Intersexualität

Genau wie beim Thema Homosexualität gilt auch hier vorab: Intersexualität gibt es nicht! Und zwar nicht nur nicht beim Menschen, sondern generell nicht.

Wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, versteht man im Kontext der Biologie unter Sexualität das Vorhandensein unterschiedlicher Geschlechter innerhalb einer Art, die mittels Geschlechtszellenkopulation (Sex) eine Neukombination der DNA ermöglichen. Die biologischen Fachbegriffe Sexualität, Sex und Sexus (Geschlecht) stehen mit Blick auf ihre historisch von großen Vordenkern wie Carl von Linné, Julius Sachs und Charles Darwin etablierten Definitionen allesamt in engem Zusammenhang zu den Sexualzellen (Gameten).

Der Begriff "Intersexualität" ist deshalb problematisch, weil er die Existenz einer "Zwischengeschlechtlichkeit" suggeriert. Wenn Konsekutivzwitter wie z. B. der Echte Clownfisch (Amphiprion percula) während ihres Lebenszyklus die Keimzellenproduktion und somit ihren Sexus von männlich zu weiblich wechseln, könnte man die Phase des Übergangs prinzipiell als "Zwischengeschlechtlichkeit" bzw. "Intersexualität" bezeichnen. Im Kontext der engeren biologischen Geschlechtsdefinition auf Basis der Anisogamie – also des morphologischen Unterschieds der Gameten – wäre darunter jedoch ein fließender Übergang auf zellularer Ebene zwischen Mikrogameten und Makrogameten zu verstehen. Reproduktive Mesogameten (also mittlere Geschlechtszellen bzw. morphologische Zwischenformern) existieren jedoch weder als dritter eigenständiger Geschlechtszellentypus ("drittes Geschlecht") noch als fließendes Übergangsstadium – jedenfalls nicht innerhalb der uns bisher bekannten und wissenschaftlich zugänglichen irdischen Natur. Sie sind allenfalls als hypothetisches Modell in der Astrobiologie denkbar.

Historische Definition von Intersex

Definiert wurde der Begriff "Intersexualität" im Jahre 1915 vom deutschen Biologen und Genetiker Richard Goldschmidt (1878-1958) [1]. Er führte Zuchtexperimente an Schwammspinnern (Lymantria dispar) durch. Bei diesen Schmetterlingen und auch anderen Insekten sowie sogar bei einigen Vögeln existiert ein Phänomen namens Gynandromorphismus. Die Entwicklung der individuellen Merkmale der beiden Geschlechter wird hierbei nicht chromosomal-hormonell und damit ganzkörperlich vollzogen wie bei uns Menschen, sondern zellautonom gesteuert. Dies kann dazu führen, dass Individuen sich z. B. halbseitig männlich entwickeln, während die andere Körperhälfte einen weiblichen Phänotyp zeigt. Goldschmidt gelang es mittels Selektionszucht verschiedener Lokalvarianten des Schwammspinners aus Europa und Asien, nicht nur typische Gynandromorphe (Gynander) zu züchten, sondern zusätzlich bestimmte Merkmale wie z. B. die Fiederung der Antennen nach geschlechtlichen Zwischenstufen zu selektieren. Diese für ihn neuartigen Individuen bezeichnete er als "Intersexe". 

Jedoch ist diese Bezeichnung mit Blick auf die bereits zuvor von Julius Sachs etablierte Definition von Sexualität problematisch. Denn Goldschmidts "Intersexe" bildeten entweder männliche Mikrogameten oder weibliche Makrogameten aus oder waren aufgrund unterentwickelter Geschlechtsdrüsen steril. Tatsächlich unterschied Goldschmidt aufgrund dessen sogar explizit zwischen "weiblichen Intersexen" und "männlichen Intersexen". Es ist ihm nicht gelungen, eine echte sexuelle Zwischenform (also einen Mesogametenproduzenten) zu züchten. Seine "Intersexe" waren lediglich auf bestimmte Merkmale selektiv gezüchtete Gynandromorphe. Merkmale mittels Selektionszucht zu verändern, bis sie "zwischengeschlechtlich" erscheinen, ist jedoch keine echte Intersexualität im wörtlichen Sinne. Es handelt sich außerdem um einen typischen Kategorienfehler, untergeordnete, mit einem bestimmten Geschlecht assoziierte Merkmale mit der übergeordneten Kategorie des Geschlechts zu verwechseln.

Selbst wenn man Goldschmidts Definition von "Intersexualität" akzeptieren würde, ließe sie sich trotzdem nicht auf Menschen übertragen. Denn mangels zellautonomer Geschlechtsdifferenzierung gibt es den dem Phänomen zugrundeliegenden Gynandromorphismus nicht beim Menschen. Deshalb gibt es in dieser Hinsicht ebenfalls keine "intersexuellen" Menschen.

Intergender, Pseudohermaphroditismus & DSD

Was es sehr wohl gibt sind Störungen der Geschlechtsentwicklung bzw. Disorders of Sex Development (DSD), die zu indifferenten oder widersprüchlichen äußeren Geschlechtsmerkmalen führen können. Für dieses Phänomen schlagen wir den Begriff "Intergender" vor. Während sich die Sexualität auf den zellulären Unterschied der Geschlechter zum Zwecke der Geschlechtszellenkopulation bezieht, beschreibt Gender in der Biologie die Entwicklung von physiologisch und anatomisch unterschiedlich organisierten Geschlechtsindividuen auf makroskopischer Ebene. Da im Falle indifferenter Geschlechtsmerkmale exakt diese Organisation der Geschlechtskörper gestört ist, ist Intergender die fachlich korrekte Bezeichnung.

Alternativ dazu wäre der zoologisch bereits etablierte Terminus Pseudohermaphroditismus anstelle von "Intersexualität" vorzuziehen, da es sich bei den Störungen der Geschlechtsentwicklung nur dem Anschein nach um Hermaphroditismus (echte Zwittrigkeit) handelt.

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Quellen

[1] Richard Goldschmidt: Vorläufige Mitteilung über weitere Versuche zur Vererbung und Bestimmung des Geschlechts. In: Biologisches Centralblatt. Band 35, 1915, S. 565–570

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