Samstag, 22. Februar 2025

Geschlechtsunterschiede in der Muskelkraft entstehen früh

Bild von Prakasit Khuansuwan auf Pixabay
Wie unterschiedlich sind Mädchen und Jungen wirklich und wann beginnen diese Unterschiede? Eine aktuelle Meta-Analyse von James L. Nuzzo, erschienen im European Journal of Sport Science, liefert dazu spannende und zugleich grundlegende Erkenntnisse [1].

60 Jahre Forschung neu ausgewertet

Nuzzo untersuchte in seiner Meta-Analyse 169 Studien aus 45 Ländern, die sich mit der Greifkraft von Kindern und Jugendlichen befassten – einer oft genutzten Messgröße für allgemeine Muskelkraft. Die Daten umfassten über 350.000 Kinder im Alter von Geburt bis 16 Jahren, was einen beeindruckender Querschnitt durch sechs Jahrzehnte Forschung darstellt.

Das Ergebnis ist eindeutig: Schon bei der Geburt zeigen Jungen im Durchschnitt eine etwas höhere Greifkraft als Mädchen. Bis zum Alter von etwa zehn Jahren beträgt die Greifkraft von Mädchen im Mittel rund 90 % derjenigen von Jungen – ein zwar kleiner, aber durchaus stabiler Unterschied. Mit Einsetzen der Pubertät ändert sich das Bild dramatisch. Ab etwa 13 Jahren öffnet sich die Schere deutlich. Mit 16 Jahren liegt die durchschnittliche Greifkraft von Mädchen bei nur noch etwa 65 % derjenigen von Jungen.

Dieser Verlauf war in allen untersuchten Ländern nahezu gleich und hat sich seit den 1960er Jahren kaum verändert – trotz sozialer Entwicklungen wie dem gestiegenen Sportengagement von Mädchen.

Was steckt dahinter? Biologie vs. Umwelt

Die Ergebnisse werfen ein Schlaglicht auf die altbekannte, aber noch immer kontrovers diskutierte Frage, ob solche Unterschiede biologisch "vorprogrammiert" oder sozial "anerzogen" sind. Frühere Arbeiten wie etwa jene von Thomas und French (1985) [2] vertraten die Ansicht, die Differenzen seien hauptsächlich sozial bedingt und würden verschwinden, wenn Mädchen und Jungen gleich behandelt würden. Nuzzos Daten widersprechen dieser Hypothese deutlich.

Die Geschlechtsunterschiede in der Muskelkraft bestehen von Geburt an, bleiben bis zur Pubertät moderat stabil und weiten sich danach unter hormonellem Einfluss deutlich aus. Das spricht stark für biologische Ursachen, insbesondere für die Rolle von Testosteron in der männlichen Pubertät, aber auch für körperliche Grundparameter wie Muskelmasse und Zusammensetzung der Muskelfasern. So zeigen Jungen bereits im Vorschulalter mehr fettfreie Muskelmasse und eine etwas andere Körperzusammensetzung. Spätestens ab der Pubertät führen steigende Testosteronspiegel zu überproportionalem Muskelwachstum, insbesondere im Oberkörper – ein klassisches Beispiel für sexuellen Dimorphismus beim Menschen.

Für die Sexualbiologie ist diese Meta-Analyse ein bedeutender Baustein in der Diskussion über Zweigeschlechtlichkeit und körperliche Dimorphie. Sie zeigt, dass geschlechtsspezifische Unterschiede nicht erst durch soziale Rollenbilder entstehen, sondern bereits tief in der biologischen Entwicklung angelegt sind. Gleichzeitig betont die Studie auch die Bandbreite individueller Überschneidungen. Denn natürlich gibt es Mädchen, die stärker greifen als viele Jungen, und umgekehrt. Der muskuläre Dimorphismus zeigt sich also statistisch, nicht absolut oder diagnostisch. Es handelt sich um Verteilungseffekte, nicht um starre Grenzen. Gerade darin liegt die Herausforderung, biologische Fakten nicht mit sozialen Wertungen zu verwechseln.

Quellen

[1] Nuzzo, J.L. (2025), Sex Differences in Grip Strength From Birth to Age 16: A Meta-Analysis. Eur J Sport Sci, 25: e12268. https://doi.org/10.1002/ejsc.12268

[2] Thomas, J. R., & French, K. E. (1985). Gender differences across age in motor performance: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 98(2), 260–282. https://doi.org/10.1037/0033-2909.98.2.260

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