Samstag, 20. April 2024

Über Fragen, die man nicht stellen darf

Wer glaubt, dass öffentliche Abgeordnetenportale ein freier Ort des Dialogs zwischen dem Volk und den ihm dienenden Politikern seien, wird schnell eines Besseren belehrt. Unser jüngstes Erlebnis auf dem bekannten und laut Wikipedia "überparteilichen und institutionell unabhängigen" Frage-Portal abgeordnetenwatch.de, das den Dialog zwischen Wählerschaft und Mandatsträgern fördern soll, zeigt, wie dünn der Grat zwischen Moderation und Zensur ausfallen kann – vor allem, wenn Fragen unbequem sind.

Ausgangspunkt war der Versuch, dem Queer-Beauftragten der Bundesregierung Sven Lehmann kritische Nachfragen zum Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) zu stellen – sachlich formuliert, ohne beleidigende oder diffamierende Elemente. Die Fragen reichten von der nachweislich kontroversen zivilgesellschaftlichen Unterstützung des Gesetzes über mögliche Missbrauchsszenarien bis hin zu Fragen nach Forschung und rechtlichen Anpassungen:
  1. Wieso wurde das SBGG entgegen der kritischen Stimmen aus den Reihen der Fachverbände (z. B. der Initiative FrauenLesbenNetz oder der Vereinigung-TransSexuelle-Menschen e. V.) in den Bundestag eingebracht? Diese Stimmen verdeutlichen, dass das Gesetz keine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung erlebt.

  2. Welche Vorkehrungen werden getroffen, um Missbrauch des SBGG durch nicht-transidente Personen zu unterbinden? Wie sollen die wirklich Betroffenen von solchen Tätern differenziert werden?

  3. Bestehen Pläne, den § 183 StGB anzupassen, damit zukünftig keine Männer, die sich als Frauen selbst bestimmen, exhibitionistische Handlungen straffrei vollziehen können?

  4. Länder mit vergleichbaren Gesetzen sind nicht in der Lage, einen Anstieg von Missbrauchsfällen zu dokumentieren. Wie sollen solche Taten hierzulande statistisch erfasst werden, wenn das Offenbarungsverbot dies unterbindet? Sind Forschungen geplant, die Auswirkungen des SBGG zu ermitteln?
Was folgte, war ein zähes Ringen mit dem Moderationsteam. Immer wieder wurden die Fragen abgelehnt, mit der Begründung, sie enthielten "unbelegte Tatsachenbehauptungen". Der absurde Teil: Selbst dann, wenn Links zu Belegquellen wie offiziellen Bundestagsdokumenten oder früheren Aussagen des befragten Queer-Beauftragten ergänzt wurden, reichte das angeblich nicht aus. Die Fragen mussten derart häufig umformuliert (bzw. entkernt) werden, bis die ursprüngliche Intention kaum noch erkennbar war.

Besonders aufschlussreich war der Umgang mit der Wortwahl einer "breiten zivilgesellschaftlichen Unterstützung" aus der ersten Frage. In diesem Punkt hatten wir (bzw. unser fragestellendes Gründungsmitglied) offenbar einen empfindlichen Nerv getroffen. In einer Antwort auf eine andere Frage durfte der Queer-Beauftragte ohne weiteren Nachweis behaupten, das Gesetz genieße einen breiten zivilgesellschaftlichen Rückhalt:

"Das Selbstbestimmungsgesetz baut auf eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung, die von queeren Verbänden über den deutschen Frauenrat bis zum Zentralkomitee der Katholiken reicht."


Dieselbe Argumentation – diesmal von uns kritisch gewendet – wurde in der Frage jedoch nicht von der Moderation akzeptiert. Selbst nach expliziter Nennung einiger weiterer kritischer Verbände hieß es auf Nachfrage weiterhin lapidar, dass die Bewertung, wie "breit" eine Unterstützung sei, "subjektiv" sei. Gleichzeitig blieb der Vorwurf im Raum stehen, unsere Kritik enthalte unbelegte Tatsachenbehauptungen. Das Resultat: ein kafkaesker Dialog, der damit endete, dass die Fragen zwar irgendwann freigeschaltet wurden – allerdings erst, nachdem sie auf eine Weise entschärft worden waren, die keine konkreten Antworten mehr erwarten ließ.

Moderierte Demokratie ist keine Demokratie

Dieser Prozess hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Offiziell will das Portal den sachlichen Dialog fördern. Praktisch aber wird durch eine mutmaßlich asymmetrische Moderation verhindert, dass kritische Stimmen mit der gleichen Selbstverständlichkeit Raum finden wie politische PR-Antworten. Wer unbequeme Fragen stellt, muss offenbar jeden Halbsatz mit Quellen belegen, dabei in 1.000 Zeichen bleiben und gleichzeitig darauf achten, dass keine Formulierungen als "suggerierend" oder "rhetorisch" gewertet werden. Wer antwortet, darf großzügig verallgemeinern und Narrative bedienen, ohne dass dieselben strengen Maßstäbe greifen. Gleiches gilt scheinbar bei gefälligen Fragen oder kritischen, die sich an bestimmte oppositionelle Parteien richten.

Ein final geäußerter Vorschlag des Supports, man könne sich ja direkt an den Abgeordneten wenden, ist entlarvend. Ein öffentliches Dialogforum, das ausgerechnet dann versagt, wenn es um kritische, aber sachliche Nachfragen geht, verfehlt seinen Zweck.

Dass unser Erlebnis offenbar kein Einzelfall ist, zeigt ein Blick auf die aktuelle Bewertung der Plattform auf Trustpilot, wo sie mit dem Prädikat ungenügend geführt wird. Rezensenten sprechen von einer "links-grün finanzierten Propagandaseite", "linksgrünen Lobbyisten, die sich den durchschaubaren Anstrich der Neutralität geben" sowie von "Zensur mittels dubiosem Regelwerk"

Fazit

Dieser Einzelfallbericht zeigt nicht nur, wie sensibel die öffentliche Diskussion rund um das Selbstbestimmungsgesetz ist, sondern auch, wie schnell "Moderation" in Richtung Meinungslenkung kippen kann. Kritische Stimmen finden zwar irgendwann einen Weg, gehört zu werden – aber nur, wenn sie sich so lange anpassen, bis sie ins gewünschte Bild passen. Demokratischer Diskurs sieht anders aus. Selbstverständlich liegt es im Ermessen von Plattformen wie abgeordnetenwatch.de, welche Spielregeln sie aufstellen und wie streng sie diese auslegen – ob fair oder mit politischem Drall. Nutzer solcher Angebote sollten jedoch klar erkennen können, ob mit zweierlei Maß gemessen wird. 

Wir hoffen, mit unserem Erfahrungsbericht zu mehr Transparenz beigetragen zu haben.

Nachtrag vom 19.05.2024:

Unsere Fragen wurden inzwischen von Sven Lehmann… nun ja, nennen wir es spaßeshalber einfach mal "beantwortet":
Aus unserer Sicht enthalten die Antworten sehr viel Text mit wenig Inhalt. Vor allem der Kerngegenstand der ersten Frage wurde nicht mal ansatzweise beantwortet. Aber dies war irgendwie schon zu erwarten, denn wenn präzise Fragen solange angepasst werden müssen, bis sie allgemeine Antworten ermöglich, darf man logischerweise nicht mehr als Allgemeinplätze erwarten. Herr Lehmann bezieht sich hier erneut auf eine angeblich "breite Unterstützung aus unterschiedlichsten Bereichen unserer Zivilgesellschaft"

"Deren" Zivilgesellschaft ist offenbar eine andere, als unsere. 
Eine ernüchternde Erkenntnis.

Samstag, 13. April 2024

RIP Biologie: Bundestag beschließt Selbstbestimmungsgesetz

Das neue Selbstbestimmungsgesetz (SBGG), das gestern im Bundestag beschlossen wurde und am 1. November in Kraft treten wird, erfordert eine naturwissenschaftliche Bewertung. Nicht, weil wir den Wunsch von Menschen mit Geschlechtsdysphorie oder Störungen der Geschlechtsentwicklung nach Anerkennung nicht nachvollziehen könnten. Im Gegenteil! Sondern weil wir mit wachsender Sorge beobachten, wie biologische Realitäten politisch relativiert werden.


Zwei Geschlechter – eine biologische Konstante

Das Geschlecht als evolviertes Tool der geschlechtlichen Fortpflanzung basiert bei mehrzelligen Tieren wie dem Menschen auf dem fundamentalen Prinzip der Anisogamie. Es gibt zwei unterschiedliche Geschlechtszellentypen: nährstoffreiche, unbewegliche Makrogrameten (im hier diskutierten Kontext als Eizellen ausgebildet) und bewegliche Mikrogameten (hier Spermien). Dieses Prinzip ist universell bei sexuell reproduzierenden Arten und der Grund, weshalb es im biologischen Sinne nur zwei Geschlechter gibt: weiblich (potenziell Eizellen bereitstellend) und männlich (potenziell Spermien produzierend).

Dass es Menschen mit sogenannten Disorders of Sex Development (DSD) gibt – also mit Abweichungen in der Geschlechtsentwicklung – ist unbestritten. Für diese seltenen Fälle hat die Einführung einer dritten Geschlechtsoption ("divers") im Personenstandsrecht im Jahr 2018 eine sinnvolle, respektvolle und auch biologisch begründbare Lösung geschaffen.

Auch das alte Transsexuellengesetz (TSG), so umständlich und unzeitgemäß es in Teilen war, versuchte, den Spagat zwischen subjektivem Identitätsempfinden und objektivierbaren Kriterien zu bewältigen. Die Notwendigkeit von zwei gerichtlichen psychologischen Gutachten war sicher diskussionswürdig, aber immerhin existierte ein Mechanismus, der den Anspruch an Geschlechtsänderung rechtlich und medizinisch prüfte.

Selbstbestimmung ohne biologische Grundlage

Was das neue Selbstbestimmungsgesetz nun einführt, ist aus biologischer Sicht ein Bruch mit jeder objektiven Geschlechterdefinition. Künftig darf jede Person einmal jährlich beim Standesamt erklären, welchem Geschlecht sie sich "zugehörig fühlt". Das bedeutet: Der Wechsel von "männlich" zu "weiblich" und umgekehrt erfolgt fortan ohne jede medizinische, biologische oder psychologische Grundlage. Nicht einmal eine Beratung ist verpflichtend. Es zählt nur noch das subjektive Empfinden.

Das hat gravierende Konsequenzen. Geschlecht wird so zu einer Art Lifestyle-Entscheidung, abgekoppelt von der biologischen Realität. Der Begriff "Geschlecht" wird politisiert, entkernt und damit biologisch entwertet. Für uns, die sich der empirischen Wissenschaft verpflichtet fühlen, ist das ein schwer nachvollziehbarer Schritt. Wie sollen wir künftig über Geschlechter sprechen, wenn ihre juristische Definition auf reiner Selbstauskunft beruht?

Der Preis für Symbolpolitik

Wir sehen in diesem Gesetz nicht nur ein Problem für den Wissenschaftsbegriff an sich, sondern auch für den gesellschaftlichen Diskurs. Wer weiterhin von "zwei Geschlechtern" spricht, läuft Gefahr, als rückständig oder gar transfeindlich abgestempelt zu werden, obwohl dies schlicht der Stand der Biologie ist. Wenn sich Identität über die Realität stellt, wird Debatte durch Dogma ersetzt.

Und mehr noch: Das Gesetz erlaubt es künftig auch nicht betroffenen Personen (also Menschen ohne DSD oder einer medizinischen Geschlechtsdysphorie) ihren Eintrag zu ändern. Damit öffnet sich die Tür für willkürliche Entscheidungen, bewusste Provokation oder gar strategische Nutzung (z. B. in Quotenregelungen oder Frauenschutzräumen). Dass solche Missbrauchsfälle selten sein mögen, mag zwar sein, aber ein Gesetz sollte nicht auf Hoffnung beruhen, sondern auf klaren Kriterien.

Ein Plädoyer für Differenzierung statt Beliebigkeit

Wir plädieren für eine Rückkehr zu einem differenzierten, ehrlichen Umgang mit Geschlecht. Transidente Menschen verdienen Respekt, Schutz und gesellschaftliche Teilhabe. Doch das darf nicht auf Kosten der biologischen Klarheit und der Schutzräume erfolgen, die auf eben jener beruhen. Ein gutes Gesetz hätte dies ausbalancieren können. Das Selbstbestimmungsgesetz tut es nicht.

Wenn wir anfangen, biologische Tatsachen der politischen Stimmung zu unterwerfen und damit zu Grabe zu tragen, verlieren wir nicht nur den Begriff von Wissenschaft, sondern auch das Vertrauen in eine Rechtsprechung, die sich an objektiven Kriterien orientieren sollte.
 

Beliebte Posts