Sonntag, 29. Juni 2025

Neandertaler: Wie Spermienkonkurrenz sein Schicksal entschied

Die Frage, warum Neandertaler nach der Ankunft des modernen Menschen in Eurasien so rasch verschwanden, beschäftigt die Forschung seit Jahrzehnten. Lange Zeit ging man davon aus, dass es nur wenige Kontakte zwischen beiden gab. Doch moderne DNA-Analysen haben dieses Bild grundlegend verändert. Eine Studie von Li und Kollegen aus dem Jahr 2024 zeigt, dass der genetische Austausch zwischen Neandertalern und Homo sapiens über mindestens 200.000 Jahre hinweg immer wieder stattfand [1]. Dabei kam es nicht nur zu Neandertaler-DNA in unserem Genom, sondern auch zu Genfluss in die andere Richtung: Auch Neandertaler trugen Erbgut moderner Menschen in sich.

Die Ergebnisse der Studie deuten zudem darauf hin, dass die Neandertaler-Population etwa 20 % kleiner war als bisher angenommen. Gleichzeitig zeichnet sich ein Bild ab, in dem der Neandertaler allmählich in der größeren, genetisch dynamischeren Population des modernen Menschen aufging. Diese Erkenntnis stützt die Hypothese, dass Neandertaler nicht "ausgestorben" sind, sondern vielmehr durch Assimilation im Genpool des Homo sapiens weiterleben.

Warum jedoch so schnell?

Auch wenn diese Erklärung mittlerweile breit akzeptiert ist, bleibt ein Rätsel: Warum verlief dieser Prozess so rasch? Neandertaler verschwanden innerhalb weniger Jahrtausende – eine kurze Spanne in der Menschheitsgeschichte. Hier setzen die Überlegungen von Prof. Markus Neuhäuser (Hochschule Koblenz) und Prof. Graeme Ruxton (University of St Andrews) an. Sie schlagen in einem Kommentar zur Studie vor, dass die Antwort teilweise in einem unscheinbaren, aber entscheidenden Detail der Fortpflanzungsbiologie liegen könnte: der Spermienkonkurrenz.

Wenn Spermien gegeneinander antreten

Unter Spermienkonkurrenz versteht man den direkten Konkurrenzkampf der Spermien verschiedener Männchen um die Befruchtung einer Eizelle. Dieser tritt besonders dann auf, wenn Weibchen innerhalb kurzer Zeit mit mehreren Partnern Geschlechtsverkehr haben. Arten, die stärker an diesen Wettbewerb angepasst sind, entwickeln typischerweise Merkmale wie eine höhere Spermienzahl oder eine verbesserte Beweglichkeit der Spermien sowie anatomische "Upgrades" in Form von größeren Hoden oder längeren Penes.

Neuhäuser und Ruxton argumentieren, dass Homo sapiens in diesem Wettbewerb gegenüber den Neandertalern Vorteile besaß. Zum einen lebten moderne Menschen in größeren Sozialgruppen [2][3]. Das erhöhte nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass Weibchen (sowohl Neandertalerinnen als auch "moderne Frauen") überhaupt mit Männchen aus Homo-sapiens-Gruppen in Kontakt kamen, sondern auch die Zahl potenzieller Partner pro Weibchen. Größere Gruppen bedeuten gleichzeitig intensivere innerartliche Konkurrenz unter Männchen, was über lange Zeiträume hinweg stärkere Anpassungen an die Spermienkonkurrenz begünstigt haben dürfte.

Demgegenüber scheinen Neandertaler in kleineren, enger verwandten Gruppen gelebt zu haben. Genetische Analysen deuten auf patrilokale Strukturen hin [4]: Männchen blieben in ihrer Geburtsgruppe, während Weibchen zwischen Gruppen wechselten. Dadurch waren viele Neandertaler-Männchen einer Gruppe eng miteinander verwandt. Unter solchen Bedingungen ist der evolutionäre Druck auf Spermienkonkurrenz schwächer, weil enge Verwandte weniger gegeneinander "investieren", wenn es um Nachkommen geht.

Ein biologischer Vorsprung

Traten Neandertaler und moderne Menschen also in Kontakt, hatten die Spermien "moderner Männer" häufig die besseren Karten. Das könnte erklären, warum sich der Genfluss so deutlich in Richtung Homo sapiens verschob und weshalb der Neandertaler so schnell genetisch "aufgesogen" wurde. Die Spermienkonkurrenz allein erklärt sein Verschwinden sicherlich nicht alleine. Faktoren wie Klimawandel oder kulturelle Unterschiede spielten ebenso eine Rolle. Doch sie könnte das fehlende Puzzlestück sein, um die erstaunliche Geschwindigkeit der Assimilation zu verstehen.

Fazit

Die Geschichte von Neandertalern und modernen Menschen fand kein abruptes Ende, sondern war geprägt durch einen langen Prozess gegenseitiger Vermischung. Evolutionäre Vorteile im Wettkampf der Spermien könnten mit dazu beigetragen haben, dass Homo sapiens nicht nur überlebte, sondern sich in kurzer Zeit als alleinige Menschenart durchsetzte.

Quellen

[1] Liming Li et al., Recurrent gene flow between Neanderthals and modern humans over the past 200,000 years. Science 385, eadi1768 (2024). DOI: 10.1126/science.adi1768

[2] J. Duveau,G. Berillon,C. Verna,G. Laisné, & D. Cliquet, The composition of a Neandertal social group revealed by the hominin footprints at Le Rozel (Normandy, France), Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 116 (39) 19409-19414, https://doi.org/10.1073/pnas.1901789116 (2019).

[3] Jean-Pierre Bocquet-Appel and Anna Degioanni, Neanderthal Demographic Estimates, Current Anthropology 2013 54:S8, S202-S213. DOI: 10.1086/673725

[4] C. Lalueza-Fox,A. Rosas,A. Estalrrich,E. Gigli,P.F. Campos,A. García-Tabernero,S. García-Vargas,F. Sánchez-Quinto,O. Ramírez,S. Civit,M. Bastir,R. Huguet,D. Santamaría,M.T.P. Gilbert,E. Willerslev, & M. de la Rasilla, Genetic evidence for patrilocal mating behavior among Neandertal groups, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 108 (1) 250-253, https://doi.org/10.1073/pnas.1011553108 (2011).

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