In unserem gestrigen Beitrag zur geplanten Aufnahme der Kategorie "sexuelle Identität" in Artikel 3 des Grundgesetzes sowie über die Aktion "Grundgesetz schützen" (grundgesetz-schuetzen.de) hatten wir bereits erwähnt, dass wir uns als IG Sexualbiologie nicht an politischen Kampagnen beteiligen. Diese Position möchten wir in diesem Beitrag noch weiter ausführen:
Als Verfechter einer streng naturalistisch-materialistischen Weltanschauung neigen wir dazu, normative Schriftsätze an objektiv überprüfbaren Tatsachen auszurichten. Biologischer Essentialismus gehört gewissermaßen zu unserer "Kern-DNA". Aus dieser Perspektive üben wir durchaus scharfe Kritik am Konzept der "sexuellen Identität" als vage, potenziell beliebig erweiterbare und subjektive Selbstbeschreibung. Die Gesetzgebung profitiert von präzisen Begriffen, weil unklare Definitionen später zu auslegungsbedingten Problemen führen können. Aus rein methodologischer Sicht ist Skepsis gegenüber der rechtlichen Verankerung eines schwammigen Begriffs im Grundgesetz somit nachvollziehbar und vernünftig.
Dem gegenüber steht allerdings ein liberaler Universalismus, der die Verfassungen nicht als bloßes Abbild naturwissenschaftlicher Tatsachen versteht, sondern primär als Schild der individuellen Autonomie und Würde. Aus dieser Perspektive sind Schutznormen dafür da, die soziale Praxis abzusichern, damit Menschen ihr Leben frei nach ihrem Selbstverständnis führen können, ohne verfolgt oder systematisch benachteiligt zu werden. In diesem Denkmuster sind die bereits im Grundgesetz verankerten Kategorien wie "Glaube" oder "religiöse Anschauung" ebenfalls vage. Sie schützen Menschen vor Diskriminierung, gerade weil diese subjektiven Überzeugungen Teil ihres inneren Lebens sind. Der Schritt, "sexuelle Identität" zu ergänzen, ist daher kein metaphysischer Bruch, sondern eine konsequente Ausweitung eines aus Sicht der Menschenrechte bereits verfolgten Schutzprinzips.
Als radikal-atheistische Interessengemeinschaft sind wir offen für den "biologistischen" Radikalweg, der die Rolle aller subjektiver Anschauungen im Verfassungsrecht hinterfragt.
Andererseits ist die verfassungsrechtliche Neutralität in der Praxis kein starres Prinzip. Der Gesetzgeber kann sie durch einfaches Recht einschränken, wenn er meint, strukturelle Benachteiligungen ausgleichen zu müssen – etwa durch Quoten oder Förderprogramme. Kritiker befürchten, dass eine Aufnahme der "sexuellen Identität" ähnliche Dynamiken auslösen könnte, also gesetzgeberische Maßnahmen, die (angeblich) "marginalisierte" Gruppen aktiv bevorzugen. Diese Sorge ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht völlig unbegründet. Positive Diskriminierung kann das Neutralitätsgebot tatsächlich unterlaufen.
Die selektive Anwendung dieses Arguments irritiert jedoch. Gerade viele Aktivisten aus radikalfeministischen Initiativen, die nun gegen die Aufnahme der "sexuellen Identität" mobilisieren, befürworten zugleich gesetzliche Frauenquoten – also eine ganz reale Bevorzugung aufgrund des Geschlechts, die Angehörige des männlichen Geschlechts faktisch benachteiligt. Wer Quotenpolitik als legitime Korrektur einer (angeblichen) strukturellen Diskriminierung verteidigt, sollte entweder anerkennen, dass auch andere Gruppen vergleichbare Schutz- oder Fördermaßnahmen beanspruchen könnten, oder aber man lehnt jede Form staatlich legitimierter Ungleichbehandlung ab – ganz gleich, ob sie Frauen, "queere" Menschen, Menschen mit Migrationserfahrung oder sonst wem zugutekommt.
Wenn man diese Logik weiter denkt, wirkt im Grunde genommen die ganze Aufzählung einzelner Merkmale in Artikel 3 aus der Zeit gefallen — entstanden aus dem berechtigten Wunsch, spezifische Diskriminierungen sichtbar zu machen. Heute jedoch zeigt sich, dass jede Ergänzung oder Streichung neue Identitätskonflikte entzündet, weil jede Kategorie zugleich neue Grenzen zieht. Konsequent gedacht wäre der egalitärste Schritt daher nicht, immer neue Gruppen aufzunehmen, sondern die Kategorien ganz zu streichen. Ein einziger Satz würde genügen: "Niemand darf bevorzugt oder benachteiligt werden." Damit wäre das Prinzip der Gleichbehandlung universell und voraussetzungslos formuliert – jenseits von biologischen Parametern wie Geschlecht oder Rasse und auch von subjektiven Kategorien wie Religion oder "sexueller Identität". Das wäre eine radikal liberale (um nicht zu sagen libertäre) und zugleich konsistente Form von Neutralität des Staates gegenüber dem Individuum. Moralisches Feilschen um Zugehörigkeit und politische Grabenkämpfe um Begriffe wären damit obsolet.
Praktisch wäre ein solcher Ansatz zwar kaum durchsetzbar, aber als Gedankenexperiment zeigt er, dass unsere Verfassung vielleicht nicht zu wenig Kategorien enthält, sondern zu viele Erwartungen tragen muss. Denn je neutraler das Recht wird, desto mehr Deutungsarbeit verlagert sich auf Gesellschaft und Gerichte. Vielleicht ist die wahre Herausforderung also nicht, welche Gruppen im Grundgesetz stehen, sondern wie viel symbolische Last wir ihm überhaupt zumuten.
Genau hier berühren sich Biologie und Politik. Wer den Artikel 3 immer weiter um neue Gruppen ergänzt, versucht, moralische Fairness über rechtliche "Gleichheit" herzustellen. Doch biologisch gesehen ist das ein endloser Prozess, weil jede Gruppe, die Anerkennung erfährt, neue Vergleichsmaßstäbe schafft und damit andere Gruppen erzürnt. Das erklärt, warum Gleichheitsdebatten niemals enden. Sie sind Ausdruck eines evolutionär verankerten, aber kulturell unstillbaren Bedürfnisses nach gerechter Reziprozität. Und letztlich sind Menschen nun mal nicht gleich. Eine simple, wenn auch in bestimmten Kreisen kontroverse Erkenntnis.
Als Verfechter einer streng naturalistisch-materialistischen Weltanschauung neigen wir dazu, normative Schriftsätze an objektiv überprüfbaren Tatsachen auszurichten. Biologischer Essentialismus gehört gewissermaßen zu unserer "Kern-DNA". Aus dieser Perspektive üben wir durchaus scharfe Kritik am Konzept der "sexuellen Identität" als vage, potenziell beliebig erweiterbare und subjektive Selbstbeschreibung. Die Gesetzgebung profitiert von präzisen Begriffen, weil unklare Definitionen später zu auslegungsbedingten Problemen führen können. Aus rein methodologischer Sicht ist Skepsis gegenüber der rechtlichen Verankerung eines schwammigen Begriffs im Grundgesetz somit nachvollziehbar und vernünftig.
Dem gegenüber steht allerdings ein liberaler Universalismus, der die Verfassungen nicht als bloßes Abbild naturwissenschaftlicher Tatsachen versteht, sondern primär als Schild der individuellen Autonomie und Würde. Aus dieser Perspektive sind Schutznormen dafür da, die soziale Praxis abzusichern, damit Menschen ihr Leben frei nach ihrem Selbstverständnis führen können, ohne verfolgt oder systematisch benachteiligt zu werden. In diesem Denkmuster sind die bereits im Grundgesetz verankerten Kategorien wie "Glaube" oder "religiöse Anschauung" ebenfalls vage. Sie schützen Menschen vor Diskriminierung, gerade weil diese subjektiven Überzeugungen Teil ihres inneren Lebens sind. Der Schritt, "sexuelle Identität" zu ergänzen, ist daher kein metaphysischer Bruch, sondern eine konsequente Ausweitung eines aus Sicht der Menschenrechte bereits verfolgten Schutzprinzips.
Die Inkonsistenz religiöser Kritiker
Insbesondere die Kritik aus christlich-konservativen Kreisen an der geplanten Grundgesetzänderung beruft sich selektiv auf die biologische Realität der Zweigeschlechtlichkeit als weltliche Verklausulierung von "Als Mann und Frau schuf er sie" (Genesis 1,27), um den Eintrag von "sexueller Identität" abzulehnen. Zugleich verteidigen dieselben Stimmen regelmäßig mit Inbrunst den Verfassungsrang ihrer religiösen Anschauungen, obwohl diese ebenfalls subjektiv, wandelbar und nicht naturwissenschaftlich objektivierbar sind. Das ist inkohärent. Entweder man hält an einer rigoros naturalistischen Lesart fest, in welchem Fall auch Sonderschutzrechte für Glaubensbekenntnisse problematisiert werden müssten, oder man akzeptiert, dass Verfassungsrecht sich nicht allein an naturwissenschaftlichen Kategorien orientiert, sondern Schutzmechanismen für Formen menschlicher Selbst- und Weltdeutung schafft. Wer ersteres fordert, muss konsequent sein und das heißt radikal: Religionsschutz abräumen! Oder zumindest erklären, warum eine subjektive Selbstbeschreibung in einem Fall schützenswert ist und im anderen nicht. Die meisten kritischen Stimmen tun das nicht. Stattdessen betreiben sie eine selektive Empörung, die argumentativ schwierig zu halten ist.Als radikal-atheistische Interessengemeinschaft sind wir offen für den "biologistischen" Radikalweg, der die Rolle aller subjektiver Anschauungen im Verfassungsrecht hinterfragt.
Das Prinzip der Neutralität
Ein häufig übersehener Punkt in der aktuellen Diskussion ist, dass Artikel 3 GG nicht nur Diskriminierung, sondern auch Bevorzugung verbietet. Wenn "sexuelle Identität" ergänzt wird, entsteht kein Sonderrecht für sogenannte "queere" Menschen, sondern lediglich ein Neutralitätsgebot. Der Staat dürfte dann weder Benachteiligungen noch Privilegierungen zulassen oder fördern. Jene Kritiker, die befürchten, dass die geplante Grundgesetzänderung Sonderrechte oder Zwang zur Ideologie nach sich ziehe, übersehen also, dass der Passus das Gegenteil bewirkt. Er verpflichtet auf gleiche Behandlung – nicht mehr, nicht weniger. Insofern könnte man argumentieren, dass die Ergänzung sogar wünschenswert wäre, weil sie rechtlich sicherstellt, dass niemand aufgrund seiner "Queerness" gegenüber einer heteronormalen Person bevorzugt wird.Andererseits ist die verfassungsrechtliche Neutralität in der Praxis kein starres Prinzip. Der Gesetzgeber kann sie durch einfaches Recht einschränken, wenn er meint, strukturelle Benachteiligungen ausgleichen zu müssen – etwa durch Quoten oder Förderprogramme. Kritiker befürchten, dass eine Aufnahme der "sexuellen Identität" ähnliche Dynamiken auslösen könnte, also gesetzgeberische Maßnahmen, die (angeblich) "marginalisierte" Gruppen aktiv bevorzugen. Diese Sorge ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht völlig unbegründet. Positive Diskriminierung kann das Neutralitätsgebot tatsächlich unterlaufen.
Die selektive Anwendung dieses Arguments irritiert jedoch. Gerade viele Aktivisten aus radikalfeministischen Initiativen, die nun gegen die Aufnahme der "sexuellen Identität" mobilisieren, befürworten zugleich gesetzliche Frauenquoten – also eine ganz reale Bevorzugung aufgrund des Geschlechts, die Angehörige des männlichen Geschlechts faktisch benachteiligt. Wer Quotenpolitik als legitime Korrektur einer (angeblichen) strukturellen Diskriminierung verteidigt, sollte entweder anerkennen, dass auch andere Gruppen vergleichbare Schutz- oder Fördermaßnahmen beanspruchen könnten, oder aber man lehnt jede Form staatlich legitimierter Ungleichbehandlung ab – ganz gleich, ob sie Frauen, "queere" Menschen, Menschen mit Migrationserfahrung oder sonst wem zugutekommt.
Wenn man diese Logik weiter denkt, wirkt im Grunde genommen die ganze Aufzählung einzelner Merkmale in Artikel 3 aus der Zeit gefallen — entstanden aus dem berechtigten Wunsch, spezifische Diskriminierungen sichtbar zu machen. Heute jedoch zeigt sich, dass jede Ergänzung oder Streichung neue Identitätskonflikte entzündet, weil jede Kategorie zugleich neue Grenzen zieht. Konsequent gedacht wäre der egalitärste Schritt daher nicht, immer neue Gruppen aufzunehmen, sondern die Kategorien ganz zu streichen. Ein einziger Satz würde genügen: "Niemand darf bevorzugt oder benachteiligt werden." Damit wäre das Prinzip der Gleichbehandlung universell und voraussetzungslos formuliert – jenseits von biologischen Parametern wie Geschlecht oder Rasse und auch von subjektiven Kategorien wie Religion oder "sexueller Identität". Das wäre eine radikal liberale (um nicht zu sagen libertäre) und zugleich konsistente Form von Neutralität des Staates gegenüber dem Individuum. Moralisches Feilschen um Zugehörigkeit und politische Grabenkämpfe um Begriffe wären damit obsolet.
Praktisch wäre ein solcher Ansatz zwar kaum durchsetzbar, aber als Gedankenexperiment zeigt er, dass unsere Verfassung vielleicht nicht zu wenig Kategorien enthält, sondern zu viele Erwartungen tragen muss. Denn je neutraler das Recht wird, desto mehr Deutungsarbeit verlagert sich auf Gesellschaft und Gerichte. Vielleicht ist die wahre Herausforderung also nicht, welche Gruppen im Grundgesetz stehen, sondern wie viel symbolische Last wir ihm überhaupt zumuten.
Evolutionsbiologischer Blick auf Gleichheit
Aus einer evolutionsbiologischen Perspektive ist Gleichheit kein Naturzustand, sondern ein kulturelles Ideal. In der natürlichen Umwelt des Menschen war soziale Hierarchie ebenso allgegenwärtig wie Kooperation. Was Individuen evolutionär antreibt, ist nicht absolute Gleichheit, sondern faire Reziprozität – also das intuitive Empfinden, dass Geben und Nehmen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollten. Dieses Fairnessprinzip ist tief in unserer Biologie verankert. Schon Primaten zeigen Empörung, wenn Artgenossen für die gleiche Leistung ungleich belohnt werden. Aber sie erwarten zugleich, dass Unterschiede legitim sind, wenn sie durch Anstrengung oder Status begründet erscheinen. Moderne Gleichheitsideale stehen daher in einem latenten Spannungsverhältnis zu unseren evolutionären Dispositionen. Wir wollen zwar einerseits "Gleichheit" (im Sinne einer fairen Gleichbehandlung), wir akzeptieren aber auch Ungleichheit, wenn sie uns gerecht erscheint.Genau hier berühren sich Biologie und Politik. Wer den Artikel 3 immer weiter um neue Gruppen ergänzt, versucht, moralische Fairness über rechtliche "Gleichheit" herzustellen. Doch biologisch gesehen ist das ein endloser Prozess, weil jede Gruppe, die Anerkennung erfährt, neue Vergleichsmaßstäbe schafft und damit andere Gruppen erzürnt. Das erklärt, warum Gleichheitsdebatten niemals enden. Sie sind Ausdruck eines evolutionär verankerten, aber kulturell unstillbaren Bedürfnisses nach gerechter Reziprozität. Und letztlich sind Menschen nun mal nicht gleich. Eine simple, wenn auch in bestimmten Kreisen kontroverse Erkenntnis.
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