Mittwoch, 20. November 2024

Mehrheit der Deutschen transfeindlich?

Der Bundesverband Trans* e.V. vermeldet zum heutigen "Transgender Day of Remembrance", dem Gedenktag für die Opfer von Transfeindlichkeit, dass die Mehrheit der Deutschen transfeindlich sei: TDOR 2024: Trans*feindlichkeit tötet – Gedenken an die Opfer von Gewalt und Diskriminierung

Wörtlich heißt es in dem Beitrag: "Laut der kürzlich erschienenen Leipziger Autoritarismus Studie 2024 zeigt sich bereits, dass trans*feindliche Einstellungen in Deutschland weit verbreitet sind. Die Mehrheit aller Deutschen weist eine manifeste oder latente Trans*feindlichkeit auf, über ein Drittel (37%) vertritt ein geschlossen trans*feindliches Weltbild."

Ein für Betroffene durchaus besorgniserregendes Ergebnis, das aktuell in den Sozialen Medien heiß diskutiert wird. Pro-Trans-Aktivisten stellen die rhetorische Frage, was mit den Deutschen nicht stimme, denn schließlich täten sogenannte "Transmenschen" niemandem etwas zuleide. Auf der anderen Seite argumentiert das Anti-Trans-Lager, dass man ja heutzutage bereits als "transfeindlich" gelte, wenn man den biologischen Fakt der Zweigeschlechtlichkeit verteidigt oder die Unmöglichkeit eines Geschlechtswechsels bei Säugetieren verdeutlicht.

Doch was sagt die Primärquelle? Woran wurde die vermeintliche "Transfeindlichkeit" genau festgemacht? Ist hier womöglich ein Bias durch "Critical Social Justice" am Werk?

Was sagt die Leipziger Autoritarismus Studie 2024?

Die Leipziger Autoritarismus Studie erscheint alle zwei Jahre und wird von der Heinrich-Böll-Stiftung (der parteinahen Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen) in Zusammenarbeit mit der Otto Brenner Stiftung (der Wissenschaftsstiftung der IG Metall) initiiert. Schwerpunkt ist die Quantifizierung rechtsextremer und autoritärer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung. Die Leipziger Autoritarismus Studie 2024 trägt den Titel "Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen".

Das Thema "Transfeindlichkeit" wurde in diesem Jahr erstmalig mit drei Items abgefragt. Wer darin Aussagen wie "Transpersonen verdienen kein Recht auf gesellschaftliche Teilhabe" oder "Geschlechtsangleichungen sollten verboten werden" (also objektiv "transfeindliche" Positionen) sucht, sucht diese jedoch vergeblich. Die drei im Studiendesign als "transfeindlich" deklarierten Positionen lauten:
  • Transsexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen.
  • In Deutschland übertreiben es viele mit ihrer Toleranz gegenüber Transsexuellen.
  • Transsexuelle stellen zu viele Forderungen.
Die Autoren weisen in einer Fußnote darauf hin, dass die Bezeichnung Betroffener als "Transsexuelle" nicht "sachgerecht" sei: "Aufgrund des Rückgriffs auf eine frühere Skala wurde in den Fragen etwas irreführend der Begriff Transsexualität verwendet (siehe Kap. 2). Dort wurde der ursprüngliche Begriff »Homosexuelle« jeweils durch »Transsexuelle« ersetzt. Sachgerecht müsste die Begrifflichkeit Transpersonen und Transgeschlechtlichkeit heißen. Wir gehen allerdings aufgrund der kaum bekannten Unterscheidung auf der Seite der Ablehnenden davon aus, dass die Ergebnisse nicht beeinträchtigt werden."

Tatsächlich ist "Transsexualität" aus sexualbiologischer Sicht nicht der korrekte Terminus, da hier ein Wechsel des Geschlechts (Sexus) impliziert wird, der beim Menschen in der Tat nicht möglich ist (mehr dazu hier). Um die Begrifflichkeit soll es aber an dieser Stelle nicht gehen, denn viel bemerkenswerter ist, dass die abgefragten Items objektiv betrachtet gar keine Ablehnung gegenüber sogenannten "Transpersonen" enthalten.

Keine Transfeindlichkeit, sondern Ablehnung von Aktivismus

Im Kern betreffen alle drei in der Studie abgefragten Positionen gar nicht die individuellen Bedürfnisse von Menschen mit intrinsischer Geschlechtsdysphorie bezogen auf ihren Zustand als Betroffene, sondern die Einstellung der Befragten gegenüber Personen, die das Thema "Transgeschlechtlichkeit" offensiv bewerben oder aus ihren subjektiven Befindlichkeiten Forderungen ableiten. Das ist ein durchaus signifikanter Unterschied.

In der Sozialforschung dienen solche Fragen häufig als Indikatoren für breitere Einstellungen (z. B. Vorurteile oder Ressentiments), aber sie können schlampig formuliert auch Missverständnisse oder unterschiedliche Interpretationen der Befragten widerspiegeln. Die Leipziger Autoritarismus Studie argumentiert basierend auf ihrer Methodik, dass bereits skeptische Einstellungen gegenüber Transaktivismus als Manifestation von Transfeindlichkeit gelten, weil sie uneingeschränkte Toleranz hinterfragen, was wiederum mit autoritären oder antimodernen Ressentiments verknüpft wird. Das ist der Kern einer postmodernen Social-Justice-Forschung. Doch dieser Forschungsansatz ist problematisch, wie die einzelnen Items zeigen:

"Transsexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen."

Das erste Item bezieht sich klar auf die öffentliche Präsenz oder Diskussion des Themas, nicht auf den privaten Zustand von Betroffenen. Kritik am "Wirbel" – also an Kampagnen, Medienaufmerksamkeit oder Aktivismus –, bedeutet nicht automatisch Feindlichkeit gegenüber Individuen mit Geschlechtsdysphorie. Abneigung gegen die Politisierung ist nicht direkt transfeindlich im Sinne von Hass oder Diskriminierung, sondern eher eine Meinung zur öffentlichen Debatte. Die Studie interpretiert das jedoch als Ressentiment, weil es impliziert, dass Transpersonen ihr Thema "verstecken" sollten, was auf latente Intoleranz hindeuten könnte.

"In Deutschland übertreiben es viele mit ihrer Toleranz gegenüber Transsexuellen."

Beim zweiten Item geht es um die Wahrnehmung von Toleranz in der Gesellschaft – also eine Meta-Einstellung. Hier wird eher Kritik an übertriebener "Political Correctness" oder gesellschaftlichem Druck deutlich. Es könnte auf eine Reaktion gegen wahrgenommene Überregulierung (z. B. in Schulen, Medien oder Recht) hindeuten, ohne die individuellen Bedürfnisse zu leugnen. Objektiv ist das keine direkte Feindlichkeit, sondern eine Meinung zur gesellschaftlichen Haltung – vergleichbar mit Debatten über "Wokeness". Die Studie zählt eine solche Einstellung dennoch zu "Transfeindlichkeit", weil sie Toleranz als "Übertreibung" darstellt, was implizit Intoleranz fördert.

"Transsexuelle stellen zu viele Forderungen."

Das ist das offenste Item. "Forderungen" wird nicht spezifiziert, was es interpretierbar macht. Ob es sich auf subjektive oder politische Ansprüche (z. B. Pronomen, Toilettenregeln oder Quoten) bezieht oder auf grundlegende Rechte wie Teilhabe oder medizinische Behandlung, bleibt damit völlig offen. Im Zweifel führt eine solch offene Formulierung wohl eher zu einer Ablehnung eines als "zu viel" empfunden Aktivismus, ohne die Kernbedürfnisse zu verneinen. Objektiv ist auch das keine klare Feindlichkeit, sondern eine Wertung über den Umfang von Forderungen – ähnlich wie bei anderen Minderheitenrechten. Die Studie bewertet das als Teil eines geschlossenen transfeindlichen Weltbilds.

Die Studie im Kontext von "Critical Social Justice"

Zunächst ein kurzer Exkurs: Critical Social Justice, oft als "angewandter Postmodernismus" bezeichnet, wurzelt in Theorien von Denkern wie Michel Foucault oder Jacques Derrida. Es geht um die Dekonstruktion von Machtstrukturen, Identitäten und Diskursen, die Unterdrückung aufrechterhalten. Im Kern sieht diese Disziplin innerhalb der Sozialforschung Wissen nicht als objektiv, sondern als sozial konstruiert und von dominanten Gruppen geprägt. Skeptische oder neutrale Einstellungen werden oft als implizite Bias interpretiert – etwa als "internalisierte Unterdrückung" oder "Mikroaggressionen". Kritiker werfen dieser Denkschule vor, empirische Forschung in den Dienst aktivistischer Narrative zu stellen, was zu forcierten Interpretationen führe. Diese Art von Sozialforschung ist nicht per se schlecht; sie hat Diskriminierung sichtbar gemacht. Doch in der Anwendung kann sie zu einer "zynischen" Haltung führen, bei der Daten so gewertet werden, dass sie ein vorgegebenes Bild von systemischer Unterdrückung bestätigen.

Die Leipziger Studie passt in weiten Teilen nahtlos in diesen Rahmen. Sie misst autoritäre Einstellungen durch Items, die Skepsis gegenüber Minderheiten als "Ressentiments" werten. Viele Fragen sind mehrdeutig und laden zu postmoderner Interpretationen ein. Skepsis gegenüber Übertreibungen (z. B. in Toleranzdebatten) werden automatisch als Feindlichkeit gewertet, was eine nuancierte Debatte verhindert. Das erinnert stark an Critical Social Justice, die jede Form von Kritik als Bestätigung für herrschende Ressentiments sieht. Statt offener Diskussion wird Abweichung vom uneingeschränkten Toleranz-Ideal als problematisch dargestellt. Die hier diskutierte Studie setzt implizit ebenfalls progressive Werte als Norm. Das ist typisch für Critical Social Justice.

Doch wo bleibt die Selbstreflexion? Studien wie diese könnten selbst einen Bias haben, da Forscher aus einem progressiven Milieu stammen. Zudem fehlt ein Vergleich mit linken Autoritarismen, was die Studie einseitig macht. 

Fazit

Dass die Mehrheit der Deutschen ablehnend gegenüber sogenannten "Transpersonen" ist, lässt sich aus der Leipziger Autoritarismus Studie 2024 nicht ableiten. Lediglich Transaktivismus, im Sinne einer offensiven Werbung für das Thema oder übermäßigen Politisierung, wird von der Mehrheit der Deutschen zumindest implizit abgelehnt. Wenn Belange von Minderheiten skeptisch betrachtet werden, die über individuelle Rechte hinausgehen – etwa in Bezug auf gesellschaftliche Normen, Sprache oder Politik –, ist das jedoch keine inhärente Feindlichkeit, sondern eine nuancierte Perspektive, die in vielen sozialwissenschaftlichen Umfragen nicht immer klar getrennt wird. Die fehlende Differenzierung zwischen "Transgeschlechtlichkeit" und Aktivismus hebt eine eklatante Schwäche in der Item-Formulierung hervor. Die Studie verwendet sie als Proxy für Feindlichkeit, wo vielleicht gar keine ist. Es wäre spannend, wenn zukünftige Studien präzisere Fragestellungen einbauen würden, um diesen Unterschied zu testen.

Samstag, 2. November 2024

35. Jubiläum: Autogynophilie im Wandel der Zeit

Autogynophilie beschreibt die Neigung eines Mannes, durch die Vorstellung oder das Bild seiner selbst als Frau erregt zu werden. Seit der Psychologe Ray Blanchard den Begriff 1989 prägte, wird dieses Konzept in der Sexualwissenschaft und insbesondere in der Diskussion um Transgeschlechtlichkeit kontrovers bewertet. Die Ärztin und Autorin Anne A. Lawrence widmet sich in ihrem aktuellen Essay "Autogynephilia at 35" der Frage, welche Bedeutung das Konzept nach 35 Jahren wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Debatte heute noch hat [1].

Zusammenfassung

Lawrence beschreibt, dass das Phänomen der Autogynophilie zwar seit Langem existiert, aber erst spät als wissenschaftlicher Begriff Eingang in die Fachliteratur fand. Sie betont, dass ein erheblicher Teil männlicher Personen – schätzungsweise bis zu 3 % – autogynophile Fantasien erlebt. Während die Existenz solcher Erlebnisse kaum bestritten werde, sei der Begriff selbst stark umstritten, insbesondere in transaktivistischen Kreisen. Sie kritisiert, dass Autogynophilie aus ideologischen Gründen aus der modernen Diagnostik (DSM-5-TR) weitgehend verschwunden sei und sieht in der Leugnung des Phänomens eine Form der Verdrängung innerhalb der transaffirmativen Bewegung. Zugleich bemängelt sie die Sensationslust konservativer und feministischer Kritiker, die Autogynophilie zur Diskreditierung aller transgeschlechtlichen Personen nutzten.

In ihrer Schlussfolgerung plädiert Lawrence für die uneingeschränkte Verfügbarkeit medizinisch verschriebener Pubertätsblocker und gegengeschlechtlicher Hormontherapien für schwer geschlechtsdysphorische Jugendliche und insbesondere für autogynophile – ein Standpunkt, den sie als moralische Notwendigkeit bezeichnet. Darüber hinaus prognostiziert sie, dass Autogynophilie künftig als "atypische sexuelle Orientierung" in Bildungsprogramme integriert werden könnte, ähnlich wie die sogenannte "Homosexualität".

Diskussion

Anne A. Lawrence ist promovierte Ärztin und Psychologin und beschreibt sich als transgeschlechtliche und autogynophile "Sexologin". Sexologie ist eine interdisziplinäre, häufig psychosozial orientierte Disziplin, die sich von der naturalistisch-biologischen Sexualwissenschaft deutlich unterscheidet. Sie arbeitet oft mit normativen, subjektiv erfahrungsbasierten Ansätzen und stellt das individuelle Empfinden in den Vordergrund. Die naturwissenschaftliche Sexualbiologie hingegen orientiert sich an empirisch überprüfbaren, biologischen Grundlagen. Diese Unterscheidung ist wichtig, um zu verstehen, dass Lawrence’ Argumentation weniger aus naturwissenschaftlicher als vielmehr aus anthropozentrisch-psychosozialer Perspektive erfolgt. Ihre Positionen können und sollten daher kritisch im Lichte biologischer Erkenntnisse reflektiert werden.

Die klare Differenzierung verschiedener Trans-Phänomene und die Abgrenzung zwischen Geschlechtsdysphorie und Autogynophilie ist zunächst klar zu befürworten. Aus medizinischer Perspektive handelt es sich bei Autogynophilie um eine paraphile Störung, die in ihrem Wesen nicht primär geschlechtsidentitär, sondern erotisch motiviert ist. Diese Unterscheidung ist wichtig, um die unterschiedlichen Mechanismen und Verläufe zu verstehen. Während die intrinsische Geschlechtsdysphorie meist frühkindlich auftritt und mit einem konsistenten Identitätserleben über die Pubertät hinaus einhergeht, manifestiert sich Autogynophilie häufig erst nach der Pubertät und steht im Zusammenhang mit erotisierten Selbstbildern. Es besteht hier in der Tat erheblicher Forschungsbedarf. Insbesondere sollten neurobiologische, hormonelle und psychologische Korrelate weiter untersucht werden, um Missverständnisse und politische Instrumentalisierungen zu vermeiden. Denn wir teilen die Beobachtung der Autorin zur gesellschaftlichen Ignoranz bzw. Überhöhung des Phänomens durch verschiedene ideologisch motovierte Lager.

Dennoch schwingen in dem Essay Töne mit, die kritisch kommentiert werden müssen. So schreibt Lawrence: "Finally, we should advocate for the unrestricted availability of medically prescribed puberty-blocking and crossgender hormone therapy for severely gender dysphoric adolescents and especially for autogynephilic ones, who will almost certainly prove to be the best candidates." ("Schließlich sollten wir uns für die uneingeschränkte Verfügbarkeit medizinisch verschriebener Pubertätsblocker und gegengeschlechtlicher Hormontherapie für stark geschlechtsdysphorische Jugendliche und insbesondere für autogynophile einsetzen, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als die besten Kandidaten erweisen werden.") Diese Schlussfolgerung teilen wir ausdrücklich nicht. Aus entwicklungspsychologischer Sicht ist die kindliche und jugendliche Identität hochgradig formbar. Eine transaffirmative medizinische Behandlung in dieser Phase birgt das Risiko, natürliche Entwicklungsprozesse irreversibel zu unterbrechen. Wir vertreten daher die vorsichtigere Position, dass Kinder und Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie ergebnisoffen begleitet, aber nicht vorschnell medizinisch affirmativ behandelt werden sollten. Zahlreiche Studien belegen, dass ein erheblicher Anteil sogenannter "Trans-Kinder" nach Abschluss der Pubertät eine homoerotische Neigung ausprägt und die frühere Identifikation als transgeschlechtlich aufgibt – ein Prozess, der als "Desistenz" bezeichnet wird. Diese Entwicklungsmöglichkeit sollte respektiert und durch therapeutische Begleitung offen gehalten werden, anstatt sie durch irreversible medizinische Maßnahmen zu blockieren.

Ein weiterer problematischer Punkt findet sich in Lawrences Aussage: "Modern educational systems realize the importance of teaching children about another atypical sexual orientation, homosexuality, before they enter secondary school, because the cost of ignorance is too high." ("Moderne Bildungssysteme erkennen die Bedeutung, Kinder noch vor der weiterführenden Schule über eine weitere atypische sexuelle Orientierung, die Homosexualität, zu unterrichten, da die Kosten der Unwissenheit zu hoch sind.") Lawrence überträgt diesen Gedanken auf Autogynophilie und schlägt vor, dass künftig auch über dieses Phänomen bereits im Kindesalter aufgeklärt werden solle. Als IG Sexualbiologie lehnen wir eine derartige Frühsexualisierung entschieden ab. Sexualaufklärung ist zwar wichtig, sie muss aber altersgerecht erfolgen. Im Grundschulalter sollte es vorrangig um grundlegende biologische Fragen gehen (z. B. "Wie entstehen Babys?"), nicht um komplexe oder gar paraphile Themen wie Autogynophilie. Eine Aufklärung über solche Inhalte kann sinnvoll in der weiterführenden Schule erfolgen, wenn Jugendliche kognitiv und emotional in der Lage sind, solche Inhalte reflektiert zu verarbeiten. Eine differenzierte Aufklärung, welche Ursachen einer vermeintlichen Trans-Identität zugrunde liegen können, halten wir für durchaus wichtig. Frühkindliche Überforderung führt hingegen eher zu Verwirrung als zu Verständnis.

Darüber hinaus bezeichnet Lawrence Autogynophilie in ihrem Text ausdrücklich als "paraphilic sexual orientation" – also als eine Form "sexueller Orientierung" (erotischer Veranlagung), vergleichbar mit "Homosexualität" (Homoerotik). Aus sexualbiologischer Sicht ist diese Gleichsetzung nicht haltbar. Die erotische Präferenz (Andro-, Gyno- oder Ambiphilie) richtet sich auf andere Personen, während Autogynophilie eine autoerotische Paraphilie ist, da sie sich auf das eigene Selbstbild als Frau bezieht. Sie ist damit nach Blanchard (1991) ein "Erotic Target Location Error" und gehört funktional in den Bereich der Paraphilien, nicht der umgangssprachlichen "sexuellen Orientierungen" [2]. Lawrence’ Plädoyer, Autogynophilie nicht zu stigmatisieren, sondern gesellschaftlich zu normalisieren, ist eine Gratwanderung. Die Entpathologisierung an sich ist nachvollziehbar, aber eine unkritische Normalisierung würde die klinischen und partnerschaftlichen Herausforderungen dieses Erlebens unter den Tisch kehren. Die Autorin erwähnt nur kurz, dass Autogynophilie für Entscheidungen über Ehe und Elternschaft relevant sei. Sexualbiologisch betrachtet wäre hier eine vertiefte Analyse der Paarungsstrategien und der sexuellen Motivation interessant: Inwiefern beeinflusst autogynophile Erregung das Bindungsverhalten, die Partnerwahl und die Reproduktionsmotivation? Diese Fragen sind bislang kaum empirisch untersucht und stellen ein lohnendes Forschungsfeld dar.

Lawrence kritisiert die ROGD-Hyopthese und argumentiert, dass vermeintlich schnell einsetzende Geschlechtsdysphorie bei Jugendlichen Ausdruck einer schon früh vorhandenen autogynophilen "Orientierung" sei. Damit wird ein komplexer Entwicklungsprozess zu stark vereinfacht. Die Hypothese, dass ROGD bloß die Entfaltung einer angeborenen Autogynophilie sei, ignoriert psychosoziale und mediale Einflussfaktoren auf die Konditionierung Jugendlicher.

Fazit

Anne A. Lawrence’ Essay ist ein aufschlussreiches Zeitdokument zur Entwicklung des Begriffs und Konzepts der Autogynophilie. Er zeigt zugleich die anhaltende Spannung zwischen wissenschaftlicher Analyse und ideologisch gefärbter Identitätspolitik. Wir befürworten eine offene, evidenzbasierte Erforschung des Phänomens, lehnen jedoch vorschnelle politische oder medizinische Schlüsse – insbesondere bei Minderjährigen – entschieden ab. Autogynophilie verdient sachliche Untersuchung, nicht Tabuisierung. Doch Aufklärung und Forschung müssen auf einem Fundament biologischer Realität menschlicher Entwicklung beruhen, nicht auf moralischer oder ideologischer Agenda.

Quellen

[1] Lawrence, A. A. (2024). Autogynephilia at 35 (pdf-Download)

[2] Blancard, R. (1991). Clinical observations and systematic studies of autogynephilia. Journal of Sex & Marital Therapy, 17(4), 235–251. https://doi.org/10.1080/00926239108404348

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