In Großbritannien haben Forscher zwei neue klinische Studien zum Einsatz von sogenannten "Pubertätsblockern" bei Jugendlichen gestartet. Wie 'The Guardian' berichtet, reagieren Wissenschaft und Gesundheitswesen damit auf die Ergebnisse des sogenannten Cass-Reviews aus dem Jahr 2024, das einen deutlichen Mangel an belastbaren Daten zu Wirkung und Nebenwirkungen dieser Behandlungsform festgestellt hatte: Two UK clinical trials to assess impact of puberty blockers in young people
Die Studien sollen helfen, die medizinische Versorgung junger Menschen mit Geschlechtsinkongruenz auf eine solide wissenschaftliche Grundlage zu stellen – ein Schritt, der in der aktuellen Debatte sowohl Zustimmung als auch Kritik auslöst.
Hintergrund
Sogenannte "Pubertätsblocker" (GnRH-Analoga) wurden ursprünglich zur Behandlung einer verfrühten Pubertät und zur medikamentösen Androgensuppression bei Männern mit Prostatakarzinom entwickelt und eingesetzt. Man unterscheidet zwischen GnRH-Agonisten und GnRH-Antagonisten. Während GnRH-Agonisten zunächst die Rezeptoren für das Gonadotropin-Releasing-Hormon (GnRH) in der Hypophyse stark aktivieren, einen kurzfristigen massiven Anstieg der Sexualhormone auslösen ("Flare-up-Effekt") und erst nach 1 bis 3 Wochen durch Desensibilisierung zu einer starken Suppression führen, blockieren GnRH-Antagonisten die Rezeptoren sofort und kompetitiv ohne jede Initialstimulation – die Unterdrückung von Sexualhormonen setzt daher unmittelbar ein und ist sofort reversibel nach Absetzen. GnRH-Analoga ist der Oberbegriff für beide Substanzklassen. Beide werden eingesetzt, um die Produktion von Geschlechtshormonen gezielt zu steuern oder zu unterdrücken, wobei Agonisten vor allem bei längerfristiger Suppression und Antagonisten bei Bedarf an schneller, "flare-freier" Kontrolle bevorzugt werden.
In den vergangenen Jahren nutzte man diese Substanzen jedoch zunehmend – oft außerhalb der zugelassenen Indikation – für junge Menschen mit Geschlechtsdysphorie, um die körperlichen Auswirkungen der Sexualhormone während der natürlichen Pubertät zu unterdrücken. Nach dem Cass-Report entschied das britische Gesundheitssystem NHS, dass GnRH-Analoga künftig nicht mehr routinemäßig verschrieben werden dürfen, sondern aufgrund unzureichender und widersprüchlicher Daten über ihre Auswirkungen auf psychische Entwicklung, Wohlbefinden, Stoffwechsel, kognitive Entwicklung und Fertilität nur noch im Rahmen von Studien.
Genau hier setzen die neuen Projekte an. Beide Studien gehören zum größeren "Pathways-Programm", das den medizinischen Weg junger Patienten mit Geschlechtsinkongruenz wissenschaftlich begleiten soll.
Was wird untersucht?
In der einen Studie ("Pathways Trial") sollen über die nächsten drei Jahre 226 Jugendliche rekrutiert werden. Sie werden zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine Gruppe bekommt eine direkte Behandlung mit "Pubertätsblockern", die andere erfährt ein Jahr Wartezeit, bevor die Behandlung beginnt. Alle Probanden erhalten im Studienverlauf zusätzliche psychologische und medizinische Betreuung. Über mindestens 24 Monate hinweg werden körperliche, psychische und entwicklungsbezogene Daten erhoben. Am Ende soll individuell entschieden werden, wie die weitere Behandlung aussehen kann. Zusätzlich wird eine Vergleichsgruppe ohne Pubertätsblocker herangezogen.
Die zweite Studie ("Pathways Connect") ergänzt die erste durch neurobiologische Daten. Rund 150 der Teilnehmer aus dem Pathways Trial sowie etwa 100 junge Menschen ohne Behandlung mit "Pubertätsblockern" sollen mittels MRT untersucht werden. Ziel ist es, die Bildgebungsdaten mit kognitiven Tests in Beziehung zu setzen. Früheste Ergebnisse werden in etwa vier Jahren erwartet.
Kontroverse Reaktionen
Die Studien lösen unterschiedliche Reaktionen aus. Vertreter von Transgender-Lobbyverbänden sehen die Forschung kritisch. So argumentiert etwa Chay Brown von der Organisation "TransActual", die Randomisierung sei "ethisch problematisch", da die verzögerte Behandlung bei manchen Jugendlichen bedeute, dass sie geschlechtsspezifische Entwicklungen erleben müssten, die sie eigentlich verhindern wollten.
Andere Fachleute äußern dagegen, dass klinische Studien genau der Rahmen seien, in dem neue Behandlungsmethoden üblicherweise eingeführt würden. Einige argumentieren sogar, dass eine solche wissenschaftliche Begleitung schon vor über einem Jahrzehnt hätte stattfinden sollen.
Unsere Position zu "Pubertätsblockern"
Als IG Sexualbiologie begrüßen wir ausdrücklich die nun begonnene wissenschaftliche Evaluation des Einsatzes von sogenannten "Pubertätsblockern" im Jugendalter. Aus unserer Sicht ist es ethisch nicht problematisch, in klinischen Studien systematisch zu untersuchen, wie jungen Menschen mit Geschlechtsdysphorie bestmöglich und evidenzbasiert geholfen werden kann – im Gegenteil: Problematisch wäre vielmehr, auf solide Erkenntnisse zu verzichten und Behandlungswege ausschließlich auf Annahmen oder politischen Erwartungen aufzubauen.
Kritik, die klinische Studien zur Wirksamkeit und zu möglichen Risiken von GnRH-Analoga als "ethisch fragwürdig" betrachtet, bewerten wir daher ebenfalls kritisch. Medizinisch-ethische Entscheidungen müssen auf belastbare Daten gestützt sein. Forschung, die Transparenz, Nutzenbewertung und langfristige medizinische Sicherheit ermöglicht, stellt dafür eine Grundvoraussetzung dar.
Darüber hinaus verweisen wir darauf, dass ein ausschließlich affirmatives Behandlungsmodell – also ein Vorgehen, bei dem der subjektiv geäußerten Geschlechtsidentität ohne weitere diagnostische oder entwicklungsbezogene Abklärung therapeutisch gefolgt wird – selbst ethische Fragen aufwirft. Mehrere internationale Forschungsarbeiten haben den Hinweis geliefert, dass sich ein signifikanter Teil der Jugendlichen, die im frühen oder mittleren Teenageralter eine transidente Selbstwahrnehmung entwickeln, im Verlauf der natürlichen Pubertät anders orientiert. Insbesondere bei Jungen wurde beobachtet, dass sie sich im Zuge hormoneller Reifungsprozesse nicht langfristig als "trans" identifizieren, sondern sich zu homoerotisch veranlagten Männern entwickeln (siehe Geschlechtsdysphorie im Kindesalter: Das Phänomen der Desistenz).
Die Pubertät ist aus sexualbiologischer Sicht ein tiefgreifender Umstrukturierungsprozess von Hormonsystem, Identitätsentwicklung und Gehirnreifung. Dieser zentrale Entwicklungsabschnitt sollte nicht vorschnell pharmakologisch unterdrückt werden, bevor wissenschaftlich belastbar geklärt ist, welche kurz- und langfristigen Auswirkungen solche Eingriffe tatsächlich haben. Die neuen Studien in Großbritannien stellen daher aus unserer Sicht einen wichtigen Schritt dar, um bestehende Wissenslücken zu schließen und Jugendliche nicht nur gut gemeint, sondern vor allem gut begründet medizinisch zu begleiten.
Fazit
Die neuen britischen Studien stehen für eine Entwicklung, die auch international an Bedeutung gewinnt. Medizinische Versorgung junger Menschen mit Geschlechtsinkongruenz soll stärker wissenschaftlich abgesichert und langfristig evaluiert werden. Forschungsprogramme könnten entscheidend dazu beitragen, Risiken und Nutzen von sog. "Pubertätsblockern" differenzierter zu verstehen – unabhängig davon, wie man persönlich oder institutionell zu ihnen steht.



