Samstag, 10. Mai 2025

Demokratie: "Mehr als 2 Geschlechter" ist keine Meinung!

In der öffentlichen Debatte begegnet man immer häufiger der Behauptung, es gäbe "mehr als zwei biologische Geschlechter". Diese Aussage ist jedoch im Lichte der naturalistischen Sexualbiologie betrachtet eine falsifizierbare Tatsachenbehauptung, die mit dem gegenwärtigen Stand der Naturwissenschaft nicht vereinbar ist.

Wir wollen im Folgenden erneut klären, was die Biologie unter "Geschlecht" versteht, warum die oft kolportierte Mehrgeschlechtlichkeit biologisch nicht haltbar ist und weshalb es rechtlich bedeutsam ist, zwischen Meinungsfreiheit und nachweislich falschen Behauptungen zu unterscheiden.

Was ist "biologisches" Geschlecht?

Der häufig verwendete Ausdruck "biologisches Geschlecht" ist bei näherer Betrachtung sprachlich wie fachlich überflüssig – ja, sogar irreführend! Es verhält sich damit wie bei Begriffen à la "runder Kreis" oder "nasses Wasser": tautologisch, ohne begrifflichen Mehrwert. Denn das Geschlecht (Sexus) ist seinem Wesen nach ein biologisches Phänomen. Es existiert ausschließlich im Rahmen der geschlechtlichen (d. h. sexuellen) Fortpflanzung und ist untrennbar mit der Evolution anisogamer Organismen verbunden.

Die naturalistische Sexualbiologie, also die organismische Naturwissenschaft über die Geschlechtlichkeit ohne Bezug auf gesellschaftliche Konzepte, definiert Geschlecht strikt reproduktionsbezogen, anhand der (potenziell) produzierten Sexualzellen (Gameten):
  • Weiblich: produziert nährstoffreiche, i. d. R. unbewegliche Makrogameten
  • Männlich: produziert viele kleine, meist bewegliche Mikrogameten
Diese Form der Fortpflanzung mit zwei verschiedenartigen Gametentypen (und damit Geschlechtern) nennt sich Anisogamie und ist der Regelfall bei eukaryotischen Organismen – also vielzelligen Lebewesen wie Tieren inkl. Homo sapiens. In der Biologie existieren somit zwei – und zwar nur zwei – Geschlechter [1]. Alle anderen mit dem Geschlecht assoziierte Mechanismen und Merkmale (Hormone, Chromosomen, Organe) sind sekundäre Geschlechtsausprägungen und folgen aus der primären geschlechtlichen Differenz, nicht umgekehrt.

Das Geschlecht ist damit keine soziale Zuschreibung, keine Identitätskategorie und kein Ausdruck subjektiver Wahrnehmung, sondern ein funktionales, reproduktives Differenzierungsmerkmal, das sowohl Produkt als auch Triebkraft biologischer Selektion ist. Innerhalb der uns zugänglichen, irdischen Natur kennen wir Geschlecht ausschließlich dort, wo es Zellen mit ungleicher Reproduktionsfunktion gibt. Exakt dort beginnt die biologische Definition.

Wer also das Bedürfnis verspürt, den Begriff "Geschlecht" mit dem Attribut "biologisch" zu versehen, unterstellt implizit, es gäbe andere gleichwertige, konkurrierende Definitionen, was jedoch aus naturwissenschaftlicher Sicht unzutreffend ist. Wer dennoch "biologisches Geschlecht" sagt, muss sich konsequenterweise dem wissenschaftlichen Rahmen, in dem dieser Begriff Sinn ergibt, vorbehaltlos unterordnen. Und dieser Rahmen ist die Biologie mit ihren Termini, Methoden, Definitionen und Gesetzmäßigkeiten. Wer auf das "biologische Geschlecht" rekurriert, kann sich nicht gleichzeitig der biologischen Realität entziehen: Zwei Gametentypen bedingen zwei Geschlechter. Keine dritte Option. Keine Zwischenformen. Kein ideologisches Interpretationsspiel.

Jede Verwässerung dieses Grundsatzes ist nicht nur wissenschaftlich unzulässig, sondern öffnet die Tür für gezielte Begriffsverwirrung – mit weitreichenden Folgen für die Demokratie.

Warum es keine weiteren Geschlechter gibt

Die biologische Geschlechtskategorie ist diskret und binär. Entweder produziert ein Organismus große oder kleine Gameten. Ein dritter funktionaler Typ von Gameten und damit ein drittes Geschlecht ist nicht bekannt. Selbst hermaphroditische Organismen (etwa bestimmte Würmer, Schnecken oder die meisten Pflanzen) stellen keine Ausnahme von der Zweigeschlechtlichkeit dar. Sie vereinen lediglich beide Geschlechter in einem Individuum, produzieren aber dennoch ausschließlich die zwei universellen Gametentypen. Ein drittes Geschlecht existiert auch hier weder funktional noch entwicklungsgeschichtlich. Hermaphroditismus ist daher kein Gegenbeweis, sondern eine besondere Ausprägung des zweigeschlechtlichen Prinzips und bestätigt damit das evolutionär stabile Gesetz der Binarität des Sexus.

Auch sogenannte "intersexuelle" Phänotypen ändern daran nichts. Sie mögen in medizinischen Einzelfällen eine Störung der Geschlechtsentwicklung (DSD) darstellen, stellen aber keine eigenständigen Fortpflanzungsklassen dar. Die allermeisten dieser Phänomene ordnen sich funktional einem der beiden Geschlecht zu; die wenigen indifferenten und ambivalenten Formen wie die ovotestikuläre DSD ausdrücklich keinem dritten.

Biologie ist keine Meinungssache

Die Aussage "Es gibt mehr als zwei biologische Geschlechter" ist damit:
  1. Eine Tatsachenbehauptung
  2. Durch empirische Beobachtung falsifizierbar
  3. Nachweislich falsch
Sie ist somit nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, sofern sie mit dem Anspruch auf wissenschaftliche Wahrheit öffentlich verbreitet wird. Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt [2]:

"Was […] nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen kann, ist nicht geschützt, insbesondere die erwiesen oder bewußt unwahre Tatsachenbehauptung. Im Gegensatz zur eigentlichen Äußerung einer Meinung kann es also für den verfassungsrechtlichen Schutz einer Tatsachenmitteilung auf die Richtigkeit der Mitteilung ankommen."

Wer wissentlich falsche Aussagen über die Sexualbiologie trifft, etwa zur Zahl der Geschlechter, kann sich nicht auf die Meinungsfreiheit berufen, wenn er wissenschaftliche Geltung beansprucht. Für Schulen, Universitäten, Medien und Behörden ist dieser rechtliche Rahmen besonders relevant.

Biologische Desinformation ist demokratiegefährdend

Die Europäische Kommission warnt in ihrer Digitalstrategie mit Nachdruck vor den Gefahren gezielter Fehlinformationen [3]. Wörtlich heißt es:

"Die Verbreitung von Desinformation und Fehlinformation kann eine Reihe schädlicher Folgen haben, wie die Bedrohung unserer Demokratien, die Polarisierung der Debatten und die Gefährdung der Gesundheit, Sicherheit und Umwelt der EU-Bürger."

Was für politische oder medizinische Themen gilt, trifft in gleicher Weise auf die Sexualbiologie zu. Die massenmediale und institutionelle Verbreitung der falschen Behauptung, es gäbe mehr als zwei "biologische" Geschlechter, stellt eine systematische Desinformationskampagne gegen naturwissenschaftliche Grundprinzipien dar. Diese Form der Desinformation ist nicht harmlos, sondern hat gravierende Folgen. Sie untergräbt die Integrität der Biowissenschaften, desorientiert Bildungssysteme und junge Menschen, verzerrt demokratische Debatten durch ideologischen Druck auf Sprache, Lehrpläne sowie Gesetzgebung und schafft einen Nährboden für wissenschaftsfeindliche, postfaktische Narrative.

Auch der Koalitionsvertrag der Bundesregierung stellt unmissverständlich klar [4]:

"Gezielte Einflussnahme auf Wahlen sowie inzwischen alltägliche Desinformation und Fake News sind ernste Bedrohungen für unsere Demokratie, ihre Institutionen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Die bewusste Verbreitung falscher Tatsachenbehauptungen ist durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können."

Was hier allgemein formuliert ist, trifft die Biowissenschaften längst mit voller Wucht. Fachlich korrekt argumentierende Sexualbiologen, Entwicklungsbiologen und Mediziner sehen sich zunehmend einer aggressiven Mobilmachung in Form von Hetzkampagnen, Beleidigungen, Diffamierungen, Strafprozessen und Androhung beruflicher Konsequenzen ausgesetzt, wenn sie die schlichte Tatsache verkünden, dass es in der Biologie genau zwei Geschlechter gibt. Diese Entwicklung ist nicht nur ein Angriff auf einzelne Personen, sondern auf die Wissenschaftsfreiheit und damit auf den demokratischen Grundpfeiler rationaler Debattenkultur.

In dieser Gemengelage ist es keine Frage mehr des Diskurses, sondern der Demokratieverteidigung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen rechtlich, institutionell und politisch gestärkt werden. Wir als IG Sexualbiologie verstehen uns als Task Force gegen biowissenschaftliche Desinformation und damit als Schutzorgan der Demokratie gegen ein ideologisch motiviertes Eindringen von Falschaussagen in Wissenschaft, Medien, Bildung und Rechtsprechung.

Wo Biologie zur Meinung erklärt wird, wird Wahrheit verhandelbar – und wo Wahrheit verhandelbar wird, ist Demokratie in Gefahr! Wer den Raum der Wissenschaft mit agitatorischer Absicht verwischt, bedroht nicht nur die Naturkunde, sondern die Demokratie. Demokratiefeindliche Ideologien, die sich hinter pseudowissenschaftlichen Sprachspielen tarnen, haben insbesondere in Schulen, Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen nichts verloren. Ihre jugendgefährdenden Propagandamaterialien, ob in Form irreführender Arbeitsblätter, Trainings oder interner Leitfäden, müssen mit aller Entschlossenheit bekämpft werden. Wer gezielt antiwissenschaftliche Inhalte in die Bildungslandschaft einspeist, arbeitet nicht an Aufklärung, sondern am Abbau demokratischer Rationalität. Diese gilt es entschlossen gegen Desinformation und Ideologisierung sowie gegen die Relativierung biologischer Tatsachen zu verteidigen.

Fazit

Die Biologie kennt zwei Geschlechter. Wer im Namen der Wissenschaft mehr behauptet, verlässt den Boden der empirischen Naturwissenschaft. Wer mehr als zwei "biologische" Geschlechter postuliert, muss sich daran messen lassen, ob er im Rahmen der biologischen Geschlechtsdefinition auf Basis der Anisogamie einen dritten funktionalen Gametentypus (also eine von Eizelle und Spermium/Spermazelle fundamental verschiedene Sexualzelle) nachweisen kann. Solange ein solcher Nachweis nicht erbracht wurde, handelt es sich bei der Behauptung, es gäbe mehr als zwei "biologische" Geschlechter, um eine wissenschaftlich falsifizierbare, objektiv unwahre Tatsachenbehauptung, die nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.

Quellen

[1] Goymann, W., Brumm, H., & Kappeler, P. M. (2023). Biological sex is binary, even though there is a rainbow of sex roles. BioEssays, 45, e2200173. https://doi.org/10.1002/bies.202200173

[2] BVerfG, Urteil vom 22.06.1982 - 1 BvR 1376/79


[4] Koalitionsvertrag CDU/CSU/SPD 2025, "Verantwortung für Deutschland", 21. Legislaturperiode: 3926 Umgang mit Desinformation, Seite 123

Donnerstag, 1. Mai 2025

Here’s Why Human Sex IS Binary!


Immer wieder werden wissenschaftlich klingende Argumente verwenden, um etablierte biologische Konzepte zu hinterfragen. Ein prominentes Beispiel dafür ist der Artikel "Here’s Why Human Sex Is Not Binary" von Agustín Fuentes, erschienen im Mai 2023 im Scientific American. Der Text wird häufig präsentiert, wenn es darum geht, die Binarität des "biologischen" Geschlechts zu bestreiten. Doch was sagt der Artikel tatsächlich und was ist von seinen Argumenten zu halten?

Fuentes beginnt mit einer klaren Ablehnung der Vorstellung, dass die Produktion von Sexualzellen (Gameten) – also von Spermien oder Eizellen – ausreiche, um das "biologische" Geschlecht eines Menschen zu definieren. Diese Definition, so seine Kritik, werde von Politikern und konservativen Stimmen verwendet, um Rechte und gesellschaftliche Positionen abzuleiten. Damit wirft er der Gameten-basierten Definition von Geschlecht (Sexus) vor, sie sei nicht nur reduktionistisch, sondern politisch motiviert. Bereits hier zeigt sich ein grundlegendes Problem. Fuentes verknüpft eine biologische Definition mit gesellschaftlicher Normsetzung und vermischt damit deskriptive Wissenschaft mit normativer Argumentation.

Im weiteren Verlauf stützt sich Fuentes auf Beobachtungen im Tierreich. Er verweist auf Fische, Würmer und Reptilien, bei denen die Geschlechtsfunktionen flexibel oder kombiniert auftreten, wie etwa bei Arten, die ihr Geschlecht im Laufe des Lebens wechseln oder sich parthenogenetisch (also ohne Männchen) fortpflanzen. Diese Diversität soll belegen, dass die Reproduktionsbiologie auch außerhalb eines binären Schemas funktionieren kann. Doch hier wird ein Kategorienfehler begangen. Die Existenz außergewöhnlicher Fortpflanzungssysteme bei Tieren widerlegt nicht die binäre Struktur des Geschlechts, die sich evolutionsbiologisch aus einer Zwei-Gameten-Strategie (Anisogamie) ableitet. Dass manche Spezies diese Binarität nicht in getrennten Geschlechtskörpern ausprägen und sich deshalb anders entwickeln als getrenntgeschlechtliche Organismen (Gonochoristen), sagt nichts darüber aus, ob der Mensch als Spezies nun zwei Geschlechter besitzt oder nicht. Spoiler: Ja, das tut er als anisogamer Gonochorist.

Fuentes betont wiederholt, dass zwar Gameten binär seien, aber die sie produzierenden Körper samt ihrer Physiologie, Anatomie und Verhaltensweisen es nicht seien. In seinen Augen sei es daher "schlechte Wissenschaft", menschliches Geschlecht allein auf die Fähigkeit zur Gametenproduktion zu reduzieren. Doch hier missversteht er die Intention der biologischen Definition. Sie beansprucht nicht, alle Aspekte von Verhalten, Sozialrollen oder Persönlichkeit universell zu erfassen. Vielmehr beschreibt sie Sexus funktional, also nach der Rolle eines Organismus in der sexuellen Fortpflanzung (Sex = Gameten-Fusion), basierend auf der Produktion (bzw. dem Potenzial zur Produktion) von Mikro- oder Makrogameten. Diese Definition ist präzise und kategorial – gerade weil sie nicht vorgibt, komplexe psychologische oder soziale Eigenschaften zu erklären. Dieser reduktionistische Ansatz ist deshalb kein Schwachpunkt der binären Definition, sondern ihre Stärke. Die biologische Geschlechtsdefinition beschreibt Sexus somit explizit nicht nach seinen stereotypischen Hobbys, Interessen oder seinem Sozialverhalten. Dass etwa Fürsorgeverhalten, Muskelmasse oder Berufswahl nicht allein vom Geschlecht abhängen, bestreitet kaum jemand in der modernen Sexualforschung. Fuentes konstruiert hier einen Strohmann, um ein Argument zu entkräften, das so kaum jemand in der Fachliteratur ernsthaft aufstellt.

Deutlich wird an mehreren Stellen, dass es Fuentes letztlich nicht nur um eine wissenschaftstheoretische Klärung geht. Der Artikel kulminiert in einem politischen Appell: Wer an der Gameten-basierten Definition des Geschlechts festhält, tue dies nicht aus wissenschaftlichen, sondern aus diskriminierenden Motiven mit historischen Parallelen zu Rassismus, Sexismus und Homophobie. Hier verlässt der Autor den Boden nüchterner Analyse endgültig. Denn die biologische Realität, dass Menschen entweder Spermien oder Eizellen produzieren (können), ist kein soziales Konstrukt, sondern ein funktionales Faktum. Wer daraus politische Rechte (oder deren Verwehrung) ableitet, argumentiert politisch, nicht wissenschaftlich. In der kritischen Auseinandersetzung solcher Vorkommnisse nun aber umgekehrt biologische Begriffe ideologisch zu delegitimieren, ist ebenso gefährlich und letztlich unredlich.

Hinzu kommt und durchaus positiv anzumerken ist, dass der Artikel selbst als Meinungsbeitrag gekennzeichnet ist. "This is an opinion and analysis article…" steht am Ende – eine wichtige Klarstellung, die im hitzigen Diskurs oft übersehen oder bewusst ignoriert wird. Es handelt sich demnach nicht um eine peer-reviewte Veröffentlichung mit neuem Erkenntnisgewinn, sondern um eine persönliche Interpretation, die wissenschaftlich nicht verifiziert ist. Dennoch wird sie in aktivistischen und bildungspolitischen Kontexten häufig zitiert, als sei sie ein naturwissenschaftlicher Beleg für die Dekonstruktion biologischer Kategorien.

Zweifellos ist Agustín Fuentes ein profilierter Anthropologe mit naturalistischem Hintergrund. Er ist kein Soziologe und auch kein Influencer oder Aktivist im klassischen Sinne. Doch auch ausgebildete Naturwissenschaftler sind nicht vor ideologischer Überformung gefeit. Es gibt schließlich auch Biologen, die Intelligent Design als pseudowissenschaftliche Ausformung des kreationistischen Schöpfungsmythos vertreten oder die Existenz von Viren leugnen. Maßgeblich ist daher nicht die in Debatten häufig in Form eines Argumentum ad verecundiam betonte wissenschaftliche Reputation einer Person, sondern ausschließlich deren wissenschaftliche Argumentation. Ist diese empirisch prüfbar, logisch konsistent und falsifizierbar? Im Fall des hier diskutierten Artikels lautet die Antwort: nein.

Wer ernsthaft über Geschlecht sprechen will, sollte zwischen biologischer Realität und politischer Rhetorik unterscheiden. Die Definition des Sexus über die Fortpflanzungsfunktion ist biologisch sinnvoll, universell einsetzbar, kategorial und wird in jeder einzelnen Artbeschreibung eines neu in der Natur entdeckten, anisogamen Gonochoristen fortlaufend bestätigt. Ausprägungen der Zweigeschlechtlichkeit, die als "Zwischenphänomene" (fehl)interpretiert werden können, sind der sexualbiologischen Forschung hinlänglich bekannt. Sie stellen die Binarität von Geschlecht jedoch nicht infrage, sondern bestätigen diese sogar. Dass daraus keine pauschalen Aussagen über Persönlichkeit, Fähigkeiten oder soziale Rollen folgen, ist selbstverständlich, aber ausdrücklich kein Argument gegen die binäre Natur des Geschlechts.

Die Ironie vieler gegenwärtiger Debatten rund um Geschlecht und Biologie besteht darin, dass ausgerechnet jene Stimmen, die sich lautstark gegen "Essentialismus" oder "Biologismus" wenden, selbst mit "biologistisch" klingenden Argumenten operieren. Biologische Kategorien werden dabei rhetorisch umdefiniert, verzerrt und ideologisch aufgeladen. Aus der real existierenden Komplexität biologischer Systeme wird ein normativer Relativismus konstruiert, der nicht nur wissenschaftlich unbegründet, sondern auch politisch motiviert ist. Die Berufung auf Tierverhalten, Extremfälle oder soziale Variabilität dient dabei oft weniger der Erkenntnis als der Erzeugung von Deutungshoheit. Wer dabei Begriffe wie "Geschlecht" systematisch entkernt, um sie ideologisch anschlussfähig zu machen, betreibt keine Wissenschaftskritik und schon gar keine Wissenschaft, sondern eine rhetorische Aneignung von Wissenschaft zur Legitimation vorgefasster Überzeugungen.

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