Geschlechter (Sexus) sind das evolvierte Werkzeug der geschlechtlichen (sexuellen) Fortpflanzung. Sie sind deshalb ausschließlich im Lichte der Biologie zu betrachten. Wichtig ist, dass man den übergeordneten Geschlechtsbegriff nicht mit untergeordneten Geschlechtsmerkmalen, Entwicklungsprozessen oder gar gefühlten "Geschlechtsidentitäten" verwechselt. Im gesellschaftlichen Diskurs ist zur deutlichen Abgrenzung häufig von "biologischen Geschlechtern" die Rede. Der Zusatz "biologisch" ist jedoch aus fachlicher Sicht überflüssig. Man spricht schließlich auch nicht von "nassem Wasser" oder "runden Kreisen".
Die Geschlechter sind sowohl ein Produkt als auch die Triebfeder der Evolution. Während bei der ungeschlechtlichen (asexuellen) Fortpflanzung die Nachkommen genetisch mit der Elterngeneration identisch sind, entstehen bei der sexuellen Reproduktion aufgrund der Rekombination des Erbgutes zweier Eltern genetisch einzigartige Nachkommen. Dank der daraus resultierenden genetischen Vielfalt erhöht sich die Anpassungsfähigkeit einer Population von Organismen an sich verändernde Umweltbedingungen, wodurch letztlich auch der Artentstehungsprozess beschleunigt wird. Es gibt also nur deshalb Geschlechter, weil die Neukombination von Genen bei der sexuellen Fortpflanzung im Vergleich zur asexuellen Fortpflanzung resilientere Nachkommen erzeugt.
Geschlechter werden anhand der Geschlechtszellen unterschieden
Bei getrenntgeschlechtlichen Organismen (Gonochoristen) werden die Geschlechter anhand der Geschlechtszellen (Gameten) definiert und somit unterschieden [1]. Wenn einzellige Organismen wie z. B. Flagellaten abseits der für Einzeller üblichen asexuellen Fortpflanzung mittels Zellteilung auch die sexuelle Reproduktion entwickelt haben, sind die Gameten in der Regel morphologisch identisch. Bei dieser sogenannten Isogamie wird dasjenige "Geschlecht" (besser Kreuzungs- oder Paarungstyp), welches seine Gameten überträgt, mitunter als "männlich" definiert, während das empfangende Geschlecht als "weiblich" bezeichnet wird. Findet kein solcher aktiver Gametentransport statt, spricht man meist willkürlich von Plus- bzw. Minusgameten, ohne die "Geschlechter" explizit als "männlich" bzw. "weiblich" anzusprechen.
Im Detail wird es bei isogamen Organismen noch komplexer, denn die erfolgreiche Gametenkopulation (Sex = Syngamie) ist hier von spezifischen Oberflächenmerkmalen oder Signalmolekülen abhängig. Nur die Gameten zweier Individuen können fusionieren, wenn sie unterschiedlichen Kreuzungstypen angehören, da auf molekularbiologischer Ebene nur gewisse DNA-Sequenzen mit anderen kompatibel sind. Beim "Blob-Schleimpilz" Physarum polycephalum, haben Forscher 720 solcher Kreuzungstypen entdeckt [2] und der Gemeine Spaltblättling (Schizophyllum commune) kann sogar überwältigende 23.328 Kreuzungstypen vorweisen [3]. Da sich nicht jeder Kreuzungstyp mit jedem beliebigen anderen verpaaren kann, sprechen manche pseudowissenschaftlichen Quellen hierbei ebenfalls von "Geschlechtern" und postulieren damit das Ende der Zweigeschlechtlichkeit. Es handelt sich aber bei Kreuzungstypen nicht um Geschlechter im eigentlichen Sinne. Für die geschlechtliche Reproduktion sind auch bei Blob & Co. lediglich zwei "Geschlechtsindividuen" notwendig. Eine Fusion von drei oder mehr Gameten findet nicht statt.
Bei mehrzelligen Gonochoristen, zu denen auch wir Menschen gehören, sind die Geschlechtszellen morphologisch unterschiedlich. Hierbei spricht man deshalb von einer Anisogamie: Der als weiblich definierte Sexus ist darauf ausgerichtet, einige wenige nährstoffreiche Makrogameten hervorzubringen, während der männliche Sexus darauf ausgerichtet ist, eine hohe Anzahl an zumeist mobilen Mikrogameten zu produzieren. An dieser Stelle beginnt die tatsächliche Definition von Geschlecht in der Biologie. Die anisogame Fortpflanzung lässt sich in drei Unterkategorien aufteilen, je nachdem ob beide Gametentypen mittels Geißeln aktiv beweglich sind, nur einer oder keiner. Sind die Makrogameten unbewegliche Eizellen und die Mikrogameten mobile Spermien (so wie bei uns Menschen), bezeichnet man diese Variante der Anisogamie als Oogamie.
Im Rahmen dieser Geschlechtsdefinition auf Basis des zellulären Unterschieds im Kontext der Gametenkopulation lassen sich alle mehrzelligen Gonochoristen eindeutig geschlechtlich zuordnen – egal ob Mensch, Hamster, Wellensittich, Ringelnatter, Grasfrosch, Lachs, Honigbiene, Kreuzspinne oder Flusskrebs. Festzuhalten ist hierbei, dass die Definition auf der potenziellen Gametenproduktion aufbaut. Das Geschlecht wird daher nicht durch das tatsächlich physisch vorhandene Endergebnis (also eine perfekte Gametenproduktion) definiert, sondern durch den evolutiv festgelegten Entwicklungsweg, den ein Organismus einschlägt – hin zur Produktion von entweder Mikro- oder Makrogameten. Somit sind auch juvenile (noch nicht voll entwickelte) oder sterile Organismen geschlechtlich zuordenbar. Es bleibt also festzuhalten, dass es sich bei der Spezies Homo sapiens um einen mehrzelligen Gonochoristen mit einer ausschließlich anisogamen Fortpflanzung handelt – also um eine zweigeschlechtliche Spezies mit Männchen und Weibchen in der Population.
Die konkreten Mechanismen, durch die ein Organismus im Verlauf seiner Entwicklung ein bestimmtes Geschlecht ausbildet, werden unter dem Begriff Geschlechtsdetermination zusammengefasst. Diese umfasst u. a. genetische Systeme wie das XX/XY-System bei den allermeisten Säugetieren oder das ZZ/ZW-System bei Vögeln, aber auch nicht-genetische Formen wie temperaturabhängige Geschlechtsdetermination bei einigen Reptilienarten. Diese Determinationssysteme stellen evolutionär entstandene Ausprägungen des Geschlechts bzw. genauer gesagt spezifische Realisierungen der biologischen Geschlechtsunterscheidung dar, die innerhalb einer Art konstant, im Tierreich jedoch äußerst vielfältig sind. Die Definition über die potenzielle Gametenproduktion (also den eingeschlagenen Entwicklungsweg) ist die einzige, die über alle sexuell fortpflanzenden Arten hinweg konsistent bleibt – egal, wie das Geschlecht bestimmt wird. Sie ist nicht anthropozentrisch, sondern im Gegenteil die universellste biologische Definition, die wir haben. Sie fragt nur: Auf welchen der beiden möglichen reproduktiven Pfade hat sich das Individuum begeben? Alles andere würde bedeuten, dass wir für jede Tiergruppe eine eigene Geschlechtsdefinition bräuchten. Das ergibt biologisch keinen Sinn.
Gibt es ein "drittes Geschlecht"?
Ein "drittes Geschlecht" oder "Zwischenstufen" des Geschlechts existieren in der uns bekannten Natur nach aktuellem Kenntnisstand nicht. Denn solche bedingen entweder einen dritten, vollständig einzigartigen Gametentypus bzw. eine funktionale (also aktiv an der sexuellen Reproduktion beteiligte) Zwischenform aus Makro- und Mikrogamet. Solche Mesogameten existierten lediglich als hypothetisches Modell in der spekulativen Biologie (z. B. im Kontext der Astrobiologie). In der Realität nachgewiesen wurden sie bislang nicht und Forschungen, die sich dieser Hypothese bezogen auf die irdische Evolution mit mathematischen Modellen nähern, deuten stark darauf hin, dass sie sich aufgrund des Konkurrenzdrucks der Geschlechter untereinander nicht etablieren konnten [4]. Vereinfacht gesagt befanden sich Mesogameten, die es bei der Evolution der Anisogamie aus der Isogamie sicherlich mal gegeben hat, in einer evolutionären Zwickmühle: Sie waren weder zahlreich genug, um mit der Menge an Mikrogameten zu konkurrieren. Sie waren andererseits aber auch nicht ausreichend mit Nährstoffen ausgestattet, um mit der Robustheit und der höheren Energieversorgung von Makrogameten mitzuhalten. Dadurch wurden sie selektiv ausgemerzt, was zu einer klaren und evolutionär stabilen Trennung in zwei Gametentypen führte.
Die Aufspaltung in zwei Gametentypen führte zu weiteren gravierenden Entwicklungen. Nährstoffreiche Makrogameten waren "kostspielig" und selten, weshalb die Selektion jene Organismen förderte, die wählerisch darin waren, sie zum Zwecke der Fortpflanzung zu investieren. Mikrogameten waren hingegen "günstig" und zahlreich, was die Selektion von Organismen begünstigte, die auf intensives Paarungsverhalten setzten. Im Laufe der Zeit formten diese unterschiedlichen Selektionskräfte die geschlechtlichen Unterschiede, die von den beiden Geschlechtern in Physiologie, Anatomie und Verhalten hervorgebracht (generiert von lat. "gignere" = Gender) werden.
Hermaphroditismus (Zwittrigkeit) ist demnach genauso wenig ein "drittes Geschlecht" wie das Phänomen der sogenannten "Intersexualität" des Menschen, da in beiden Fällen kein Entwicklungspfad hin zur Produktion eines Gametentyps abseits männlicher Mikro- oder weiblicher Makrogameten eingeschlagen wird.
Quellen
[1] Goymann, W., Brumm, H., & Kappeler, P. M. (2023). Biological sex is binary, even though there is a rainbow of sex roles: Denying biological sex is anthropocentric and promotes species chauvinism. BioEssays, 45(2), 2200173. https://doi.org/10.1002/bies.202200173
[2] DEE, J. A Mating-type System in an Acellular Slime-mould. Nature 185, 780–781 (1960). https://doi.org/10.1038/185780a0
[3] Erika Kothe: Mating Types and Pheromone Recognition in the Homobasidiomycete Schizophyllum commune. In: Fungal Genetics and Biology. Band 27, Nr. 2–3, Juli 1999, S. 146–152, doi:10.1006/fgbi.1999.1129
[4] Jussi Lehtonen, Geoff A. Parker, Gamete competition, gamete limitation, and the evolution of the two sexes, Molecular Human Reproduction, Volume 20, Issue 12, December 2014, Pages 1161–1168, https://doi.org/10.1093/molehr/gau068