Freitag, 21. November 2025

EU-Initiative gegen Konversionstherapien

In den vergangenen Monaten rückte eine Europäische Bürgerinitiative in den Fokus, die ein EU-weites Verbot sogenannter "Konversionstherapien" fordert. Auslöser waren unter anderem zugespitzte Kommentare, in denen die Befürchtung geäußert wurde, die EU wolle künftig Ärzte und Psychologen kriminalisieren oder Beratungsarbeit im Bereich der Geschlechtsidentität unmöglich machen. Doch was genau steht hinter der Initiative? Wie unterscheidet sie sich von der bestehenden Rechtslage in Deutschland? Und welche Folgen hätte ein EU-weites Verbot tatsächlich?

Was fordert die EU-Bürgerinitiative?

Die registrierte Europäische Bürgerinitiative "Verbot von Konversionsmaßnahmen in der Europäischen Union" verlangt von der EU-Kommission ein rechtsverbindliches Verbot aller Maßnahmen, die darauf abzielen, die umgangssprachlich als "sexuelle Orientierung" bezeichnete erotische Veranlagung, die Geschlechtsidentität (also das intrinsische Wissen über das eigene Geschlecht) oder den Geschlechtsausdruck (also die nach außen basierend auf gesellschaftlichen Stereotypen präsentierte Geschlechtszugehörigkeit) von sogenannten "LGBTQ-Personen" zu verändern, zu unterdrücken oder einzuschränken. Die Forderung geht dabei weit über medizinische oder psychologische Therapieformen hinaus. Als "Konversionsmaßnahmen" gelten nach dem Initiativtext auch religiöse Praktiken wie Exorzismen, hypnotische Beeinflussung, homöopathische "Behandlungen" oder andere Formen der psychischen oder physischen Manipulation.

Die Initiatoren sehen solche Eingriffe als menschenrechtswidrig und berufen sich auf Empfehlungen der Vereinten Nationen sowie einzelner EU-Gremien. Ziel sei daher ein EU-weiter Rechtsrahmen, der diese Praktiken untersagt – idealerweise über verbindliche europäische Normen und Mindeststrafen. 
 
In vielen EU-Staaten existieren gar keine oder nur sehr schwache Gesetze zum Schutz vor Konversionsmaßnahmen. Die Initiative will daher eine Angleichung schaffen, um Betroffene auch in Ländern zu schützen, die bisher untätig geblieben sind. Welche Form diese Harmonisierung letztlich annimmt, hängt jedoch von politischen Mehrheiten ab. Denn eine registrierte Bürgerinitiative zwingt die EU-Kommission lediglich zu einer formalen Auseinandersetzung und einer offiziellen Antwort. Sie ersetzt nicht den Gesetzgebungsprozess und erzeugt noch kein Verbot.

Tatbestand als "Euro-Crime" gefordert

Ein besonders viel diskutierter Punkt ist die Forderung, Konversionsmaßnahmen in den juristischen Bereich der sogenannten "Euro-Crimes" aufzunehmen. Hinter dem technisch klingenden Begriff verbirgt sich ein Instrument des EU-Rechts: Die EU darf für bestimmte schwere Kriminalitätsbereiche eigene strafrechtliche Mindeststandards erlassen – etwa Terrorismus, Menschenhandel, Kinderpornografie oder Geldwäsche. Die Liste dieser Delikte ist jedoch nicht offen, sondern kann nur einstimmig durch alle Mitgliedstaaten erweitert werden.

Würde Konversionstherapie in diese Liste aufgenommen, könnte die EU direkt Eingriffe in die nationalen Strafgesetzbücher vorgeben. Politisch wäre das ein großer Schritt – und keineswegs selbstverständlich, denn Einstimmigkeit im Strafrecht ist notorisch eher schwer zu erreichen. Wahrscheinlicher wären leisere Wege, etwa eine Richtlinie zur Harmonisierung vorhandener nationaler Verbote oder Erweiterungen bestehender Gleichstellungs- und Opferschutzrichtlinien.

Situation in Deutschland

Deutschland hat bereits 2020 ein "Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen" (KonvBehSchG) eingeführt. Dieses verbietet Konversionstherapien grundsätzlich bei Minderjährigen sowie bei Erwachsenen, deren Zustimmung aufgrund eines Willensmangels nicht frei erfolgt. Verstöße können mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe geahndet werden, und auch Werbung oder Vermittlung ist untersagt.

Im Vergleich zur EU-Initiative fällt auf, dass das deutsche Gesetz sich auf "Behandlungen" konzentriert – also medizinische oder psychologische Eingriffe. Spirituelle oder nichtmedizinische Praktiken werden zwar nicht automatisch freigestellt, sind aber weniger ausdrücklich adressiert. Das EU-Konzept definiert Konversionsmaßnahmen erheblich breiter und würde auch Praktiken erfassen, die nicht von Fachpersonal durchgeführt werden.

Während Deutschland bereits strafrechtliche Sanktionen kennt, würde ein EU-Verbot diese harmonisieren oder verschärfen – je nach endgültigem Vorschlag der Kommission. Für Deutschland würde ein EU-Verbot daher keine völlige Neuerung darstellen, allerdings könnte es entweder Lücken schließen oder bestehende Regelungen ausweiten.
 

Gefahr für Behandlungs- und Diagnostikfreiheit

Besonders sensibel wird die Frage, wie ein gesetzliches Verbot von Konversionsmaßnahmen in der Praxis auf die diagnostische und therapeutische Arbeit wirkt. Denn zwischen offensichtlich übergriffigen Eingriffen – etwa der gezielten "Umpolung" gegen den Willen der betroffenen Person – und einer ergebnisoffenen klinischen Diagnostik entsteht ein Graubereich, der weder juristisch noch medizinisch bisher zufriedenstellend definiert ist.

In der Begutachtung und Behandlung von Geschlechtsdysphorie existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Ursachen, die nicht alle mit einer intrinsischen Transidentität gleichzusetzen sind. Dazu zählen etwa autogynophile Ausprägungen, traumatisch bedingte Identitätskonflikte, der Versuch, die eigene erotische Veranlagung zu überwinden, oder auch das aktuell häufig diskutierte Phänomen einer spät oder plötzlich auftretenden Geschlechtsdysphorie (Rapid-Onset Gender Dysphoria (ROGD)). Aus sexualwissenschaftlicher und psychotherapeutischer Sicht handelt es sich dabei jeweils um voneinander abzugrenzende Diagnosehypothesen, die im Rahmen einer sauberen Differenzialdiagnostik ohne Vorannahme des Ergebnisses geprüft werden müssen.

Genau hier entsteht die aus unserer Sicht berechtigte Sorge von Kritikern der EU-Initiative, dass ein weit gefasstes Verbot die notwendige diagnostische Offenheit einschränken könnte. Wenn bereits das Hinterfragen als Konversionsansatz gewertet werden kann, wird der Kern professioneller Diagnostik tangiert. Denn eine Diagnose setzt voraus, dass nicht nur mögliche "falsche" Interventionen ausgeschlossen, sondern auch unterschiedliche Entwicklungsmechanismen verstanden werden dürfen. Das gilt sowohl für Betroffene, die am Ende einer sozialen oder medizinischen Transition bedürfen, als auch für jene, bei denen Psychotherapie oder Psychiatrie zielführendere Wege sind.

Das führt zu einem zweiten Problem: Nicht in jedem Fall ist klar, welche therapeutische Richtung überhaupt als "Konversion" gelten würde. Eine Therapie, die beispielsweise trotz massiver intrinsischer Geschlechtsdysphorie ausschließlich darauf abzielt, die Person an ihr Geburtsgeschlecht anzupassen, würde zweifellos als konversionsorientiert gelten. Bei ROGD oder anderen erklärbaren Ursachen wäre hingegen das Gegenteil problematisch: wenn die psychischen oder sozialen Hintergründe ungeprüft bleiben und unmittelbar eine Transition eingeleitet wird, wäre das ebenfalls eine Form der unzulässigen Vorsteuerung des Ergebnisses – nur eben in die andere Richtung. Für die betroffene Person kann beides eine unerwünschte, externe Umformung des Selbst bedeuten.

Genau deshalb ist es entscheidend, dass Diagnostik nicht als Konversion fehlinterpretiert werden kann. Bisher leisten weder das deutsche Gesetz noch die europäische Initiative eine ausreichend klare Abgrenzung zwischen schädlicher Umpolung und legitimer diagnostischer Klärungsarbeit. Solange diese juristische Schärfung fehlt, bleibt das Risiko bestehen, dass Experten eher defensiv agieren – sei es aus Angst vor Fehlinterpretation, rechtlichen Konsequenzen oder öffentlichem Druck. Leidtragende wären dann vor allem diejenigen, die fachlich beraten werden möchten, bevor sie lebensverändernde Entscheidungen treffen.

Fazit

Die EU-Bürgerinitiative gegen Konversionsmaßnahmen verfolgt ein ernstes Anliegen: Sie will Praktiken verbieten, die von internationalen Organisationen und auch von uns als IG Sexualbiologie als schädlich, erniedrigend oder gar folterähnlich eingestuft werden. Viele Staaten, darunter Deutschland, haben solche Verbote bereits – andere noch nicht. Die Initiative würde also vor allem dort Wirkung entfalten, wo noch Schutzlücken bestehen und Betroffene bislang ungeschützt sind. Gleichzeitig zeigt die Debatte, dass eine saubere Begriffsarbeit notwendig bleibt. Ein Verbot darf nicht dazu führen, dass legitime psychotherapeutische Arbeit kriminalisiert oder politische Diskussionen tabuisiert werden. Die kommenden Monate werden zeigen, ob die Europäische Kommission den Vorschlag der Initiative in konkrete Gesetzgebung überführt – und wenn ja, wie weitreichend sie tatsächlich ist.

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