Die Schwangerschaft ist eine der größten biologischen Innovationen der Evolution der Säugetiere. Doch warum können Säugetiere ihre Nachkommen im Mutterleib tragen, während andere Wirbeltiere Eier legen? Diese scheinbar einfache Frage führt mitten hinein in eines der komplexesten biologischen Systeme überhaupt: die Plazenta. Ein internationales Forschungsteam um Daniel Stadtmauer von der Universität Wien hat nun entschlüsselt, wie neue Zelltypen und ihre Kommunikationsnetzwerke im Laufe der Evolution die Grundlage für die Schwangerschaft bei Säugetieren geschaffen haben [1].
Ein evolutionäres Miteinander von Mutter und Fetus
In ihrer in Nature Ecology & Evolution veröffentlichten Studie verglichen die Forscher die Genaktivität einzelner Zellen aus der Gebärmutter und der Plazenta von sechs Tierarten: Haus-Spitzmausbeutelratte (Monodelphis domestica), Großer Tenrek (Tenrec ecaudatus), Maus (Mus musculus), Meerschweinchen (Cavia porcellus), Makake (Macaca fascicularis) und Mensch (Homo sapiens). Diese Auswahl vom Beuteltier über einen frühen Vertreter der Plazentatiere bis hin zu modernen Plazentatieren deckt zentrale Verzweigungen im Stammbaum der Säugetiere ab und erlaubt es, evolutionäre Neuerungen über Millionen Jahre hinweg nachzuzeichnen. Durch den Vergleich von fast 600.000 einzelnen Zelltranskripten konnten die Forscher nachvollziehen, wie sich bestimmte Zelltypen im Laufe der Evolution verändert und spezialisiert haben.
Im Mittelpunkt der Forschung steht die sogenannte fetal-maternale Schnittstelle – also jener Bereich, in dem sich Zellen des Fetus und der Mutter begegnen, Signale austauschen und Gewebe ineinandergreifen. Hier entsteht eine temporäre, aber hochdynamische Lebensgemeinschaft, in der Kooperation und Kontrolle gleichermaßen überlebenswichtig sind.
Die Entstehung neuer Zelltypen
Besonders spannend ist die Geschichte der Trophoblasten (embryonale Zellen, die in die Gebärmutter eindringen und die Plazenta bilden). Die Studie zeigt, dass sich eine Familie invasiver Trophoblasten bereits bei frühen Säugetiervorfahren herausbildete. Diese Zellen entwickelten im Laufe der Evolution neue Strategien, um mit dem mütterlichen Gewebe zu interagieren – mal tief eindringend wie bei Primaten, mal eher zurückhaltend wie bei Nagetieren.
Auch auf der mütterlichen Seite gab es tiefgreifende Veränderungen. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die decidualen Stromazellen (Zellen, die die Gebärmutterschleimhaut während der Schwangerschaft umbauen und das Eindringen des Embryos regulieren) ursprünglich aus immunregulierenden Vorläufern hervorgingen. Beim Tenrek, einem frühen Vertreter der Plazentatiere, sind diese Vorläuferformen bis heute erhalten. Seine Linie trägt eine Art "Urzelle", die immunologisch aktiv, aber noch nicht hormonproduzierend ist. Erst bei späteren Säugetieren entwickelten sich daraus die hormonell aktiven Zellen, die das Schwangerschaftshormon Prolaktin freisetzen. Damit lässt sich erstmals rekonstruieren, wie aus einem allgemeinen Bindegewebe ein hormonell aktives, schwangerschaftsspezifisches Organ wurde.
Diese Befunde zeichnen ein Bild der Schwangerschaft als evolutionären Prozess in mehreren Stufen: Zuerst entstand ein Zelltyp, der das Immunsystem der Mutter besänftigte und das Eindringen des Embryos tolerierte. Später kamen hormonproduzierende Zellen hinzu, die den mütterlichen Körper gezielt auf die Bedürfnisse des Embryos bzw. im weiteren Schwangerschaftsverlauf des Fetus einstellten. Damit wurde aus einem konfliktträchtigen Kontakt zweier Organismen ein kooperatives System.
Kommunikation als evolutionäre Triebkraft
Ein weiteres zentrales Ergebnis betrifft die Signalübertragung zwischen Mutter und Fetus. Mithilfe bioinformatischer Netzwerkanalysen rekonstruierte das Team, welche Moleküle und Rezeptoren schon die Urahnen der Säugetiere austauschten. Viele dieser frühen Signale wie etwa Relaxin und Prostaglandine spielten eine Schlüsselrolle bei der Koordination zwischen Fetus und Gebärmutter.
Im Laufe der Evolution kam es zu einer bemerkenswerten "Entmischung" dieser Kommunikationswege: Bestimmte Botenstoffe werden heute ausschließlich von fetalen oder ausschließlich von mütterlichen Zellen produziert. Offenbar war diese Spezialisierung ein Weg, um gegenseitige Beeinflussung zu kontrollieren und damit ein evolutionärer Kompromiss zwischen Kooperation und Interessenkonflikt. Bestimmte Botenstoffe werden heute ausschließlich von der einen oder der anderen Seite produziert. Dadurch entstand ein evolutionärer Schutzmechanismus, um zu verhindern, dass der Fetus über Signale zu stark in die mütterliche Physiologie eingreift.
Durch die Kombination von Einzelzell-Transkriptomik, vergleichender Genomanalyse und computergestützter Stammbaurekonstruktion konnten die Forscher sogar die Zellkommunikation ausgestorbener Vorfahren nachzeichnen. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich die komplexe Plazenta der heutigen Säugetiere nicht sprunghaft, sondern durch fortlaufende Anpassungen einzelner Zelltypen und ihrer Signalnetzwerke schrittweise entwickelt hat.
Fazit
Die Studie verdeutlicht eindrucksvoll, dass Evolution kein linearer Prozess ist, sondern ein feines Zusammenspiel von Kooperation und Konflikt. Sie liefert einen tiefen Einblick in die Entstehung eines der zentralen Merkmale der Säugetiere: der lebendgebärenden Fortpflanzung. Die Schwangerschaft – einst eine riskante Anpassung – erwies sich als evolutionäres Erfolgsmodell, getragen von Zellen, die buchstäblich "gelernt" haben, miteinander zu "sprechen". Für die Sexualbiologie eröffnet dies neue Perspektiven, denn es offenbart, wie sich Fortpflanzung nicht nur auf genetischer, sondern auch auf zellulärer Ebene weiterentwickelt. Die Schwangerschaft ist nicht nur ein physiologischer Zustand, sondern ein evolutionäres Gemeinschaftsprojekt zweier Organismen, die sich im Laufe der Zeit zu einer einzigartigen biologischen Allianz entwickelt haben.
Quellen
[1] Stadtmauer, D.J., Basanta, S., Maziarz, J.D. et al. Cell type and cell signalling innovations underlying mammalian pregnancy. Nat Ecol Evol 9, 1469–1486 (2025). https://doi.org/10.1038/s41559-025-02748-x

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