Der Begriff "Hermaphroditismus" bezeichnet in der Biologie ein Phänomen, bei dem ein Lebewesen sowohl männliche als auch weibliche Fortpflanzungsorgane ausbildet. Umgangssprachlich spricht man auch von "Zwittern", was auf das althochdeutsche "zwi" für "zwei" zurückgeht – in Anspielung auf die Vereinigung zweier Geschlechter in einem Organismus. Der wissenschaftliche Begriff "Hermaphroditismus" leitet sich hingegen aus der griechischen Mythologie ab: Hermaphroditos war das Kind von Hermes und Aphrodite, das durch die Verschmelzung mit einer Nymphe eine androgyne Gestalt annahm – halb Mann, halb Frau.
Weit verbreitet und vielfältig
Was in der menschlichen Vorstellung oft als Ausnahme erscheint, ist in der Natur keineswegs selten. Hermaphroditismus ist insbesondere im Tier- und Pflanzenreich weit verbreitet und evolutionär von großem Vorteil. Denn wer beide Geschlechter in sich vereint, erhöht seine Fortpflanzungschancen besonders in Habitaten mit wenigen Individuen oder bei sessilen Lebensweisen.
In der Biologie unterscheidet man zwei Hauptformen des Hermaphroditismus: den simultanen und den sequentiellen. Simultane Hermaphroditen (auch Simultanzwitter genannt) verfügen dauerhaft über männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane. Bei der Paarung befruchten sich beide Partner gegenseitig. Ein klassisches Beispiel sind Regenwürmer und auch viele Schneckenarten, wie die Weinbergschnecke, gehören in diese Kategorie.
Anders ist es beim sequentiellen Hermaphroditismus (auch Konsekutivzwitter genannt), bei dem ein Individuum im Laufe seines Lebens das Geschlecht wechselt (Dichogamie). Dies kann in zwei Richtungen verlaufen: Entweder vom Weibchen zum Männchen (protogyn) oder umgekehrt vom Männchen zum Weibchen (protandrisch). Bekannt ist dieses Phänomen beispielsweise bei verschiedenen Fischarten. Die Clownfische, berühmt geworden durch den Film "Findet Nemo", sind protandrisch: Alle Tiere werden zunächst als Männchen geboren und können sich später in Weibchen umwandeln, wenn das soziale Gefüge es erfordert.
Die stillen Hermaphroditen
Auch in der Botanik ist Hermaphroditismus nichts Ungewöhnliches. Die Mehrheit der Blütenpflanzen (Angiospermen) ist zwittrig. Dabei kann eine einzelne Blüte sowohl männliche als auch weibliche Fortpflanzungsorgane enthalten. In der Regel bestehen sie aus Staubblättern (Androeceum) und Fruchtblättern (Gynoeceum), in denen sich die Samenanlagen befinden. Die Staubblätter setzen die Pollen frei, die wiederum die männlichen Geschlechtszellen enthalten. Die sogenannte "Narbe" ist Teil des weiblichen Geschlechtsorgans der Pflanze. Wird die Blüte bestäubt, also ein Pollen auf die Narbe übertragen, wächst ein Pollenschlauch, über den zwei im Pollen enthaltene Spermazellen durch den Griffel zum Embryosack im Fruchtknoten weitergeleitet werden, um dort die Eizelle sowie eine weitere Zentralzelle zu befruchten. Aus der befruchteten Eizelle, der Zygote, entwickelt sich der eigentliche Embryo. Aus der befruchteten Zentralzelle geht das Endosperm hervor, welches eine Art Nährgewebe für den Embryo darstellt.
Wenn man im Alltag scherzhaft davon spricht, dass Pollen das Pendant zu tierischen Spermien seien, ist das biologisch nicht korrekt. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine eigenständige Generation im Lebenszyklus der Pflanze. Der Pollen ist der männliche Gametophyt, der aus dem Staubblatt hervorgeht, und der Embryosack (im Fruchtknoten) ist der weibliche Gametophyt. Beide sind stark reduzierte Nachkommen der jeweiligen Elternpflanze – nicht deren Organe oder Geschlechtszellen, sondern funktionale Einheiten der nächsten Generation. Die eigentlichen Fortpflanzungsorgane sind die Staub- und Fruchtblätter, die diese Gametophyten hervorbringen. Dieser Generationswechsel ist typisch für alle Blütenpflanzen und macht ihre Fortpflanzung so faszinierend komplex.
Typische Vertreter mit solchen Zwitterblüten sind beispielsweise Tomaten, Äpfel oder Rosen. Diese Blütenform ist in der Pflanzenwelt sehr häufig und ermöglicht sowohl Selbstbestäubung als auch Fremdbestäubung – abhängig von Blühzeitpunkten, Blütenbau und Bestäubungsmechanismen. Viele Pflanzen haben darüber hinaus spezielle Anpassungen entwickelt, um eine Selbstbefruchtung (Autogamie) zu vermeiden, etwa durch zeitlich versetztes Reifen von Staub- und Fruchtblättern (Dichogamie) oder durch genetische Inkompatibilität der Pollen.
Eine andere Art von pflanzlichem Hermaphroditismus ist die sogenannte Einhäusigkeit (Monözie). Das bedeutet, dass sowohl männliche als auch weibliche Blüten "unter einem Dach", also auf derselben Pflanze, zu finden sind. Ein bekanntes Beispiel ist der Mais: Er bildet getrennte männliche (Fahne) und weibliche (Kolben) Blüten, die sich auf ein und derselben Pflanze befinden. Im Gegensatz dazu stehen zweihäusige Pflanzen (Diözie), bei denen es getrennte männliche und weibliche Individuen gibt – etwa bei der Kiwi oder beim Ginkgo.
Warum Hermaphroditismus kein "drittes Geschlecht" ist
In der gesellschaftlichen Debatte um Geschlechtsidentität und biologische Vielfalt taucht häufig die Vorstellung auf, Hermaphroditismus sei ein "drittes Geschlecht". Aus biologischer Sicht ist diese Annahme jedoch irreführend – um nicht zu sagen falsch, wenn man von den Grundlagen der biologischen Geschlechtsdefinition ausgeht. Denn die Einteilung von Organismen in "männlich" und "weiblich" erfolgt nicht primär anhand äußerer Merkmale oder Verhalten, sondern anhand der Gametenmorphologie, also der Form und Funktion der Geschlechtszellen.
In der Biologie wird das Geschlecht eines Individuums durch den Typ der Gameten bestimmt, den es bildet: Männlich ist, wer viele, in der Regel mobile Mikrogameten produziert. Weiblich ist, wer wenige, nährstoffreiche und in der Regel unbewegliche Makrogameten bereitstellt. Dieses grundlegende Prinzip gilt im Tierreich ebenso wie bei mehrzelligen Pflanzen mit geschlechtlicher Fortpflanzung und bildet die Basis der sogenannten Anisogamie, also der Verschiedenheit der Geschlechtszellen. Die Existenz nur zweier Gametentypen bedeutet, dass es biologisch betrachtet auch nur zwei Geschlechter gibt.
Ein Hermaphrodit ist nun ein Organismus, der beide Fortpflanzungssysteme gleichzeitig (simultan) oder nacheinander (sequentiell) in sich vereint. Er kann also sowohl Mikro- als auch Makrogameten produzieren. Doch entscheidend ist, dass ein Hermaphrodit keine dritte, neuartige Art von "Mesogameten" produziert. Es handelt sich somit nicht um ein drittes Geschlecht, sondern um eine dritte Kombinationsform der beiden bekannten Geschlechter.
Diese Unterscheidung ist nicht nur begrifflich sauber, sondern auch wichtig für ein korrektes biologisches Verständnis. Hermaphroditen überschreiten nicht die binäre Struktur der Geschlechter im Sinne der Gametentypen, sie kombinieren sie lediglich in einem einzigen Individuum. Damit stehen sie nicht außerhalb des zweigeschlechtlichen Systems, sondern sind ein Teil davon. Der Hermaphroditismus zeigt vielmehr, wie flexibel die Natur innerhalb dieses Systems sein kann, ohne dessen grundsätzliche Logik zu verlassen.
Wenn der Schein trügt
Ein Sonderfall in der Diskussion um Geschlechtsausprägungen ist der sogenannte "Pseudohermaphroditismus". Dabei handelt es sich um Individuen, die auf Basis ihrer Gametenproduktion eindeutig einem Geschlecht zugeordnet sind, aber äußerlich Merkmale des anderen Geschlechts zeigen. Ein besonders interessantes Beispiel liefert die Tüpfelhyäne (Crocuta crocuta): Weibliche Tüpfelhyänen besitzen einen stark vergrößerten, penisähnlichen Klitoris (Pseudopenis), durch die sie urinieren, kopulieren und sogar gebären. Dieses auffällige Merkmal führte lange zu Verwirrung über die Geschlechtszuordnung und brachte den Tieren den Ruf als "Zwitter" ein. Biologisch korrekt sind sie jedoch keine Hermaphroditen, da sie nur weibliche Eizellen bereitstellen. Die Vermännlichung wird hormonell gesteuert und hängt mit dem hohen Testosteronspiegel im Mutterleib zusammen. Der Fall der Hyänen zeigt eindrucksvoll, wie komplex und vielfältig sexuelle Differenzierung im Tierreich sein kann und dass äußerliche Merkmale nicht immer Rückschlüsse auf das funktionale Geschlecht zulassen.
Gibt es Hermaphroditismus beim Menschen?
Aus biologischer Sicht gibt es beim Menschen keinen echten Hermaphroditismus im Sinne der Definition, wie sie bei Tieren oder Pflanzen gilt – also die gleichzeitige oder abwechselnde Produktion beider funktionaler Gametentypen in einem Individuum. Was beim Menschen umgangssprachlich manchmal als "Zwitter" bezeichnet wird, sind medizinisch korrekt sogenannte Disorders of Sex Development (DSD), also Störungen der Geschlechtsentwicklung. Diese umfassen eine Vielzahl von genetischen, hormonellen oder anatomischen Besonderheiten, bei denen die typische Entwicklung der Geschlechtsmerkmale von der Norm abweicht.
Einige dieser DSD können äußerlich an Hermaphroditismus erinnern, stellen biologisch aber meist Formen des Pseudohermaphroditismus dar: Die Betroffenen haben dabei ein, auf Basis der eingeschlagenen Entwicklungsrichtung hin zur Produktion von entweder Eizellen oder Spermien definiertes, eindeutiges Geschlecht. Sie entwickeln jedoch teils äußere Merkmale des anderen Geschlechts z. B. durch hormonelle Einflüsse während der Embryonalentwicklung.
Seltene Sonderformen stellen die Varianten der ovotestikulären DSD dar, bei der sowohl Hoden- als auch Eierstockgewebe im selben Individuum vorkommen. Auch in diesen Fällen ist jedoch keine gleichzeitige Produktion beider funktionalen Gametentypen möglich, da die Geschlechtsdrüsen (Gonaden) in der Regel als sterile Ovotestes vorliegen. Zwar wird die extrem seltene laterale ovotestikuläre DSD, bei der sowohl ein weitestgehend vollständig entwickelter Hoden als auch ein weitestgehend vollständig entwickelter Eierstock ausgebildet wird, von Humanmedizinern gelegentlich als "echter Hermaphroditismus des Menschen" klassifiziert. Da dieser jedoch ohne Weiteres ebenfalls nicht funktional ist, sondern eine pathologische Anomalie darstellt, handelt es sich dabei um keinen echten Hermaphroditismus im Sinne der menschlichen Sexualbiologie.
Bislang wurde noch kein einziger Fall eines Menschen beschrieben, der sowohl Eizellen als auch Spermien produzieren konnte. Labortechniken wie In-vitro-Gametogenese (IVG) bergen zwar das Potenzial, zukünftig sowohl Eizellen als auch Spermien aus derselben Person zu erzeugen, jedoch sind wir beim Menschen von funktioneller Mehrfach-Gametogenese derzeit weit entfernt.
Fazit
Hermaphroditismus ist keine biologische Ausnahme im Sinne eines "dritten Geschlechts", sondern ein funktionales Spezialmodell innerhalb der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung, das auf elegante Weise zeigt, wie vielfältig Fortpflanzungsstrategien in der Natur sein können. Ob bei Regenwürmern, Clownfischen oder Maispflanzen – die Fähigkeit, sowohl männliche als auch weibliche Geschlechtsfunktionen zu erfüllen, bietet in vielen Lebensräumen erhebliche Vorteile.