Die 72 "Geschlechter" des Gender-Baukastens

Neben den beiden real existierenden Geschlechtern, die sich aus der Anisogamie ergeben – also der fundamentalen Unterscheidung zwischen kleinen, beweglichen und großen, unbeweglichen Gameten –, kursieren im Internet Listen mit Dutzenden angeblichen "Geschlechtern". Eine der bekanntesten findet man auf der Gesundheitsplattform 'MedicineNet', wo 72 verschiedene Gender-Bezeichnungen aufgeführt werden: How many genders are there? All 72 genders list

Begriffe wie "genderfluid", "genderflux" oder "caelgender" sollen dort neue Facetten von "Geschlecht" markieren. Auf Biologen, die die materielle Realität in den Blick nehmen, wirkt diese Fülle an Begriffen zunächst befremdlich. Während Geschlecht in der Naturwissenschaft eindeutig definiert ist, erscheint der Katalog an Genderbezeichnungen wie eine Mischung aus Esoterik, Neo-Religion und einem Baukasten zur Erstellung eines Videospielcharakters – jeder kann sich aus den angebotenen Optionen die passende auswählen oder gar eigene Kombinationen zusammenstellen.

Die 72 "Geschlechter"

In einer von uns ins Deutsche übersetzten Liste werden diese 72 Genderbezeichnungen samt kurzer Erläuterung vorgestellt (man betrachte dies als Großzitat):
  1. Agender: Eine Person, die sich mit keinem Geschlecht identifiziert oder kein Geschlecht empfindet. Auch bekannt als null-gender, geschlechtslos, gendervoid oder neutrales Geschlecht.
  2. Abimegender: Ein Geschlecht, das mit Tiefe, Unendlichkeit und Komplexität assoziiert wird. Kann allein oder in Kombination mit anderen Geschlechtern verwendet werden.
  3. Adamasgender: Ein unbestimmbares oder unbeugsames Geschlecht. Personen mit dieser Identität weigern sich, in eine bestimmte Geschlechtskategorie eingeordnet zu werden.
  4. Aerogender: Auch bekannt als evaisgender; eine Geschlechtsidentität, die sich je nach Umgebung verändert.
  5. Aesthetigender: Auch genannt aesthetgender; eine Geschlechtsidentität, die von Ästhetik abgeleitet ist.
  6. Affectugender: Eine Geschlechtsidentität, die auf den Stimmungsschwankungen oder Gefühlslagen einer Person basiert.
  7. Agenderflux:  Eine Person, die meist agender ist, aber gelegentlich andere Geschlechtsidentitäten erlebt.
  8. Alexigender: Eine Person mit einer fließenden Geschlechtsidentität zwischen mehreren Geschlechtern, ohne diese genau benennen zu können.
  9. Aliusgender: Eine Geschlechtsidentität, die sich von bestehenden sozialen Geschlechtskonstrukten unterscheidet; eine starke spezifische Identität, die weder männlich noch weiblich ist.
  10. Amaregender: Eine Geschlechtsidentität, die sich je nach emotionaler Bindung zu einer anderen Person verändert.
  11. Ambigender: Zwei spezifische Geschlechtsidentitäten gleichzeitig ohne Fluidität oder Schwankungen.
  12. Ambonec: Eine Person, die sich sowohl als Mann als auch als Frau identifiziert und dennoch zu keinem von beiden gehört.
  13. Amicagender: Eine geschlechtsfluide Identität, bei der sich das Geschlecht je nach Freundeskreis ändert.
  14. Androgyne: Eine Person empfindet eine Kombination aus weiblichen und männlichen Geschlechtern.
  15. Anesigender: Eine Person fühlt sich einem bestimmten Geschlecht nahe, identifiziert sich jedoch stärker mit einem anderen.
  16. Angenital: Eine Person wünscht sich, keine primären Geschlechtsmerkmale zu haben, identifiziert sich jedoch nicht als geschlechtslos.
  17. Anogender: Eine Geschlechtsidentität, die in ihrer Intensität schwankt, aber stets zum gleichen Geschlechtsgefühl zurückkehrt.
  18. Anongender: Eine Person hat eine Geschlechtsidentität, möchte diese jedoch nicht benennen oder etikettieren.
  19. Antegender: Ein wandelbares Geschlecht, das alles sein kann, aber formlos und unbeweglich ist.
  20. Anxiegender: Eine Geschlechtsidentität, bei der Angst ein dominantes Merkmal ist.
  21. Apagender: Eine Person empfindet Gleichgültigkeit oder ein Fehlen von Gefühlen gegenüber ihrer Geschlechtsidentität.
  22. Apconsugender: Man weiß, was keine Geschlechtsmerkmale sind, aber nicht, was sie sind; daher verbirgt man die primären Merkmale vor sich selbst.
  23. Astergender: Eine Person hat eine helle und himmlische Geschlechtsidentität.
  24. Astralgender: Eine Geschlechtsidentität, die mit Sternen oder dem Universum assoziiert wird.
  25. Autigender: Eine Geschlechtsidentität, die stark von der eigenen Autismus-Erfahrung beeinflusst wird.
  26. Axigender: Eine Geschlechtsidentität, die sich um eine Achse dreht; eine zentrale Identität mit verschiedenen Aspekten.
  27. Bigender: Eine Person identifiziert sich mit zwei Geschlechtern, entweder gleichzeitig oder abwechselnd.
  28. Blurgender: Eine Geschlechtsidentität, die verschwommen oder unklar ist.
  29. Boyflux: Eine Person identifiziert sich als männlich, jedoch mit schwankender Intensität.
  30. Burstgender: Eine Geschlechtsidentität, die plötzlich und intensiv auftritt, aber nur kurz anhält.
  31. Caelgender: Eine Geschlechtsidentität, die mit dem Himmel oder dem Weltraum verbunden ist.
  32. Cassgender: Eine Person empfindet ihre Geschlechtsidentität als unwichtig oder irrelevant.
  33. Cendgender: Eine Geschlechtsidentität, die sich dem Ende zuneigt oder sich auflöst.
  34. Ceterogender: Eine Geschlechtsidentität, die sich von männlich und weiblich unterscheidet, aber dennoch spezifisch ist.
  35. Cisgender: Eine Person, deren Geschlechtsidentität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.
  36. Cloudgender: Eine Geschlechtsidentität, die vage, undefiniert oder schwer zu fassen ist.
  37. Collgender: Eine Geschlechtsidentität, die aus mehreren Geschlechtern besteht, die sich zu einer neuen Identität vermischen.
  38. Colorgender: Eine Geschlechtsidentität, die mit einer bestimmten Farbe assoziiert wird.
  39. Commogender: Eine Geschlechtsidentität, die durch gesellschaftliche Normen beeinflusst oder definiert ist.
  40. Condigender: Eine Geschlechtsidentität, die nur unter bestimmten Bedingungen oder Umständen existiert.
  41. Deliciagender: Eine Geschlechtsidentität, die angenehm oder erfreulich ist.
  42. Demiboy: Eine Person, die sich teilweise, aber nicht vollständig als männlich identifiziert.
  43. Demifluid: Eine Geschlechtsidentität, die teilweise fest und teilweise fließend ist.
  44. Demigender: Eine Person, die sich teilweise, aber nicht vollständig mit einem bestimmten Geschlecht identifiziert.
  45. Demigirl: Eine Person, die sich teilweise, aber nicht vollständig als weiblich identifiziert.
  46. Domgender: Eine dominante Geschlechtsidentität, die andere Geschlechter beeinflusst oder kontrolliert.
  47. Duragender: Eine langanhaltende oder dauerhafte Geschlechtsidentität.
  48. Egogender: Eine Geschlechtsidentität, die stark mit dem eigenen Selbst oder Ego verbunden ist.
  49. Epicene: Eine Person, die sowohl männliche als auch weibliche Merkmale aufweist oder eine neutrale Geschlechtsidentität hat.
  50. Espigender: Eine Geschlechtsidentität, die spirituell oder metaphysisch ist.
  51. Exgender: Eine Person, die sich außerhalb der traditionellen Geschlechtskategorien identifiziert.
  52. Femfluid: Eine Geschlechtsidentität, die zwischen verschiedenen weiblichen Identitäten fließt.
  53. Femgender: Eine Geschlechtsidentität, die stark weiblich ist oder sich mit Weiblichkeit identifiziert.
  54. Fluidflux: Eine Geschlechtsidentität, die sowohl fließend als auch in ihrer Intensität schwankend ist.
  55. Gemigender: Eine Geschlechtsidentität, die aus zwei verschiedenen Geschlechtern besteht, die miteinander verschmolzen sind.
  56. Genderblank: Eine Geschlechtsidentität, die leer oder unbestimmt ist.
  57. Genderflow: Eine Geschlechtsidentität, die sich kontinuierlich verändert oder fließt.
  58. Genderfluid: Eine Person, deren Geschlechtsidentität zwischen verschiedenen Geschlechtern wechselt.
  59. Genderfuzz: Eine Geschlechtsidentität, bei der mehrere Geschlechter miteinander verschwimmen.
  60. Genderflux: Eine Geschlechtsidentität, deren Intensität schwankt.
  61. Genderpuck: Eine Person, die sich weigert, sich an gesellschaftliche Geschlechternormen anzupassen.
  62. Genderqueer: Eine Person, die die traditionellen Geschlechtergrenzen in Frage stellt oder überschreitet.
  63. Girlflux: Eine Person, die sich als weiblich identifiziert, jedoch mit schwankender Intensität.
  64. Healgender: Eine Geschlechtsidentität, die der Person Frieden, Ruhe und Positivität bringt.
  65. Mirrorgender: Eine Geschlechtsidentität, die sich je nach den Menschen in der Umgebung verändert.
  66. Omnigender: Eine Person, die alle Geschlechter hat oder erlebt.
  67. Pangender: Eine Person, die sich mit vielen oder allen Geschlechtern identifiziert.
  68. Polygender: Eine Person, die sich mit mehreren Geschlechtern gleichzeitig identifiziert.
  69. Quoigender: Eine Geschlechtsidentität, die schwer zu definieren oder zu kategorisieren ist.
  70. Subgender: Eine Geschlechtsidentität, die unter einer anderen Geschlechtsidentität existiert oder davon abgeleitet ist.
  71. Trigender: Eine Person, die sich mit drei verschiedenen Geschlechtern identifiziert.
  72. Two-Spirit: Ein Begriff aus indigenen nordamerikanischen Kulturen für Personen, die sowohl männliche als auch weibliche Eigenschaften oder Rollen verkörpern.
Manche Begriffe klingen noch vergleichsweise vertraut, etwa "genderfluid" oder "bigender", die eine gewisse Flexibilität in der Selbstwahrnehmung beschreiben. Andere hingegen wirken poetisch oder metaphorisch: "caelgender" steht für ein "Geschlecht", das mit dem Himmel verbunden ist, "cloudgender" beschreibt eine Identität, die verschwommen und undefiniert bleibt. Schon die Wortwahl verrät, dass es hier nicht um biologische Kategorien geht, sondern um individuelle Empfindungen, die sprachlich in symbolische Bilder gegossen werden.

Diskussion

Als naturalistisch orientierte Interessengemeinschaft sehen wir die Notwendigkeit, klar zwischen Geschlecht und Identität zu unterscheiden. Biologisch gibt es, basierend auf der Anisogamie, zwei Geschlechter: männlich und weiblich. Dieses Fundament ist nicht verhandelbar, weil es auf reproduktiven Tatsachen beruht. Gleichzeitig erkennen wir an, dass Menschen aufgrund pränataler Entwicklungsstörungen eine angeborene Geschlechtsidentität besitzen, die nicht mit ihrem Geschlecht übereinstimmt. In diesem Punkt stehen wir Milton Diamond näher als John Money: Geschlechtsidentität ist tief verankert, nicht beliebig sozial formbar (siehe Der John/Joan-Fall).

Die Flut an neuen "Gendern" im Sinne eines "sozialen Geschlechts" (zur biologischen Definition siehe Was bedeutet "Gender" aus biologischer Sicht?) lässt sich jedoch nicht durch biologische oder entwicklungspsychologische Forschung stützen. Vielmehr entspringen diese Konzepte einer kulturtheoretischen Strömung, die seit den 1990er Jahren in den Gender Studies verbreitet wurde. Hier gilt "Geschlecht" nicht mehr als biologische Tatsache, sondern als soziales Konstrukt. Folgerichtig wird die Zahl der möglichen Identitäten prinzipiell unendlich – jeder subjektive Eindruck oder jede Stimmungslage kann ein "Gender" begründen. Das erklärt auch, warum viele der Begriffe redundante oder überlappende Bedeutungen haben.

An die Stelle naturwissenschaftlicher Klarheit tritt dadurch ein Kaleidoskop von Selbstbeschreibungen, die eher der Selbstdarstellung oder dem Gemeinschaftsgefühl in Online-Subkulturen dienen als einer realitätsbezogenen Analyse des Menschen. Dass dies manchen Menschen hilft, ihr Empfinden auszudrücken, sei ihnen zugestanden. Doch sobald diese Begriffe als gleichwertige Alternativen zu biologischen Kategorien behandelt werden, verwischt die Grenze zwischen Wissenschaft und Beliebigkeit.

Auf MedicineNet heißt es: "The idea is to make everyone feel comfortable in their skin irrespective of what gender they were assigned at birth." Ins Deutsche übersetzt: "Die Idee ist, dass sich jeder in seiner Haut wohlfühlt, unabhängig davon, welches Geschlecht ihm bei der Geburt zugewiesen wurde." Davon abgesehen, dass das Geschlecht bei der Geburt nicht "zugewiesen", sondern anhand körperlicher Merkmale mit einer Sicherheit von etwa 99,98 % objektiv festgestellt wird, ist es in der medizinischen Versorgung in erster Linie wichtig, Geschlecht rational zu betrachten und geschlechtsspezifische Erkrankungen ebenso geschlechtsspezifisch zu behandeln. Subjektive Identitäten sind dafür irrelevant. Eine Frau mit Zervixkarzinom wird entsprechend ihres weiblichen Geschlechts behandelt, selbst dann, wenn sie sich als "genderfluider Demiboy" identifiziert. Deshalb erkennt die biowissenschaftliche Gendermedizin die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen auch als Faktum an. Die unkritische Veröffentlichung pseudowissenschaftlicher Ideen in einer laut eigenen Angaben "vertrauenswürdigen Quelle für Online-Informationen zu Gesundheit und Medizin", betrieben von 70 US-amerikanischen Fachärzten (!), finden wir beklemmend.

Auffällig ist zudem, dass manche dieser Begriffe weniger nach einer stabilen Geschlechtsidentität klingen, sondern eher Assoziationen zu psychischen Störungen oder instabilen Persönlichkeitsmustern wecken. So wird etwa "Affectugender" als "Geschlecht" beschrieben, das stark von der jeweiligen Stimmung abhängt, während "Amicagender" sich nach den Personen richtet, mit denen man gerade in Beziehung steht. Solche Konzepte erinnern mehr an fluktuierende emotionale Zustände oder an abhängige Persönlichkeitszüge als an eine tief verankerte Identität. Hier zeigt sich besonders deutlich die Gefahr, psychische Dynamiken mit Geschlecht im Allgemeinen bzw. Geschlechtsidentität im Speziellen zu verwechseln.

Und manchmal wirken die Begriffe fast unfreiwillig komisch. So gibt es etwa "Domgender", das durch Dominanz geprägt sein soll. Man könnte es als perfekte Ausrede für all jene Männer lesen, die sich von feministischen Diskursen über "toxische Männlichkeit" belehrt fühlen. Auch das zeigt, wie beliebig dieser Baukasten am Ende werden kann.

Fazit

Die Liste der 72 "Geschlechter" ist ein interessantes kulturhistorisches Phänomen, das viel über den Zeitgeist aussagt. Sie spiegelt den Versuch wider, Identität in unendlicher Vielfalt zu beschreiben, und verleiht subjektivem Empfinden eine Sprache. Aus naturwissenschaftlicher Perspektive bleibt Geschlecht jedoch klar definiert und binär. Die Geschlechtsidentität kann vom Geschlecht abweichen – doch sie ist angeboren und nicht beliebig gestaltbar.

Zwischen materieller Realität und kultureller Selbstbeschreibung sollte daher deutlich unterschieden werden. Sonst riskieren wir, dass am Ende nicht mehr die Natur den Maßstab setzt, sondern ein sprachlicher Baukasten, der mehr über die Fantasie seiner Nutzer aussagt als über den Menschen selbst.

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