Die kuwaitische Ärztin Dr. Mariam Al-Sohel behauptete vor einigen Jahren in einem Fernsehinterview, "Homosexualität" (fachlich korrekt Homoerotik) würde durch einen "Analwurm" verursacht, der sich von Sperma ernähre:
Kuwaiti Academic Dr. Mariam Al-Sohel Invents Anal Suppositories That "Cure" Homosexuality Based on Islamic "Prophetic Medicine" pic.twitter.com/xPmO8kw9di
— MEMRI (@MEMRIReports) April 23, 2019
Sie vertritt die Auffassung, dass dieser Wurm bei häufigem Analverkehr im Körper entstehe und so homoerotische Neigungen verursache. Als "Therapie" bietet sie spezielle Zäpfchen auf pflanzlicher Basis an, die diesen Wurm angeblich abtöten und damit "Homosexualität heilen" sollen. Zusätzlich empfiehlt sie eine spezielle Ernährung zur Bekämpfung der angeblichen parasitären Ursache. Sie bezeichnet ihr Verfahren als Teil der "prophetischen Medizin" und behauptet, es sei religiös und wissenschaftlich fundiert.
Parasitäre Erreger und Verhalten
Es ist biologisch korrekt, dass Parasiten das Verhalten ihres Wirts manipulieren können. Ein bekanntes Beispiel ist Toxoplasma gondii, das Ratten katzenfreundlich macht. Bei Menschen gibt es Studien, die Korrelationen zwischen Toxoplasma‑Infektion und Veränderungen im Sexualverhalten zeigen – jedoch sind diese Effekte sehr spezifisch (z. B. gesteigertes Interesse an BDSM bei Männern) und keineswegs eine Ursache für homoerotisches Verhalten [1]. Studien über Darmparasiten bei schwulen Männern zeigen lediglich, dass bestimmte Praktiken (wie ungeschützter Anogenitalverkehr) häufiger zu enterischen Infektionen führen, ohne dass das etwas mit der erotischen Neigung zu tun hätte [2].
Homoerotik: ein komplexes Phänomen – nicht pathologisch
Die etablierte Wissenschaft erkennt homoerotisches Verhalten nicht als Krankheit oder Fehlentwicklung. Körperliche, psychologische und genetische Forschungen zeigen, dass die erotische Präferenz (umgangssprachlich "sexuelle Orientierung") aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren entsteht (primär genetische, epigenetische und hormonelle, teilweise soziale) und weitgehend vor der Geburt fixiert ist.
Warum solche Mythen problematisch sind
Als Realwissenschaftler fühlen wir uns einer atheistischen Weltanschauung basierend auf dem naturalistischen Materialismus verpflichtet. Aus unserer Sicht stellt der Rückgriff auf sogenannte "prophetische Medizin" ein grundlegendes Problem dar, weil er medizinisches Wissen nicht aus überprüfbaren, empirischen Befunden, sondern aus religiösen Offenbarungen ableitet. Derartige Konzepte basieren weniger auf Wissenschaft als auf Autoritätsglauben und hermeneutischer Auslegung jahrhundertealter Texte. Dies führt dazu, dass symbolische oder moralische Deutungen über biologische Prozesse gestellt werden – eine Denkweise, die dem modernen Verständnis von evidenzbasierter Medizin diametral entgegensteht.
In ihrer Struktur ähnelt die "prophetische Medizin" der Homöopathie: Beide Systeme berufen sich auf dogmatische, weitgehend immunisierte Weltbilder, die sich gegenüber Falsifikation durch empirische Forschung verschließen. Während Homöopathie auf esoterischen Analogien ("Ähnliches mit Ähnlichem heilen") basiert, setzt die "prophetische Medizin" auf theologische Plausibilität statt biologische. In beiden Fällen werden menschliche Leidenszustände mit vorgestanzten Erklärungs- und Heilungsmodellen abgearbeitet, was einer ernsthaften, wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Sexualbiologie im Wege steht.
Durch die Pathologisierung überzieht Al-Sohel homoerotische Neigungen mit krankhaften, behandelbaren Bildern und stigmatisiert damit Betroffene. Behauptungen, homoerotische Veranlagungen seien therapierbar, führte in der Vergangenheit zu schädlichen "Konversionstherapien". Ferner gefährden ihre unbewiesenen Sensationsbehauptungen das Vertrauen in echte medizinische Forschung.
Fazit
Die Behauptung, "Homosexualität" könne durch einen Wurm verursacht und mit pflanzlichen Zäpfchen geheilt werden, ist aus wissenschaftlicher Sicht vollkommen haltlos. Es handelt sich um eine unbelegte Behauptung, die getrost abgewiesen werden kann. Sie entspringt einem pseudomedizinischen Weltbild, das medizinische Kategorien mit religiöser Moral vermengt. Die pathologisierende Darstellung homoerotisch veranlagter Menschen ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich. Sie nährt Vorurteile, befeuert Stigmatisierung und ebnet den Weg für schädliche "Therapieangebote". Wissenschaft und Gesellschaft müssen solchen Behauptungen mit Aufklärung und kritischem Denken entgegentreten.
Quellen:
[1] Flegr, J., & Kuba, R. (2016). The Relation of Toxoplasma Infection and Sexual Attraction to Fear, Danger, Pain, and Submissiveness. Evolutionary Psychology, 14(3).
https://doi.org/10.1177/1474704916659746 (Original work published 2016)
[2] Keystone JS, Keystone DL, Proctor EM. Intestinal parasitic infections in homosexual men: prevalence, symptoms and factors in transmission. Can Med Assoc J. 1980 Sep 20;123(6):512-4. PMID: 7437971; PMCID: PMC1704818.
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