Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt die IG Sexualbiologie die neuesten Entwicklungen im internationalen Leistungssport. Wie der Guardian am 19. September berichtete, hat World Athletics bei den diesjährigen Weltmeisterschaften in Tokio erstmals einen verpflichtenden Gentest auf das SRY-Gen eingeführt: Sex tests brought in after data showed 50-60 DSD athletes in finals, World Athletics says
Mittels eines einfachen Wangenabstrichs wird nun überprüft, ob das zentrale Steuerungsgen der männlichen Geschlechtsentwicklung vorhanden ist. Die Entscheidung ist das Ergebnis einer umfangreichen Datenauswertung, die Dr. Stéphane Bermon, Leiter für Gesundheit und Wissenschaft bei World Athletics, in Tokio vorstellte. Demnach waren seit dem Jahr 2000 zwischen 50 und 60 Athleten mit 46,XY-Karyotyp und durchlaufener männlicher Pubertät in den Endläufen der Frauenkategorie vertreten. Insgesamt handelte es sich um 135 Finalteilnahmen, da einige dieser Athleten mehrfach antraten. Besonders aufschlussreich ist die Feststellung, dass Athleten mit Disorders of Sex Development (DSD) – also Störungen der Geschlechtsentwicklung – 151,9-mal häufiger in Frauenfinals vertreten waren, als es ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung entspricht. Diese statistische Überrepräsentation zeigt unmissverständlich, dass die biologischen Effekte einer männlichen Pubertät den Ausgang von Wettkämpfen entscheidend beeinflussen können.
Bereits in unserem Blogbeitrag zur Causa Imane Khelif haben wir dargelegt, welche Formen von DSD in solchen Fällen typischerweise vorkommen: das Androgenresistenzsyndrom, ein 5α-Reduktase-2-Mangel (5αR2D) oder vergleichbare Störungen, bei denen eine XY-Chromosomenkombination mit vorhandenen Hoden und Testosteronproduktion vorliegt. In allen diesen Fällen gilt, dass das Geschlecht männlich ist. Auch wenn bei Geburt ein weibliches Erscheinungsbild dokumentiert wurde, setzen insbesondere bei 5αR2D spätestens in der Pubertät die Wirkungen des Testosterons ein. Diese führen zu irreversiblen körperlichen Veränderungen wie einer Zunahme von Muskelmasse, einem größeren Herz- und Lungenvolumen, einer dichteren Knochenstruktur und einer höheren Sauerstofftransportkapazität. Dass diese Effekte selbst durch spätere Hormontherapie nicht vollständig rückgängig gemacht werden können, ist durch zahlreiche Studien belegt, unter anderem durch Handelsman et al. (2018) [1].
World-Athletics-Präsident Sebastian Coe stellte klar, dass es um den Schutz der Integrität des Frauensports gehe. Die Teilnahme an der Frauenkategorie setze voraus, biologisch weiblich zu sein. Das "soziale Geschlecht" kann Biologie nicht übertrumpfen, so sein deutlicher Kommentar ("gender cannot trump biology"). Damit knüpft Coe an eine Argumentationslinie an, die wir als IG Sexualbiologie seit Langem vertreten: Sportliche Kategorien beruhen auf biologischen Realitäten – ebenso wie Alters- oder Gewichtsklassen. Identitätspapiere oder soziale Geschlechterrollen können diese biologischen Grundlagen nicht ersetzen.
Kritik am neuen SRY-Test kam unter anderem von Andrew Sinclair, dem Entdecker des Gens selbst [2], der ihn als zu "einfach" und "nicht eindeutig" bezeichnete: World Athletics’ mandatory genetic test for women athletes is misguided. I should know – I discovered the relevant gene in 1990
Zwar ist es korrekt, dass die Bestimmung des biologischen Geschlechts komplexer ist als die bloße Suche nach einem einzigen Gen. Dies veranschaulichen bemerkenswerte Fälle, in denen Patientinnen trotz 46,XY-Karyotyp inkl. SRY-Gen nicht nur einen weiblichen Phänotyp, sondern tatsächlich das reproduktiv weibliche Geschlecht ausgebildet haben [3]. Doch im Leistungssport geht es nicht um akademische Spitzfindigkeiten, sondern um den sportlichen Wettbewerbsvorteil, den die Anwesenheit von funktionellen Hoden und die damit verbundene Testosteronexposition in der Pubertät unweigerlich mit sich bringt. Der SRY-Test dient in diesem Zusammenhang als pragmatisches und robustes Instrument, das in den allermeisten Fällen eine klare Unterscheidung ermöglicht.
Die nun veröffentlichten Zahlen bestätigen, was in Fachkreisen seit Langem bekannt ist: XY-DSD-Athleten profitieren nachhaltig von männlicher Pubertät und sind im Frauensport deutlich überrepräsentiert. Die Entscheidung von World Athletics, dies künftig durch eine genetische Testung konsequent zu regulieren, ist ein notwendiger Schritt. Sie sorgt nicht nur für Fairness, sondern auch für Glaubwürdigkeit. Denn die Integrität des Frauensports kann nur gewahrt bleiben, wenn tatsächlich nur "biologische" Frauen – sprich Frauen – gegeneinander antreten.
Wir begrüßen diesen Schritt daher ausdrücklich und sehen darin ein wichtiges Signal auch für andere Sportverbände, die bislang vor klaren Entscheidungen zurückschrecken. Schon im Fall Imane Khelif wurde deutlich, dass Vertrauensverluste in den Sport und eine Verzerrung der Wettbewerbsgerechtigkeit die Folge sind, wenn Identität über Biologie gestellt wird. Biologie ist keine Meinung, sondern die Grundlage der körperlichen Realität.
Quellen
[1] David J Handelsman, Angelica L Hirschberg, Stephane Bermon, Circulating Testosterone as the Hormonal Basis of Sex Differences in Athletic Performance, Endocrine Reviews, Volume 39, Issue 5, October 2018, Pages 803–829, https://doi.org/10.1210/er.2018-00020
[2] Sinclair, A., Berta, P., Palmer, M. et al. A gene from the human sex-determining region encodes a protein with homology to a conserved DNA-binding motif. Nature 346, 240–244 (1990). https://doi.org/10.1038/346240a0
[3] Miroslav Dumic, Karen Lin-Su, Natasha I. Leibel, Srecko Ciglar, Giovanna Vinci, Ruzica Lasan, Saroj Nimkarn, Jean D. Wilson, Ken McElreavey, Maria I. New, Report of Fertility in a Woman with a Predominantly 46,XY Karyotype in a Family with Multiple Disorders of Sexual Development, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, Volume 93, Issue 1, 1 January 2008, Pages 182–189, https://doi.org/10.1210/jc.2007-2155
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