Dienstag, 2. Juli 2024

Die Causa Vollbrecht und das Kiwi-Emoji 🥝

In den vergangenen Jahren ist die öffentliche Debatte über Geschlecht, Sexualität und biologische Grundlagen zunehmend emotional und politisch aufgeladen worden. Ein besonders aufschlussreiches Beispiel dafür ist die sogenannte "Causa Vollbrecht", in deren Verlauf wissenschaftliche Aussagen zur Zweigeschlechtlichkeit des Menschen unter öffentlichen Rechtfertigungsdruck geraten sind.

Die Causa Vollbrecht

Im Sommer 2022 wurde ein Vortrag der Biologin Marie-Luise Vollbrecht im Rahmen der "Langen Nacht der Wissenschaften" an der Humboldt-Universität zu Berlin kurzfristig aufgrund von angekündigten Protesten des "Arbeitskreises kritischer Jurist*innen" an der HU Berlin abgesagt und auf einen späteren Termin verschoben. Titel des Vortrags: "Geschlecht ist nicht (Ge)schlecht: Sex, Gender und warum es in der Biologie zwei Geschlechter gibt". Vollbrecht hatte darin die Evolution der Zweigeschlechtlichkeit erläutert und dargelegt, dass es aus biologischer Sicht zwei Geschlechter gibt – weiblich und männlich –, wie sie auf Basis der Anisogamie (also dem morphologischen Unterschied der Geschlechtszellen) definiert sind. Ihre Aussagen beruhen auf jahrzehntelang gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis. Dennoch wurde der Vortrag aufgrund von Sicherheitsbedenken im Kontext der angedrohten Proteste, insbesondere seitens Aktivisten aus der "queeren" Community, zunächst abgesagt.

Vereinnahmung der Biologie im Kulturkampf

Als Interessengemeinschaft für Sexualbiologie setzen wir uns für eine naturalistische, erkenntnisgeleitete Betrachtung menschlicher Sexualität und Geschlechtsentwicklung ein. Die fachlichen Aussagen von Marie-Luise Vollbrecht über die Evolution der zwei Geschlechter stellen keine Meinung dar, sondern spiegeln den aktuellen Stand der biologischen Wissenschaft wider. Die Existenz zweier Geschlechter ist gut dokumentiert und in nahezu allen höher entwickelten Organismen zu beobachten, einschließlich des Menschen.

Wissenschaftliche Aufklärung muss auch dann Bestand haben, wenn sie mit gesellschaftlichen Strömungen in Konflikt gerät. Dass die Vermittlung biologischer Tatsachen als "transfeindlich" gebrandmarkt wird, ist nicht nur sachlich unbegründet, sondern untergräbt auch die Integrität wissenschaftlicher Diskurse.

Gleichzeitig sehen wir mit Sorge, dass biologische Tatsachen zunehmend vereinnahmt werden – nicht nur von ideologiegetriebenen Queer-Aktivisten, sondern auch von Akteuren, die wissenschaftliche Erkenntnisse benutzen, um gezielt gegen sogenannte "Transpersonen" Stimmung zu machen. Das widerspricht unserem Selbstverständnis als wissenschaftlich fundierte, aber humanistisch orientierte Gemeinschaft. Es ist ein Missbrauch der Biologie, wenn Fakten über Geschlechtsunterschiede nicht der Aufklärung dienen, sondern zur Ausgrenzung oder zur Delegitimierung von Lebensrealitäten benutzt werden. Zugleich dürfen Forderungen nach Anerkennung subjektiver Identitäten jedoch nicht bedeuten, dass objektive biologische Erkenntnisse geleugnet oder als "Hassrede" diffamiert werden.

Das Kiwi-Emoji: Statement und Stolperstein

In dieser Gemengelage ist das Kiwi-Emoji 🥝 zu einem politisch aufgeladenen Symbol geworden. Ursprünglich von Vollbrecht als Beispiel für Zweigeschlechtlichkeit in der Pflanzenwelt und als Hinweis auf problematische Wissenschaftskommunikation (siehe "Geschlechtsidentität" bei Kiwis?) verwendet, wurde die Kiwi von bestimmten Online-Gruppen aufgegriffen, um sich gegen Transgenderpersonen zu positionieren. Kritiker werten dieses Symbol als transfeindliche Dog Whistle, andere als Ausdruck wissenschaftlicher Skepsis gegenüber identitätspolitischen Tendenzen.

Wir sagen: Es ist legitim, sich mit einem Symbol wie der Kiwi zur biologischen Realität von Zweigeschlechtlichkeit und einer faktenbasierten Wissenschaftskommunikation zu bekennen. Die biologische Tatsache, dass es zwei reproduktive Geschlechter gibt, sollte weder ein Tabu sein noch zum Ziel politischer Zensur werden. In diesem Sinne kann das Kiwi-Emoji – sofern verantwortungsvoll verwendet – ein Zeichen für wissenschaftliche Redlichkeit sein.

Problematisch wird es dann, wenn ein solches Symbol instrumentalisiert wird, um pauschal gegen Transgender zu hetzen oder bewusst Missverständnisse zu schüren. Wer Biologie benutzt, um gesellschaftliche Ausgrenzung zu rechtfertigen, pervertiert die Wissenschaft zum Werkzeug eines Kulturkampfes. Davor möchten wir als IG Sexualbiologie warnen.

Position der IG Sexualbiologie

Wir stehen hinter den fachlich-wissenschaftlichen Aussagen von Marie-Luise Vollbrecht zum Thema Zweigeschlechtlichkeit, erkennen jedoch an, dass sie diese vor allem außerhalb beruflicher Kontexte aus einem klar erkennbaren aktivistisch-feministischen Antrieb heraus formuliert, bei dem biologische Fakten mitunter als rhetorisches Mittel im kulturpolitischen Streit eingesetzt werden. In ihrer öffentlichen Kommunikation wählt sie teils Formulierungen, die von Transgendern als provokant oder verletzend empfunden werden können. So schrieb sie auf der Plattform X etwa über "Grunzende Transmänner, die sich ihren Sockenpensi in der Männerumkleide rubbeln":


Dieses und weitere Zitate wurden zwar von Aktivisten und nicht minder aktivistischen Journalisten häufig aus dem Kontext gerissen, da Vollbrecht damit in erster Linie aufzeigen wollte, dass Autogynophilie und transvestitischer Fetischismus keine typischen Phänomene von Frauen ist, sondern überwiegend Männer (und somit auch Männer, die sich für Frauen halten oder als solche ausgeben) betrifft – fachlich betrachtet ein zutreffender Hinweis. Gleichwohl implizieren solche Wortwahlen trotz ihrer überspitzten Ironie, dass insbesondere sogenannte "Transfrauen" pauschal als "pervers" betrachtet werden, was einer differenzierten, sachlich-nüchternen Debatte abträglich ist.

Als IG Sexualbiologie vertreten wir zwar im Grundsatz ebenfalls die Position, dass der Genderbegriff "Frau" einzig und allein aus der Biologie des weiblichen Geschlechts heraus verstanden werden sollte – wohl wissend, dass aus den Reihen der sozialwissenschaftlichen Geschlechterforschung Kritik daran geäußert wird, mit der Begründung, dass "Frau" kein naturwissenschaftlicher Fachterminus wie "weiblich" oder "Weibchen" sei, sondern ein sozial und kulturell geprägter Genderbegriff, der sich zwar historisch aus der biologischen Einteilung ableitet, im gesellschaftlichen Diskurs jedoch nicht zwingend starr definiert sein müsse. Diese Meinung nehmen wir zu Kenntnis, teilen sie allerdings nicht. Dennoch lässt unsere Position Spielraum für eine differenzierte Betrachtung von Transidentitäten. Nur weil aus unserer Sicht sogenannte "Transfrauen" keine Frauen sind (und dies auch nie sein werden), bedeutet das nicht zwangsläufig, dass wir die Gleichberechtigung von Transgendern in bestimmten gesellschaftlichen Kontexten kategorisch ablehnen. Frei nach § 90a BGB analogisiert: "Transfrauen" sind zwar keine Frauen, auf sie können aber unter bestimmten Voraussetzungen die für Frauen geltenden Vorschriften angewandt werden – eine differenzierte Position, die die Kollegin Vollbrecht mutmaßlich nicht teilen wird.

Unser Appell

  • Wissenschaft braucht Freiheit, auch wenn ihre Ergebnisse unbequem sind.
  • Biologie erklärt nicht alles, aber sie darf nicht durch Ideologie ersetzt werden.
  • Transgender und Biowissenschaftler sind keine Gegner, sofern beide Seiten bereit sind, Differenzierung zuzulassen.
  • Symbole wie das Kiwi-Emoji sollten nicht zur Frontlinie eines Kulturkriegs verkommen.
In diesem Sinne stehen wir für eine klare Trennung zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und politischer Instrumentalisierung sowie für eine sexualbiologische Aufklärung, ohne zu spalten.

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