Die Debatte um Transidentität ist in der öffentlichen Wahrnehmung – nicht zuletzt aufgrund identitätspolitischer Kulturkämpfer in Politik und ÖRR-Medien – stark polarisiert. Während einige Lobby-Gruppen die pseudowissenschaftliche Idee eines "Geschlechterspektrums" postulieren, um die biologische Realität der Geschlechtsbinarität zu dekonstruieren, missbrauchen andere Akteure die Biologie, um Transgender pauschal als "psychisch gestört" zu pathologisieren. Besonders in radikal-feministischen und damit trans-exklusiven Kreisen (oft als "TERF" bezeichnet, von uns als "SMURF" vorgeschlagen) wird häufig argumentiert, dass Transidentität allein ein soziales oder psychisches Thema ohne biologische Grundlage sei und dass die Biologie deshalb aus dieser Debatte herausgehalten werden sollte. Es wird argumentiert, Transgeschlechtlichkeit sei eine psychische Störung, vergleichbar mit Depressionen oder Magersucht, und dass transaffirmative medizinische Maßnahmen oder rechtliche Anerkennung von Betroffenen daher illegitim seien.
In diesem Beitrag analysieren wir solche Argumente kritisch, beleuchten die wissenschaftliche Unterscheidung zwischen neuronalen Funktionsstörungen und strukturellen Anomalien und zeigen, wie reduktionistische Pathologisierungen die Komplexität von Transidentität ignorieren.
Die binäre Geschlechtsdefinition und ihr Missbrauch
Die Biologie definiert Geschlecht zweifelsfrei binär anhand von Gameten. Die (potenzielle) Produktion von entweder Spermien oder Eizellen erlaubt beim Menschen die Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht [1]. Diese Definition ist wissenschaftlich fundiert, da es keine "Mesogameten" oder dritte Geschlechtskategorien gibt. Trans-exklusive Argumente nutzen diese objektive Tatsache regelmäßig, um zu behaupten, dass Transgender "die objektiv nachprüfbare Realität" verleugnen, da ihr Geschlecht unveränderbar sei. Diese an sich korrekte Sichtweise (es gibt in der Tat keine echte Transsexualität beim Menschen) wird daraufhin jedoch erweitert, um Transidentität als rein psychische Störung zu framen, die durch Psychotherapie "geheilt" werden könne. Solche Argumente überschreiten nicht nur die Grenzen der Biologie, sie missbrauchen sie, indem die binäre Geschlechtsdefinition genutzt wird, um die Belange von Transgendern pauschal zu delegitimieren.
Strukturelle vs. funktionale neurologische Unterschiede
Ein zentraler Punkt in der Debatte ist die Unterscheidung zwischen strukturellen und funktionalen neurologischen Veränderungen. Ein häufiges Argument trans-exklusiver Kreise setzt Transidentität mit psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Magersucht oder Körperintegritätsidentitätsstörung (Body Integrity Disorder; BID) gleich. Dabei wird behauptet, dass Transgender "die Realität nicht wahrnehmen" und ihre Geschlechtsdysphorie somit lediglich eine behandelbare psychische Störung sei.
Neurologische Studien zeigen jedoch, dass Transidentität mit strukturellen Anomalien im Gehirn assoziiert ist, insbesondere im Hypothalamus und in kortikalen Regionen, die auf pränatale hormonelle Einflüsse hindeuten – und zwar nicht nur bei bereits hormonbehandelten Patienten (mehr dazu: Das "Transgender-Gehirn"). Diese strukturellen Anomalien entstehen vermutlich pränatal und sind somit als tiefgreifende Entwicklungsstörung – also gewissermaßen als "Werksschaden der Hardware" – zu bezeichnen, die nicht durch "Software-Updates" im Sinne einer Psychotherapie veränderbar sind, im Gegensatz zu funktionalen Veränderungen, wie sie bei Depressionen oder Angststörungen beobachtet werden. Diese Funktionsstörungen treten bei Transgendern zwar ebenfalls signifikant häufig auf, sie sind aber lediglich eine Komorbidität von Geschlechtsdysphorie, nicht zwingend deren Ursache, sondern eine Folge von sozialem Stigma und Diskriminierung. SMURFs ignorieren dies und reduzieren Transidentität auf "Softwarefehler".
Trans-exklusive Narrative fokussieren somit selektiv auf Komorbiditäten, um transaffirmative Medizin – die zumindest korrekt diagnostizierte und damit valide Geschlechtsdysphorien effektiv lindert [2][3] – pauschal als unnötig oder gar schädlich darzustellen.
Der Widerspruch der trans-exklusiven Argumentation
Ein eklatanter Widerspruch in trans-exklusiven Positionen liegt in ihrer Betonung des Geschlechtsdimorphismus. Studien wie Ingalhalikar et al. (2014) zeigen, dass männliche und weibliche Gehirne im Durchschnitt (also nicht zwingend bei jedem Individuum!) strukturelle und funktionale Unterschiede aufweisen [4] (mehr dazu: Gehirn & Geschlecht). Trans-exklusive Kreise nutzen diese Erkenntnis und auch die tragischen Konsequenzen des John/Joan-Experiments, um die Unterschiede zwischen (biologisch männlichen) "Transfrauen" und Frauen sowie die Unveränderbarkeit von Geschlecht und Geschlechtsidentität zu untermauern, verneinen aber zeitgleich, dass Transgender aufgrund anomal entwickelter Gehirnmerkmale ebenfalls eine unveränderliche Geschlechtsidentität bezogen auf das jeweilige Gegengeschlecht aufweisen können. Die auf diese Diskrepanz hindeutende wissenschaftliche Evidenz wird dann meistens mit der Begründung abgelehnt, dass neuronale Auffälligkeiten innerhalb der Transgender-Population lediglich im Durchschnitt vorlägen und daher kein "valides" (gemeint ist hier eher "diagnostisches") Kriterium seien.
Diese selektive Interpretation widerspricht ihrer eigenen SMURF-Logik: Wenn Geschlechtsdimorphismus im Gehirn existiert, ist es plausibel, dass pränatale Entwicklungsstörungen (wie beispielsweise eine nicht vollständige Maskulinisierung des Gehirns eines männlichen XY-Fetus) zu einer Diskrepanz zwischen Geschlecht und Geschlechtsidentität führen können – ein "Hardwarefehler", der nicht durch psychotherapeutische "Umpolung" behoben (sozial dekonstruiert) werden kann.
Rapid-Onset Gender Dysphoria und selektive Evidenz
Ein weiteres Argument trans-exklusiver Kreise ist die Hypothese der Rapid-Onset Gender Dysphoria (ROGD), die Transidentität bei Jugendlichen als soziales Phänomen oder psychische Störung diskutiert, verursacht durch äußere Einflüsse wie Peer-Gruppen oder Medien (soziale Ansteckung). Die zugrundeliegende Studie von Littman (2018) [5] wird von Pro-Trans-Aktivisten zwar häufig als methodisch schwach und ideologisch motiviert dargestellt, wir als IG Sexualbiologie halten die ROGD jedoch durchaus für ein ernstzunehmendes Zeitgeistphänomen, welches einerseits die Ursachenforschung neurologisch begründeter Geschlechtsdysphorie sowie andererseits die Langzeitbetrachtung der Effizienz von geschlechtsangleichenden Maßnahmen zunehmend erschwert. Denn je mehr "Pseudo-Transgender" in solche Studien einfließen, desto weniger Aussagekraft haben sie über valide Transgender.
Wenn trans-exklusive Narrative allerdings die ROGD-Hypothese oder andere Zeitgeistphänomene wie autogynophile Männer, die ihren Fetisch zunehmend auf Videoplattformen wie TikTok ausleben, überhöhen, um die Komplexität von Transidentität generell auf soziale oder psychische Ursachen zu reduzieren, bezeichnen wir dies als selektive Evidenz. Dieses Cherry-Picking ignoriert robuste Hinweise für neurologische Faktoren und dient dazu, transaffirmative Ansätze wie Hormontherapie und geschlechtsangleichende Operationen generell abzulehnen, während Psychotherapie als alleinige Lösung propagiert wird. Das häufig vorgebrachte Argument des Schutzes von Betroffenen vor einschneidenden Eingriffen wirkt dabei jedoch vorgeschoben, denn letzten Endes geht es SMURFs um den Ausschluss der rechtlichen Anerkennung von Transgendern – insbesondere von sogenannten "Transfrauen", deren Belange in dieser Argumentation als von "psychisch kranken Männern" delegitimiert werden.
Fazit
Die Forschung ist gewiss noch nicht abgeschlossen, sie deutet aber aus unserer Sicht stark darauf hin, dass Transidentität in Form der intrinsisch verankerten Geschlechtsdysphorie eine komplexe Wechselwirkung von primär biologisch/neurologischen aber auch sozialen/psychischen Faktoren ist. Strukturelle Anomalien im Gehirn sind zwar bislang kein zweifelsfreies Diagnosekriterium, statistische Häufungen innerhalb der Transgender-Kohorte sind aber dennoch signifikant und deuten auf tiefgreifende, neurologische Entwicklungsstörungen hin, die sich von funktionalen Veränderungen bei psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen unterscheiden. Argumente, die Transidentität ausschließlich auf psychische Komorbiditäten oder Konzepte wie ROGD reduzieren, nutzen selektive Evidenz für ideologische Zwecke.
Nichts in der Psychologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Biologie! Diese Erkenntnis, inspiriert von Theodosius Dobzhanskys "Nichts in der Biologie ergibt Sinn, außer im Lichte der Evolution", unterstreicht, dass selbst psychologische Phänomene wie Verhalten, Wahrnehmung und emotionale Reaktionen am besten durch ihre evolutionären Wurzeln und neurobiologischen Grundlagen verstanden werden können. Wir plädieren daher für eine differenzierte Sicht, die weder die binäre Geschlechtsdefinition relativiert noch Transidentität auf psychische Störungen reduziert. Wissenschaftliche Präzision und Offenheit für Nuancen sind der Schlüssel, um ideologische Vereinfachungen zu überwinden.
Quellen
[1] Goymann, W., Brumm, H., & Kappeler, P. M. (2023). Biological sex is binary, even though there is a rainbow of sex roles: Denying biological sex is anthropocentric and promotes species chauvinism. BioEssays, 45(2), 2200173. https://doi.org/10.1002/bies.202200173
[2] Ruppin, U., Pfäfflin, F. Long-Term Follow-Up of Adults with Gender Identity Disorder. Arch Sex Behav 44, 1321–1329 (2015). https://doi.org/10.1007/s10508-014-0453-5
[3] van de Grift, T. C., Elaut, E., Cerwenka, S. C., Cohen-Kettenis, P. T., & Kreukels, B. P. C. (2017). Surgical Satisfaction, Quality of Life, and Their Association After Gender-Affirming Surgery: A Follow-up Study. Journal of Sex & Marital Therapy, 44(2), 138–148. https://doi.org/10.1080/0092623X.2017.1326190
[4] M. Ingalhalikar, A. Smith, D. Parker, T.D. Satterthwaite, M.A. Elliott, K. Ruparel, H. Hakonarson, R.E. Gur, R.C. Gur, & R. Verma, Sex differences in the structural connectome of the human brain, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 111 (2) 823-828, https://doi.org/10.1073/pnas.1316909110 (2014).
[5] Littman L (2018) Parent reports of adolescents and young adults perceived to show signs of a rapid onset of gender dysphoria. PLoS ONE 13(8): e0202330. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0202330

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