1400 Gehirnscans und betrachteten dabei mehr als 100 anatomische Eigenschaften. Das Ergebnis: Die allermeisten Gehirne lassen sich aus Sicht der Forscher nicht klar als "männlich" oder "weiblich" einordnen [13]. Stattdessen zeige sich ein individuelles Mosaik, bestehend aus Eigenschaften, die mal häufiger bei Männern, mal häufiger bei Frauen auftreten. Typisch männliche oder typisch weibliche Gehirne sind laut dieser Analyse extrem selten. Diese Erkenntnisse stellen die Vorstellung infrage, dass sich das Geschlecht eindeutig im Gehirn abbildet. Vielmehr scheint die Variation innerhalb der Geschlechter größer zu sein als zwischen ihnen. Joel und ihr Team schlagen deshalb vor, das Gehirn nicht in binäre Kategorien zu pressen, sondern es als vielfältiges Spektrum zu betrachten – geformt durch ein komplexes Zusammenspiel von Genetik, Umwelt und individueller Entwicklung.

Ein interdisziplinäres Forscherteam um Marco Del Giudice kritisierte Joels Methodik in einer eigenen Analyse noch im selben Jahr scharf [14]. Ihr Hauptargument: Dass sich Merkmale überschneiden, bedeutet nicht, dass es keine statistischen Unterschiede zwischen Gruppen gibt. Tatsächlich zeigen viele Studien – darunter auch die groß angelegte Untersuchung von Ritchie et al. (2018) – robuste strukturelle Mittelwertsunterschiede zwischen den Gehirnen von Männern und Frauen. Laut Del Giudice und Kollegen übersieht die Mosaik-Metapher diese Gruppentendenzen und kann dadurch ein verzerrtes Bild vermitteln.

Der Neurowissenschaftler Larry Cahill weist in einem vielzitierten Übersichtsartikel darauf hin, dass geschlechtsspezifische Unterschiede im Gehirn keineswegs nur ein Randthema sind [15]. Sie können entscheidenden Einfluss auf kognitive Funktionen, emotionales Erleben oder die Wirkung von Medikamenten haben. Cahill argumentiert, dass die systematische Berücksichtigung von Geschlecht in der Hirnforschung nicht ideologisch, sondern wissenschaftlich notwendig sei, um biologische Mechanismen wirklich zu verstehen und um Fehlannahmen in Medizin und Psychiatrie zu vermeiden, die lange Zeit überwiegend auf männlichen Probanden basierten.

Grenzen plastischer Veränderung im neurologischen Geschlechtsdimorphismus

Die Debatte um Geschlecht und Geschlechterrollen ist geprägt von zwei kontrastierenden Perspektiven. Einerseits der Annahme, Geschlecht bzw. zumindest geschlechtertypisches Verhalten sei primär ein "soziales Konstrukt", das durch Erziehung und gesellschaftliche Normen geformt wird, und andererseits der Erkenntnis biologisch verankerter Geschlechtsunterschiede, insbesondere im Gehirn. Zentral ist die Frage, inwieweit umweltbedingte Veränderungen des Verhaltens und die durch neuronale Plastizität bedingten neurobiologischen Anpassungen überhaupt in der Lage sind, angeborene neurologische Geschlechtsdimorphismen grundlegend umzuprogrammieren.

Aus der neurobiologischen Forschung wissen wir, dass das Gehirn zwar plastisch ist und sich im Laufe des Lebens an Umweltreize anpassen kann. Doch diese Plastizität operiert innerhalb bestimmter biologischer Rahmenbedingungen, die das jeweilige Geschlecht mitprägt:

Zahlreiche Studien belegen, dass das Gehirn zwar formbar ist und Umweltreize das Verhalten beeinflussen, die grundlegende geschlechtsspezifische Architektur jedoch durch genetische und hormonelle Faktoren weitgehend vorgeprägt bleibt. Tierexperimentelle Arbeiten, wie die klassischen Studien von Phoenix et al. (1959) [16] und Goy & McEwen (1980) [17], zeigen, dass Sexualhormone in pränatalen und frühkindlichen Entwicklungsphasen irreversible Veränderungen an der neuronalen Struktur bewirken, die später geschlechtstypisches Verhalten beeinflussen. Auch Zwillingsstudien (Lytton & Romney, 1991) [18] sowie großangelegte kulturvergleichende Untersuchungen (Schmitt et al., 2017) [19] untermauern, dass Verhaltensunterschiede zwischen den Geschlechtern trotz variierender Umweltbedingungen konsistent auftreten. Bemerkenswerterweise zeigen sich diese Unterschiede in besonders egalitären Gesellschaften teils sogar deutlicher (Lippa, 2010) [20], was nahelegt, dass biologische Prädispositionen die Grundlage für geschlechtstypisches Verhalten bilden. Neurowissenschaftler wie Cahill (2006, 2014) [5][15] argumentieren daher, dass neuronale Plastizität zwar Verhaltensmuster modulieren, aber die grundlegende geschlechtsspezifische Architektur des Gehirns nicht grundlegend umprogrammieren kann. Vielmehr scheint die angeborene Neurologie jedes Geschlechts eine Art Verhaltensbias zu setzen, der durch das Ausleben geschlechtstypischer Rollen weiter verstärkt und verfestigt wird.

Es scheint demnach so zu sein, dass die angeborene Neurologie jedes Geschlechts eine typische Verhaltensrichtung begünstigt, die als eine Art "Entwicklungsschub" fungiert. Diese initiale Veranlagung führt dazu, dass typisches geschlechtsspezifisches Verhalten häufiger ausgeübt wird, wodurch die entsprechenden neuronalen Verbindungen im Gehirn weiter gestärkt und gefestigt werden.

In diesem Sinne ist das Gehirn zwar formbar, jedoch nicht uneingeschränkt. Die Plastizität wirkt innerhalb von Grenzen, die durch genetisch und hormonell geprägte Strukturen vorgegeben sind. Umwelt und soziale Einflüsse können daher eher bestehende Verhaltensneigungen modulieren und verstärken, weniger aber grundlegend umkehren. Geschlechtsspezifische neurologische Unterschiede bilden somit die biologische Basis, auf der soziale Erfahrungen aufbauen und die geschlechtstypische Entwicklung prägen.

Der Trick der Meta-Analyse

Meta-Analysen (also "Studien über Studien") sind ein anerkanntes Werkzeug der Wissenschaft, da sie Daten mehrerer Einzelstudien zusammenführen, um statistische Trends zu erkennen. Sie können sinnvoll sein, wenn es darum geht, große Datenmengen auszuwerten oder widersprüchliche Ergebnisse zu ordnen. Doch die Methode ist nicht unproblematisch – insbesondere dann, wenn sie von Autoren genutzt wird, die primär ein ideologisches Ziel verfolgen, statt echte naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu gewinnen.

Ein Kernproblem liegt darin, dass die Ergebnisse einzelner Primärstudien oft methodisch kaum vergleichbar sind. Manche Arbeiten messen Hirnvolumen beispielsweise inklusive Hirnhäute, andere nicht, Bildgebungsverfahren haben unterschiedliche Auflösungen und die statistischen Verfahren sind nicht standardisiert. Wer diese heterogenen Daten in einen Topf wirft, erzeugt zwangsläufig ein geglättetes Mittel, das ursprüngliche, signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern verwässert oder sogar zum Verschwinden bringt.

Genau an dieser Stelle sehen wir als Naturwissenschaftler eine problematische Tendenz, vor allem bei denjenigen verbalwissenschaftlichen Strömungen mit dekonstruktivistischem Anspruch wie den geschlechtskritischen Gender Studies. Anstatt die biologischen Befunde über den neuronalen Geschlechtsdimorphismus anzuerkennen, werden sie durch Meta-Analysen neutralisiert. Dies wirkt wie eine statistische Schönfärberei, die in Wahrheit nicht mehr, sondern weniger Erkenntnis liefert. Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Forschung kritisch geprüft wird. Aber wer Meta-Analysen als Instrument nutzt, um unliebsame biologische Unterschiede zwischen Männern und Frauen kleinzurechnen, verlässt den Boden nüchterner Wissenschaft und bewegt sich in Richtung ideologisch motivierter Datenpolitik.

Fazit

Die Debatte zeigt, wie komplex und vielschichtig das Thema ist. Fest steht: Die Gehirne von Männern und Frauen bilden zwar ein dynamisches Wechselspiel zwischen Genetik, Hormonen, Umweltfaktoren und individueller Erfahrung ab, sie sind jedoch nicht identisch und es gibt robuste strukturelle Unterschiede, auch wenn sie sich teilweise überlappen. Die von Soziologen implizierte Aussage, dass das menschliche Gehirn keinen ausgeprägten Geschlechtsdimorphismus aufweist, ist statistisch und biologisch nicht haltbar.

Quellen

[1] Zatorre, R., Fields, R. & Johansen-Berg, H. Plasticity in gray and white: neuroimaging changes in brain structure during learning. Nat Neurosci 15, 528–536 (2012). https://doi.org/10.1038/nn.3045

[2] Halpern, D.F. (2012). Sex Differences in Cognitive Abilities: 4th Edition (4th ed.). Psychology Press. https://doi.org/10.4324/9780203816530

[3] Stuart J Ritchie, Simon R Cox, Xueyi Shen, Michael V Lombardo, Lianne M Reus, Clara Alloza, Mathew A Harris, Helen L Alderson, Stuart Hunter, Emma Neilson, David C M Liewald, Bonnie Auyeung, Heather C Whalley, Stephen M Lawrie, Catharine R Gale, Mark E Bastin, Andrew M McIntosh, Ian J Deary, Sex Differences in the Adult Human Brain: Evidence from 5216 UK Biobank Participants, Cerebral Cortex, Volume 28, Issue 8, August 2018, Pages 2959–2975, https://doi.org/10.1093/cercor/bhy109

[4] M. Ingalhalikar, A. Smith, D. Parker, T.D. Satterthwaite, M.A. Elliott, K. Ruparel, H. Hakonarson, R.E. Gur, R.C. Gur, & R. Verma, Sex differences in the structural connectome of the human brain, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 111 (2) 823-828, https://doi.org/10.1073/pnas.1316909110 (2014).

[5] L. Cahill, Fundamental sex difference in human brain architecture, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 111 (2) 577-578, https://doi.org/10.1073/pnas.1320954111 (2014).

[6] Theodore D. Satterthwaite, Daniel H. Wolf, David R. Roalf, Kosha Ruparel, Guray Erus, Simon Vandekar, Efstathios D. Gennatas, Mark A. Elliott, Alex Smith, Hakon Hakonarson, Ragini Verma, Christos Davatzikos, Raquel E. Gur, Ruben C. Gur, Linked Sex Differences in Cognition and Functional Connectivity in Youth, Cerebral Cortex, Volume 25, Issue 9, September 2015, Pages 2383–2394, https://doi.org/10.1093/cercor/bhu036

[7] Schneider, F., Habel, U., Kessler, C., Salloum, J.B. and Posse, S. (2000), Gender differences in regional cerebral activity during sadness. Hum. Brain Mapp., 9: 226-238. https://doi.org/10.1002/(SICI)1097-0193(200004)9:4<226::AID-HBM4>3.0.CO;2-K

[8] Marina A. Pavlova, Alexander N. Sokolov, Christel Bidet-Ildei, Sex Differences in the Neuromagnetic Cortical Response to Biological Motion, Cerebral Cortex, Volume 25, Issue 10, October 2015, Pages 3468–3474, https://doi.org/10.1093/cercor/bhu175

[9] R.C. Gur, P.D. Mozley, S.M. Resnick, G.L. Gottlieb, M. Kohn, R. Zimmerman, G. Herman, S. Atlas, R. Grossman, & D. Berretta, Gender differences in age effect on brain atrophy measured by magnetic resonance imaging., Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 88 (7) 2845-2849, https://doi.org/10.1073/pnas.88.7.2845 (1991).

[10] S. Ryali,Y. Zhang,C. de los Angeles,K. Supekar, & V. Menon,  Deep learning models reveal replicable, generalizable, and behaviorally relevant sex differences in human functional brain organization, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 121 (9) e2310012121, https://doi.org/10.1073/pnas.2310012121 (2024).

[11] D. Joel,& R. Tarrasch, On the mis-presentation and misinterpretation of gender-related data: The case of Ingalhalikar’s human connectome study, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 111 (6) E637-E637, https://doi.org/10.1073/pnas.1323319111 (2014).

[12] M. Ingalhalikar, A. Smith, D. Parker, T.D. Satterthwaite, M.A. Elliott, K. Ruparel, H. Hakonarson, R.E. Gur, R.C. Gur, & R. Verma, Reply to Joel and Tarrasch: On misreading and shooting the messenger, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 111 (6) E638-E638, https://doi.org/10.1073/pnas.1323601111 (2014).

[13] D. Joel, Z. Berman, I. Tavor, N. Wexler, O. Gaber, Y. Stein, N. Shefi, J. Pool, S. Urchs, D.S. Margulies, F. Liem, J. Hänggi, L. Jäncke, & Y. Assaf, Sex beyond the genitalia: The human brain mosaic, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 112 (50) 15468-15473, https://doi.org/10.1073/pnas.1509654112 (2015).

[14] Del Giudice, Marco & Lippa, Richard & Puts, David & Bailey, Drew & Bailey, J. Michael & Schmitt, David. (2015). Mosaic Brains? A Methodological Critique of Joel Et Al.. SSRN Electronic Journal. DOI: 10.2139/ssrn.3075450.

[15] Cahill, L. Why sex matters for neuroscience. Nat Rev Neurosci 7, 477–484 (2006). https://doi.org/10.1038/nrn1909

[16] CHARLES H. PHOENIX, ROBERT W. GOY, ARNOLD A. GERALL, WILLIAM C. YOUNG, ORGANIZING ACTION OF PRENATALLY ADMINISTERED TESTOSTERONE PROPIONATE ON THE TISSUES MEDIATING MATING BEHAVIOR IN THE FEMALE GUINEA PIG, Endocrinology, Volume 65, Issue 3, 1 September 1959, Pages 369–382, https://doi.org/10.1210/endo-65-3-369

[17] Goy, R.W. & McEwen, B.S. (eds) Sexual Differentiation of the Brain (MIT Press, Cambridge, (1980).

[18] Lytton, H., & Romney, D. M. (1991). Parents' differential socialization of boys and girls: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 109(2), 267–296. https://doi.org/10.1037/0033-2909.109.2.267

[19] Schmitt DP, Long AE, McPhearson A, O'Brien K, Remmert B, Shah SH. Personality and gender differences in global perspective. Int J Psychol. 2017 Dec;52 Suppl 1:45-56. doi: 10.1002/ijop.12265.

[20] Lippa, Richard. (2010). Gender Differences in Personality and Interests: When, Where, and Why?. Social and Personality Psychology Compass. 4. 1098 - 1110. DOI: 10.1111/j.1751-9004.2010.00320.x.

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