Donnerstag, 1. Mai 2025

Here’s Why Human Sex IS Binary!


Immer wieder werden wissenschaftlich klingende Argumente verwenden, um etablierte biologische Konzepte zu hinterfragen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Artikel "Here’s Why Human Sex Is Not Binary" von Agustín Fuentes, erschienen im Mai 2023 im Scientific American. Der Text wird häufig präsentiert, wenn es darum geht, die Binarität des "biologischen" Geschlechts zu bestreiten. Doch was sagt der Artikel tatsächlich und was ist von seinen Argumenten zu halten?

Fuentes beginnt mit einer klaren Ablehnung der Vorstellung, dass die Produktion von Sexualzellen (Gameten) – also von Spermien oder Eizellen – ausreiche, um das "biologische" Geschlecht eines Menschen zu definieren. Diese Definition, so seine Kritik, werde von Politikern und konservativen Stimmen verwendet, um Rechte und gesellschaftliche Positionen abzuleiten. Damit wirft er der Gameten-basierten Definition von Geschlecht (Sexus) vor, sie sei nicht nur reduktionistisch, sondern politisch motiviert. Bereits hier zeigt sich ein grundlegendes Problem. Fuentes verknüpft eine biologische Definition mit gesellschaftlicher Normsetzung und vermischt damit deskriptive Wissenschaft mit normativer Argumentation.

Im weiteren Verlauf stützt sich Fuentes auf Beobachtungen im Tierreich. Er verweist auf Fische, Würmer und Reptilien, bei denen die Geschlechtsfunktionen flexibel oder kombiniert auftreten, wie etwa bei Arten, die ihr Geschlecht im Laufe des Lebens wechseln oder sich parthenogenetisch (also ohne Männchen) fortpflanzen. Diese Diversität soll belegen, dass die Reproduktionsbiologie auch außerhalb eines binären Schemas funktionieren kann. Doch hier wird ein Kategorienfehler begangen. Die Existenz außergewöhnlicher Fortpflanzungssysteme bei Tieren widerlegt nicht die binäre Struktur des Geschlechts, die sich evolutionsbiologisch aus einer Zwei-Gameten-Strategie (Anisogamie) ableitet. Dass manche Spezies diese Binarität nicht in getrennten Geschlechtskörpern ausprägen und sich deshalb anders entwickeln als getrenntgeschlechtliche Organismen (Gonochoristen), sagt nichts darüber aus, ob der Mensch als Spezies nun zwei Geschlechter besitzt oder nicht. Spoiler: Ja, das tut er als anisogamer Gonochorist.

Fuentes betont wiederholt, dass zwar Gameten binär seien, aber die sie produzierenden Körper samt ihrer Physiologie, Anatomie und Verhaltensweisen es nicht seien. In seinen Augen sei es daher "schlechte Wissenschaft", menschliches Geschlecht allein auf die Fähigkeit zur Gametenproduktion zu reduzieren. Doch hier missversteht er die Intention der biologischen Definition. Sie beansprucht nicht, alle Aspekte von Verhalten, Sozialrollen oder Persönlichkeit universell zu erfassen. Vielmehr beschreibt sie Sexus funktional, also nach der Rolle eines Organismus in der sexuellen Fortpflanzung (Sex = Gameten-Fusion), basierend auf der Produktion (bzw. dem Potenzial zur Produktion) von Mikro- oder Makrogameten. Diese Definition ist präzise und kategorial – gerade weil sie nicht vorgibt, komplexe psychologische oder soziale Eigenschaften zu erklären. Dieser reduktionistische Ansatz ist deshalb kein Schwachpunkt der binären Definition, sondern ihre Stärke. Die biologische Geschlechtsdefinition beschreibt Sexus somit explizit nicht nach seinen stereotypischen Hobbys, Interessen oder seinem Sozialverhalten. Dass etwa Fürsorgeverhalten, Muskelmasse oder Berufswahl nicht allein vom Geschlecht abhängen, bestreitet kaum jemand in der modernen Sexualforschung. Fuentes konstruiert hier einen Strohmann, um ein Argument zu entkräften, das so kaum jemand in der Fachliteratur ernsthaft aufstellt.

Deutlich wird an mehreren Stellen, dass es Fuentes letztlich nicht nur um eine wissenschaftstheoretische Klärung geht. Der Artikel kulminiert in einem politischen Appell: Wer an der Gameten-basierten Definition des Geschlechts festhält, tue dies nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus diskriminierenden Motiven mit historischen Parallelen zu Rassismus, Sexismus und Homophobie. Hier verlässt der Autor den Boden nüchterner Analyse endgültig. Denn die biologische Realität, dass Menschen entweder Spermien oder Eizellen produzieren (können), ist kein soziales Konstrukt, sondern ein funktionales Faktum. Wer daraus politische Rechte (oder deren Verwehrung) ableitet, argumentiert politisch, nicht wissenschaftlich. In der kritischen Auseinandersetzung solcher Vorkommnisse nun aber umgekehrt biologische Begriffe ideologisch zu delegitimieren, ist ebenso gefährlich und letztlich unredlich.

Hinzu kommt und durchaus positiv anzumerken ist, dass der Artikel selbst als Meinungsbeitrag gekennzeichnet ist. "This is an opinion and analysis article…" steht am Ende – eine wichtige Klarstellung, die im hitzigen Diskurs oft übersehen oder bewusst ignoriert wird. Es handelt sich demnach nicht um eine peer-reviewte Veröffentlichung mit neuem Erkenntnisgewinn, sondern um eine persönliche Interpretation, die wissenschaftlich nicht verifiziert ist. Dennoch wird sie in aktivistischen und bildungspolitischen Kontexten häufig zitiert, als sei sie ein naturwissenschaftlicher Beleg für die Dekonstruktion biologischer Kategorien.

Zweifellos ist Agustín Fuentes ein profilierter Anthropologe mit naturalistischem Hintergrund. Er ist kein Soziologe und auch kein Influencer oder Aktivist im klassischen Sinne. Doch auch ausgebildete Naturwissenschaftler sind nicht vor ideologischer Überformung gefeit. Es gibt schließlich auch Biologen, die Intelligent Design als pseudowissenschaftliche Ausformung des kreationistischen Schöpfungsmythos vertreten oder die Existenz von Viren leugnen. Maßgeblich ist daher nicht die in Debatten häufig in Form eines Argumentum ad verecundiam betonte wissenschaftliche Reputation einer Person, sondern ausschließlich deren wissenschaftliche Argumentation. Ist diese empirisch prüfbar, logisch konsistent und falsifizierbar? Im Fall des hier diskutierten Artikels lautet die Antwort: nein.

Wer ernsthaft über Geschlecht sprechen will, sollte zwischen biologischer Realität und politischer Rhetorik unterscheiden. Die Definition des Sexus über die Fortpflanzungsfunktion ist biologisch sinnvoll, universell einsetzbar, kategorial und wird in jeder einzelnen Artbeschreibung eines neu in der Natur entdeckten, anisogamen Gonochoristen fortlaufend bestätigt. Ausprägungen der Zweigeschlechtlichkeit, die als "Zwischenphänomene" (fehl)interpretiert werden können, sind der sexualbiologischen Forschung hinlänglich bekannt. Sie stellen die Binarität von Geschlecht jedoch nicht infrage, sondern bestätigen diese sogar. Dass daraus keine pauschalen Aussagen über Persönlichkeit, Fähigkeiten oder soziale Rollen folgen, ist selbstverständlich, aber ausdrücklich kein Argument gegen die binäre Natur des Geschlechts.

Die Ironie vieler gegenwärtiger Debatten rund um Geschlecht und Biologie besteht darin, dass ausgerechnet jene Stimmen, die sich lautstark gegen "Essentialismus" oder "Biologismus" wenden, selbst mit "biologistisch" klingenden Argumenten operieren. Biologische Kategorien werden dabei rhetorisch umdefiniert, verzerrt und ideologisch aufgeladen. Aus der real existierenden Komplexität biologischer Systeme wird ein normativer Relativismus konstruiert, der nicht nur wissenschaftlich unbegründet, sondern auch politisch motiviert ist. Die Berufung auf Tierverhalten, Extremfälle oder soziale Variabilität dient dabei oft weniger der Erkenntnis als der Erzeugung von Deutungshoheit. Wer dabei Begriffe wie "Geschlecht" systematisch entkernt, um sie ideologisch anschlussfähig zu machen, betreibt keine Wissenschaftskritik und schon gar keine Wissenschaft, sondern eine rhetorische Aneignung von Wissenschaft zur Legitimation vorgefasster Überzeugungen.

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