Sonntag, 29. Juni 2025

Kritische Diskussion: Queerness in der Natur

Immer wieder wird in gesellschaftspolitischen Debatten auf die Natur verwiesen, um bestimmte Verhaltensweisen, Identitäten oder soziale Strukturen zu begründen oder zu legitimieren. Ein aktuelles Beispiel dafür ist eine Bilderserie der österreichischen Partei "Die Grünen", die auf Instagram unter dem Titel "Das Natürlichste der Welt? Queer sein" acht Beispiele aus der Tier- und Pilzwelt präsentiert, um auf die Vielfalt sexueller Ausdrucksformen hinzuweisen – mit dem impliziten oder expliziten Ziel, "queere" Identitäten auch im menschlichen Kontext als "natürlich" darzustellen:


Solche Argumentationen sind auf den ersten Blick wohlmeinend und sollen Akzeptanz fördern, bergen aber auch die Gefahr, biologisch komplexe Phänomene zu vereinfachen oder falsch zu deuten. Insbesondere rücken sie die Naturwissenschaften in eine politische Rolle, die ihnen nicht immer gerecht wird. Biologische Diversität wird hier zum Argument für gesellschaftliche Diversität gemacht – ein Schritt, der sowohl aus naturwissenschaftlicher als auch aus philosophischer Sicht kritisch zu hinterfragen ist.

In diesem Artikel nehmen wir die acht Beispiele der Bilderserie genauer unter die Lupe: Was zeigen sie tatsächlich aus biologischer Sicht? Was sagen sie über Sexualität, Geschlecht und Verhalten in der Natur aus? Und inwiefern lassen sich solche Beobachtungen sinnvoll (oder überhaupt) auf den Menschen übertragen? Dabei wird auch auf den Unterschied zwischen deskriptiver Naturbeschreibung und normativer Argumentation eingegangen, um naturalistischen Fehlschlüssen vorzubeugen.

1. "Schwule Pinguinpaare" und das Ausbrüten verlassener Eier

Die Beobachtung, dass gleichgeschlechtliche, insbesondere männliche Pinguinpaare gemeinsam Eier ausbrüten oder Aufzuchtverhalten zeigen, ist vielfach dokumentiert worden [1]. Berühmt wurden Fälle aus Zoos, etwa das Paar "Roy und Silo" im Central Park Zoo in New York, das in den frühen 2000ern ein Ei erfolgreich auszubrüten begann. Solche Beispiele werden oft medial als Beleg für "Homosexualität" oder "Queerness" in der Tierwelt herangezogen. Doch wie belastbar ist diese Interpretation aus biologischer Sicht?

Beobachtungen in Gefangenschaft vs. freier Wildbahn

Zwar wurden gleichgeschlechtliche Brutpaare bei Pinguinen auch in der freien Natur beobachtet. die meisten dokumentierten Fälle stammen jedoch aus Haltungen in menschlicher Obhut. Diese Umgebung unterscheidet sich jedoch erheblich von natürlichen Habitaten – sowohl in Bezug auf Partnerverfügbarkeit als auch auf soziale Dynamiken. Studien an Säugetieren weisen darauf hin, dass gleichgeschlechtliches Paarungsverhalten in Gefangenschaft oft als kompensatorisches Verhalten auftritt, etwa bei unausgeglichenem Geschlechterverhältnis oder mangelnder Verfügbarkeit gegengeschlechtlicher Partner [2].

Paarbindung und Dauerhaftigkeit

Es gibt Hinweise darauf, dass männlich-männliche Paare bei Pinguinen über längere Zeiträume zusammenbleiben können – sogar über mehrere Brutperioden hinweg. Dennoch ist nicht abschließend geklärt, ob diese Bindungen dieselbe Funktion haben wie gegengeschlechtliche Paarungen. Viele Forscher vermuten, dass das Verhalten eher sozial kompensatorisch oder reproduktiv opportunistisch motiviert ist, z. B. durch Bruttrieb ohne verfügbaren Fortpflanzungspartner.

Übertragbarkeit auf den Menschen

Auch wenn gleichgeschlechtliche Interaktionen bei Pinguinen insbesondere in Gefangenschaft, aber auch in der Natur vorkommen und evolutionäre Vorteile haben können (z. B. soziale Stabilität, Adoption verwaister Eier), ist es problematisch, daraus direkte Parallelen zur menschlichen erotischen Veranlagung oder zu "queeren" Identitätsformen zu ziehen. Das Verhalten lässt sich evolutionär oft besser durch soziale Bindung, kompensatorische Brutpflege oder Reaktion auf Umweltbedingungen erklären als durch eine dauerhafte gleichgeschlechtliche Präferenz im Sinne des Menschen. Es ist ein wertvolles Argument für die Natürlichkeit von gleichgeschlechtlichen Interaktionen, aber kein direkter Spiegel menschlicher Verhaltensweisen. 

2. "Viele Schneckenarten haben mehrere Geschlechter gleichzeitig": Was Simultanzwitter wirklich sind

In der Bilderserie wird das Paarungsverhalten von Landlungenschnecken als Beispiel für "mehrere Geschlechter gleichzeitig" angeführt. Diese Aussage ist in ihrer Formulierung jedoch biologisch falsch und führt leicht zu Fehlinterpretationen über Geschlechtervielfalt im Tierreich.

Zwei Geschlechter in einem Individuum

Viele Schneckenarten, insbesondere Landlungenschnecken (Pulmonata), sind Simultanzwitter [3]. Sie besitzen gleichzeitig funktionstüchtige männliche und weibliche Fortpflanzungsorgane und können bei der Paarung sowohl Spermien abgeben als auch Eizellen bereitstellen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie "mehrere" (im Sinne von "mehr als zwei") Geschlechter besitzen – im Gegenteil: Die biologische Grundlage bleibt die klassische Zweigeschlechtlichkeit, die durch Anisogamie definiert ist – die Unterscheidung in kleine, bewegliche Gameten (Spermien) und große, unbewegliche Gameten (Eizellen).
 
Wichtig: Es existieren zwei reproduktive Geschlechter. Diese können in einem Organismus vereint sein, aber das bedeutet nicht, dass es "mehrere" (im Sinne von drei oder mehr) Geschlechter gäbe.

Warum sind Schnecken Zwitter?

Bei vielen Landlungenschnecken ist die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Paarungspartner zu treffen, aufgrund ihrer langsamen Fortbewegung und oft solitären Lebensweise gering. Simultanzwittertum stellt in diesem Kontext einen evolutionären Vorteil dar: Jeder beliebige Artgenosse ist grundsätzlich ein potenzieller Fortpflanzungspartner, was eine statistische Verdopplung der Reproduktionschancen darstellt. Bei einem Treffen können sich beide Individuen gegenseitig befruchten, was ihre Fitness erhöht.

Auch die in der Fotostrecke der Grünen genannten Liebespfeile (Calcareous darts; Gypsobelum), die bei bestimmten Arten während der Paarung eingesetzt werden, sind keine Zeichen "romantischer Vielfalt", sondern Teil eines Fortpflanzungskonflikts: Die Pfeile beeinflussen hormonell die Spermaspeicherung im Körper des Partners und erhöhen die eigene Befruchtungschance. Sie sind damit ein Beispiel für sexuellen Konflikt [4].

Keine Infragestellung, sondern Bestätigung der Zweigeschlechtlichkeit

Simultanzwitter wie Schnecken zeigen, dass es in der Natur zwei reproduktive Geschlechter gibt, die in manchen Arten nicht auf zwei Individuen verteilt, sondern in einem Körper vereint sind. Das stellt das bipolare Geschlechtersystem nicht infrage, sondern bestätigt es sogar auf besonders interessante Weise.

Daraus lassen sich keine Rückschlüsse auf menschliche Geschlechtsidentität oder -diversität ziehen, denn:
  • Die Existenz simultaner Fortpflanzungsorgane ist keine Parallele zu inter- oder transgeschlechtlichen Menschen.
  • Die Kategorie "Geschlecht" im biologischen Sinne bezieht sich auf Gametenproduktion, nicht auf Identität oder Rollenverhalten.
 

3. Schwarznasenschaf: "Etwa 6 % der Schafböcke haben ausschließlich Bock auf andere Böcke"

Dieses Beispiel bezieht sich auf Beobachtungen bei domestizierten Hausschafen (Ovis aries), insbesondere bei Rassen wie dem amerikanischen Rocky-Mountain-Bighorn-Schaf oder dem europäischen Schwarznasenschaf. Dort wurde dokumentiert, dass ein kleiner Prozentsatz männlicher Tiere dauerhaft auf gleichgeschlechtliche Partner fixiert ist und Weibchen konsequent ignoriert [5].

Einzigartig – aber erklärungsbedürftig

Tatsächlich gelten Hausschafe als eine der wenigen dokumentierten Tierarten, bei denen bestimmte männliche Individuen über längere Zeiträume ausschließlich gleichgeschlechtliches Sexualverhalten zeigen – auch dann, wenn fruchtbare Weibchen verfügbar sind. Das macht sie zu einer Ausnahme im Tierreich, denn bei den meisten dokumentierten "homoerotischen" Tierverhalten handelt es sich um temporäre Verhaltensweisen, nicht um dauerhafte Orientierung im menschlichen Sinne.

Domestikation als Defektsituation?

Aus unserer Sicht handelt es sich bei diesen Beobachtungen um Verhalten unter Bedingungen der Gefangenschaft oder Domestikation, d. h. in einem durch künstliche Selektion, Haltung und Zucht beeinflussten Kontext. Solche Bedingungen können biologische Gleichgewichte etwa durch Fehlprägung in frühen Lebensphasen, Reizentzug oder Reizverschiebung in isolierten Herden oder durch ungewollte Selektion auf Verhaltensmerkmale, die in freier Wildbahn nicht überlebensfähig wären, verschieben. In Wildpopulationen wurden solche fixierten homoerotischen Präferenzen nicht beobachtet, auch nicht bei den nah verwandten Wildschafen oder Mufflons.

Kein klarer Analogieschluss möglich

Auch wenn es bei Hausschafböcken interessante Befunde zum Sexualverhalten gibt, ist Vorsicht geboten, diese als Bestätigung menschlicher erotischer Veranlagungen "in der Natur" zu deuten. Die Beobachtungen stammen aus nicht natürlichen Lebensräumen und die neurologischen Korrelate, so interessant sie sein mögen, erklären noch keine bewusste Identitätsbildung. Die Existenz gleichgeschlechtlichen Verhaltens bei Tieren legitimiert menschliche Homoerotik nicht, macht sie aber auch nicht erklärungsbedürftig. Die moralische Akzeptanz menschlicher Vielfalt sollte nicht von Tiervergleichen abhängig gemacht werden, insbesondere dann nicht, wenn diese wissenschaftlich umstritten sind.
 

4. Clownfische: "Wenn das dominante Weibchen stirbt, wird das ranghöchste Männchen zum Weibchen"

Dieses Beispiel beschreibt korrekt ein faszinierendes Phänomen aus der Biologie vieler Fischarten: den Geschlechterwechsel [6], hier konkret bei Clown- bzw. Anemonenfischen (Amphiprioninae). Dabei handelt es sich um eine Form von Konsekutivzwittertum, also einen zeitlich nacheinander erfolgenden Wechsel des funktionellen Geschlechts. Clownfische sind proterandrisch, das heißt: sie sind zunächst männlich und können sich später in funktionelle Weibchen umwandeln.

Wechsel zwischen zwei, nicht mehr Geschlechtern

Beim proterandrischen Geschlechterwechsel durchläuft ein Individuum eine klare, gerichtete Transition: vom männlichen zum weiblichen Fortpflanzungsstatus. Dabei verändern sich nicht nur hormonelle Zustände und Geschlechtsdrüsen (Gonaden), sondern auch Verhalten und soziale Stellung. 
 
Wichtig: Es existieren weiterhin nur zwei biologische Geschlechter (Männchen und Weibchen) und jedes Individuum nimmt zeitlich nacheinander genau eine dieser beiden Rollen ein.

Der Geschlechtswechsel erfolgt somit innerhalb einer binären Matrix, es entsteht kein "drittes" oder "weiteres" Geschlecht, das System bestätigt die Zweigeschlechtlichkeit auf funktioneller Ebene, erweitert lediglich deren dynamische Flexibilität.

Evolutionäre Optimierung

Bei Clownfischen lebt eine Gruppe meist in einer Anemone, bestehend aus einem dominanten Weibchen, einem aktiven Männchen und mehreren nicht-fortpflanzenden juvenilen Männchen. Stirbt das Weibchen, steigt das ranghöchste Männchen auf und übernimmt die weibliche Rolle, während ein juveniles Männchen in die aktive Männchenposition nachrückt. Diese durch hormonelle Gradienten aufgrund des Sozialgefüges ausgelöste Strategie minimiert die Zeit, die ohne fortpflanzungsfähiges Weibchen vergeht und ist ein evolutionär optimierter Fortpflanzungsmechanismus [7].
 
Der Grund, warum solche Geschlechtswechsel bei Fischen biologisch möglich sind, liegt unter anderem in ihrer Fortpflanzungsweise: Fische befruchten ihre Eier in der Regel äußerlich, das heißt außerhalb des Körpers. Dadurch müssen keine komplexen anatomischen Strukturen wie Gebärmutter, Plazenta oder äußere Genitalien umgebaut werden. Der Wechsel betrifft primär gonadale Strukturen. Bei Säugetieren hingegen, die sich durch innere Befruchtung und eine hochspezialisierte Fortpflanzungsphysiologie auszeichnen, wäre ein Geschlechtswechsel deutlich komplexer. Die Umstrukturierung von Fortpflanzungsorganen, sekundären Geschlechtsmerkmalen und hormonellen Steuerungen wäre biologisch extrem aufwendig und in der Regel nicht vereinbar mit der Fortpflanzungsstrategie der Art. Deshalb kommt ein natürlicher Geschlechterwechsel bei Säugetieren nicht vor.

Dynamik ≠ Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit

Clownfische und andere konsekutive Zwitter zeigen eindrucksvoll, dass Geschlecht im Tierreich plastisch reguliert werden kann, z. B. durch soziale Reize oder Umweltbedingungen. Doch der Geschlechtswechsel bewegt sich stets zwischen zwei funktionalen Endpunkten. Biologische Geschlechterflexibilität ist daher kein Beleg für eine Auflösung der Binarität, sondern im Gegenteil ein Beweis für die funktionale Notwendigkeit und Komplementarität zweier Geschlechter im Reproduktionssystem.
 

5. "Männliche Löwen kuscheln und reiben sich aneinander"

In der Tierverhaltensforschung wurde tatsächlich beobachtet, dass männliche Löwen insbesondere innerhalb von sogenannten Koalitionen Körperkontakt suchen, sich aneinander reiben und gelegentlich aufspringen, ein Verhalten, das dem Geschlechtsakt ähnelt [8]. Solche Verhaltensweisen wurden sowohl in Gefangenschaft als auch in freier Wildbahn dokumentiert.
 
Diese gleichgeschlechtlichen Verhaltensweisen treten vor allem in Männchen-Koalitionen auf, also Gruppen von Brüdern oder "befreundeten" Löwenmännchen, die sich zusammentun, um ein Rudel zu übernehmen. In diesem Kontext haben die beobachteten Verhaltensweisen vermutlich mehrere Funktionen: 
  • Soziale Bindung und Koordination innerhalb der Koalition
  • Hierarchieetablierung, also Dominanzverhalten ohne tödliche Kämpfe
  • Stressreduktion in enger Rudelhaltung
Dieses Verhalten stellt jedoch keine dauerhafte erotische Präferenz im menschlichen Sinne, ein Paarungssystem zur Fortpflanzung oder Ausdruck einer Identität dar. Auch wenn erotische Elemente beobachtet werden, handelt es sich in der Regel um situatives Verhalten innerhalb sozialer Dynamiken – vergleichbar mit Rangkämpfen, Imponierverhalten oder Spielhandlungen.

Zirkelschluss: Was bedeutet das für den Menschen?

Wer aus solchen Beobachtungen ableitet, dass menschliche Homoerotik "natürlich" sei, begeht einen klassischen naturalistischen Fehlschluss: Aus dem "Sein" in der Natur wird auf ein "Sollen" in der Gesellschaft geschlossen. Ebenso ließe sich dann argumentieren, dass Kindstötung beim Menschen "natürlich" sei, denn männliche Löwen töten häufig die Jungen eines Rudels, wenn sie die Kontrolle übernehmen, um ihre eigenen Gene durchzusetzen. Diese biologische Realität hat jedoch keinen ethischen oder normativen Wert für den Menschen – ebenso wenig wie gleichgeschlechtliche Verhaltensweisen.

6. Laysan-Albatrosse: "Auf Hawaii ziehen Weibchen-Paare gemeinsam Küken groß"

Diese Beobachtung stammt aus einer vielbeachteten Studie an einer Kolonie von Laysan-Albatrossen (Phoebastria immutabilis) auf Oʻahu, Hawaii [9]. Dort wurde festgestellt, dass in bestimmten Jahren bis zu 31 % der Brutpaare aus zwei Weibchen bestanden, die gemeinsam ein Jungtier aufzogen (female-female pairing).

Eine pragmatische Lösung des Fortpflanzungsproblems

Der entscheidende Kontext: In dieser Population herrschte ein starker Männchenmangel (Verhältnis ca. 59 % Weibchen zu 41 % Männchen). Da Albatrosse sehr langlebig sind und langfristige Paarbindungen eingehen, fanden viele Weibchen keinen männlichen Partner.

Statt gar keine Nachkommen zu haben, gingen einige Weibchen eine kooperative Partnerschaft mit einem anderen Weibchen ein, wobei zumindest eine zuvor durch ein Männchen außerhalb der Paarbindung befruchtet wurde (extra-pair copulation). Das gemeinsam aufgezogene Küken stammte also trotz gleichgeschlechtlicher Brutpflege aus einer heterosexuellen Befruchtung.
 
Derartige Weibchenpaare hatten eine geringere Reproduktionsrate als gemischtgeschlechtliche Paare, aber mehr Fortpflanzungserfolg als Weibchen, die keine Jungen aufzogen.

Keine homoerotische Orientierung, sondern soziale Kooperation

Auch wenn manche Kommentatoren solche Weibchenpaare als "lesbisch" oder "homosexuell" etikettieren, ist dies biologisch und ethologisch nicht haltbar. Es handelt sich nicht um sexuelle Partnerschaften, sondern um strategische Kooperation zur Brutpflege, ausgelöst durch demografische Engpässe in der Partnerverfügbarkeit. Solche Formen der alloparentalen Brutpflege (Kooperation außerhalb klassischer Paarbindung) sind in der Tierwelt nicht selten und entstehen meist aus Notwendigkeit, nicht aus erotischer Präferenz.
 
Eine vergleichbare Dynamik findet sich auch in der menschlichen Geschichte – etwa nach dem Zweiten Weltkrieg: In vielen Regionen Europas bildeten sich Frauengemeinschaften, in denen Mütter, Großmütter, Tanten, Nachbarinnen oder Freundinnen in Abwesenheit der Männer (durch Krieg, Gefangenschaft oder Tod) gemeinsam für Kinder sorgten, Haushalte organisierten und familiäre Strukturen aufrechterhielten. Diese Gemeinschaften basierten auf sozialer Notwendigkeit und Solidarität, nicht auf sexueller Partnerschaft oder homoerotisch-lesbischer Orientierung.

Die Situation bei den Albatrossen ähnelt somit eher solchen überlebensorientierten Kooperationsmodellen als einem Hinweis auf "Queerness" in der Tierwelt.
 

7. "Pilze haben tausende Geschlechter. Binarität ist eine Illusion"

In der öffentlichen Debatte wird häufig das Fortpflanzungssystem bestimmter Pilze wie etwa von Ständerpilzen (Basidiomycota) angeführt, um die biologische Binarität von Geschlechtern infrage zu stellen. Die Aussage: "Einige Pilzarten haben tausende von Geschlechtern" wirkt auf den ersten Blick spektakulär, ist aber ein Kategorienfehler, der grundlegende biologische Begriffe vermischt.

Kreuzungstypen sind keine Geschlechter

Was Pilze tatsächlich besitzen, sind keine "Geschlechter" im engeren Sinne, sondern eine hohe Anzahl an mating types (Kreuzungstypen), genauer gesagt Paarungskompatibilitätstypen. Beim weit verbreiteten Hutpilz Schizophyllum commune gibt es beispielsweise über 28.000 verschiedene Kreuzungstypen [10]. Diese entstehen durch zwei unabhängig vererbte genetische Loci, an denen jeweils viele Allele existieren. Zwei Pilze können sich nur dann sexuell vereinen, wenn sich beide Loci unterscheiden.
 
Diese Kreuzungstypen sind keine Geschlechter im Sinn der Fortpflanzungsbiologie. Es gibt keine Unterscheidung in Gametengröße oder Fortpflanzungsrolle, wie sie für die Definition von Geschlechtern ausschlaggebend ist. Pilzen bringen entweder morphologisch identische Gameten hervor (Isogamie) oder es erfolgt gar keine Gametogenese im klassischen Sinn, sondern die Fortpflanzung erfolgt über hyphenbasierte Zellfusionen, bei denen ebenfalls keine morphologische Unterscheidung in Makro- und Mikrogameten (und somit in Geschlechter) vorliegt.
 
Mit anderen Worten: Pilze zeigen keine biologischen Geschlechter, sondern ein komplexes Kompatibilitätssystem, das nicht auf die menschliche oder tierische Sexualbiologie übertragbar ist.

Kein Argument gegen Binarität

Das Fortpflanzungssystem mancher Pilze ist hochkomplex, ja – aber es hat nichts mit Geschlecht im tierischen oder menschlichen Sinne zu tun. Es existieren keine zwei (oder mehrere) funktionale Geschlechter, sondern zig genetische Kombinationsmöglichkeiten zur Paarungskompatibilität. Pilze sind in diesem Aspekt eine völlig andere biologische Domäne. Ihre "mating types" sind mit Geschlechtern so wenig vergleichbar wie Blutgruppen mit Persönlichkeitsmerkmalen. Nicht umsonst sind Pilze in der Biologie so seltsam, dass sie neben Tieren und Pflanzen ein eigenes Reich begründen. Wer das Pilzsystem als Beleg gegen die biologische Binarität beim Menschen heranzieht, begeht einen Kategorienfehler.
 

8. Delfine: "Tümmler-Männchen haben Sex"

Es stimmt: In vielen Populationen bilden männliche Große Tümmler (Tursiops truncatus) enge, langanhaltende Sozialbündnisse, sogenannte Allianzen, oft aus zwei bis drei Individuen [11]. Diese Allianzen verfolgen gemeinsam Ziele wie Zugang zu Weibchen, Verteidigung gegen rivalisierende Männchen und soziale Stabilität innerhalb der Gruppe. In diesem sozialen Kontext wurden auch erotisch konnotierte Verhaltensweisen zwischen Männchen dokumentiert (z. B. das gegenseitige Reiben an den Genitalien, Peniskontakt oder das Aneinanderreiben des Bauches).

Was ist "Sex" aus biologischer Sicht?

Im biologischen Sinne meint "Sex" bzw. konkret "sexuelle Reproduktion" die Verschmelzung zweier Gameten (Spermium + Eizelle) zur Bildung einer Zygote. Die beobachteten Handlungen zwischen männlichen Delfinen sind keine sexuelle Reproduktion, sondern fallen unter erotisch konnotiertes Spielverhalten. Ähnlich wie bei Bonobos dient dieses Verhalten vermutlich der sozialen Bindung, Stressreduktion und Koalitionsbildung.

Erotisches Verhalten ≠ sexuelle Orientierung

Die Verhaltensweisen männlicher Tümmler sind ein Beispiel für die Vielgestaltigkeit sozialer Interaktion bei intelligenten Tieren. Es handelt sich jedoch nicht um Sex im biologischen Sinn (keine Gametenkopulation), es ist nicht exklusiv "homosexuell" (Paarung mit Weibchen findet statt) und ist deshalb nicht mit menschlicher Homoerotik gleichzusetzen.
 

9. "Kinder-Vergewaltigung" durch Orang-Utans

In der letzten Kachel ihrer Bilderstrecke fragen die Grünen nach weiteren Beispielen. Ein solches wollen wir an dieser Stelle gerne liefern, um den naturalistischen Fehlschluss ihrer Argumentation aufzuzeigen:
 
 
In der Primatenforschung wird immer wieder das aggressive und sexualisierte Verhalten von männlichen Orang-Utans gegenüber weiblichen Jungtieren dokumentiert. So beschreiben Muller und Wrangham (2009) in ihrem umfassenden Werk "Sexual Coercion in Primates and Humans" (sowie speziell C. D. Knott im genannten Sammelband) Fälle, in denen geschlechtsreife Männchen in freier Wildbahn gezielt erzwungene Kopulationen mit noch nicht voll entwickelten Weibchen vollziehen [12].

Dieses Verhalten ist in der Natur keine Seltenheit. Es dient der maximalen Fortpflanzungserfolgssicherung für dominante Männchen, geht jedoch einher mit physischem und psychischem Stress für die Weibchen und steht exemplarisch für eine Seite der Evolution, die nicht als moralisches Vorbild dienen kann.

Warum dieses Beispiel wichtig für die Diskussion ist

Viele Menschen neigen dazu, aus natürlichen Verhaltensweisen der Tierwelt eine normative Legitimation abzuleiten: "Wenn schwule Pinguine und lesbische Albertrosse Jungtiere aufziehen, dann legitimiert dies das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Menschenpaare." Genauso ließe sich argumentieren: "Wenn Orang-Utan-Männchen so handeln, dann sind aggressive erotische Handlungen an Kindern natürlich und somit für Menschen akzeptabel." Dies wäre ein klassischer naturalistischer Fehlschluss. Das Beschreiben, wie etwas in der Natur ist, erlaubt keineswegs die Schlussfolgerung, dass es auch so sein sollte. Die Natur ist kein moralischer Maßstab.

Die Tatsache, dass sexuelle Nötigung bei Orang-Utans vorkommt, kann also nicht als Rechtfertigung für menschliches Fehlverhalten dienen. Das Übertragen tierischer Verhaltensweisen auf menschliche Gesellschaften als "natürliche Norm" ignoriert die vielschichtigen sozialen, kulturellen, kognitiven und ethischen Dimensionen menschlichen Zusammenlebens.
 

Fazit

Die Vielzahl an Beispielen aus der Tierwelt zeigt eindrücklich, wie komplex und vielfältig biologisches Fortpflanzungs- und Sozialverhalten sein kann [13]. Wichtig ist jedoch die klare Einordnung des Menschen als anisogamen Gonochoristen, der sich nur mittels Heterosex fortpflanzen kann und (abgesehen von domestizierten Schafen) offenbar als einzige Spezies eine dauerhafte homoerotische Veranlagung ausbilden kann. Der Mensch ist weder ein Konsekutivzwitter, noch ein Simultanzwitter, noch ein Organismus mit komplexen Kreuzungstypen. Diese biologische Grundlage muss bei jeder Diskussion über Geschlecht, Sexualität, Erotik und deren Übertragbarkeit auf gesellschaftliche Konzepte berücksichtigt werden.
 
Natürliche Verhaltensweisen direkt als normative Vorgaben für den Menschen zu interpretieren, ist ein naturalistischer Fehlschluss, indem vom "Ist" auf das "Soll" geschlossen wird. Solche Übertragungen sind in beide Richtungen (zustimmend bzw. ablehnend gegenüber Abweichungen von der Heteronormalität) möglich, verkennen jedoch, dass der Mensch als soziales und kulturelles Wesen über eine einzigartige Fähigkeit zur Reflexion, Moralbildung und ethischen Gestaltung seiner Lebenswelt verfügt. Was in der Tier- und Pilzwelt evolutionär funktional ist, muss für menschliches Zusammenleben weder "richtig" bzw. wünschenswert noch "falsch" bzw. unerwünscht sein. Biologische Beobachtungen dürfen daher nie als normative Legitimierung für soziale oder politische Positionen missbraucht werden. Vielmehr sollten sie als informationsreiche Perspektiven dienen, die im Zusammenspiel mit Ethik, Kultur und Gesellschaft differenziert bewertet werden.
 

Quellen

[1] Levick, G. M. (1915). Natural History of the Adelie Penguin. British Antarctic Expedition.
 
[2] Dagg, Anne. (2008). Homosexual behaviour and female-male mounting in mammals - A first survey. Mammal Review. 14. 155 - 185. 10.1111/j.1365-2907.1984.tb00344.x
 
[3] Janet L. Leonard, Sexual selection: lessons from hermaphrodite mating systems, Integrative and Comparative Biology, Volume 46, Issue 4, August 2006, Pages 349–367, https://doi.org/10.1093/icb/icj041
 
[4] Koene, J.M., Schulenburg, H. Shooting darts: co-evolution and counter-adaptation in hermaphroditic snails. BMC Evol Biol 5, 25 (2005). https://doi.org/10.1186/1471-2148-5-25
 
[5] Charles E. Roselli, Fred Stormshak, The neurobiology of sexual partner preferences in rams, Hormones and Behavior, Volume 55, Issue 5, 2009, Pages 611-620, ISSN 0018-506X, https://doi.org/10.1016/j.yhbeh.2009.03.013.
 
[6] Philip L. Munday, Peter M. Buston, Robert R Warner, Diversity and flexibility of sex-change strategies in animals, Trends in Ecology & Evolution, Volume 21, Issue 2, 2006, Pages 89-95, ISSN 0169-5347, https://doi.org/10.1016/j.tree.2005.10.020.
 
[7] John Godwin, Social determination of sex in reef fishes, Seminars in Cell & Developmental Biology, Volume 20, Issue 3, 2009, Pages 264-270, ISSN 1084-9521, https://doi.org/10.1016/j.semcdb.2008.12.003.
 
[8] Schaller, G. B. (1972). The Serengeti Lion: A Study of Predator-Prey Relations.
 
[9] Young Lindsay C, Zaun Brenda J and VanderWerf Eric A 2008Successful same-sex pairing in Laysan albatrossBiol. Lett.4323–325. https://doi.org/10.1098/rsbl.2008.0191
 
[10] Erika Kothe, Mating Types and Pheromone Recognition in the Homobasidiomycete Schizophyllum commune, Fungal Genetics and Biology, Volume 27, Issues 2–3, 1999, Pages 146-152, ISSN 1087-1845, https://doi.org/10.1006/fgbi.1999.1129.
 
[11]  Richard C. Connor, Michael Krützen, Male dolphin alliances in Shark Bay: changing perspectives in a 30-year study, Animal Behaviour, Volume 103, 2015, Pages 223-235, ISSN 0003-3472, https://doi.org/10.1016/j.anbehav.2015.02.019.

[12] Muller, M. N., & Wrangham, R. W. (2009). Sexual coercion in primates and humans: An evolutionary perspective on male aggression against females. Harvard University Press.

[13] Nathan W. Bailey, Marlene Zuk, Same-sex sexual behavior and evolution, Trends in Ecology & Evolution, Volume 24, Issue 8, 2009, Pages 439-446, ISSN 0169-5347, https://doi.org/10.1016/j.tree.2009.03.014.

Neandertaler: Wie Spermienkonkurrenz sein Schicksal entschied

Die Frage, warum Neandertaler nach der Ankunft des modernen Menschen in Eurasien so rasch verschwanden, beschäftigt die Forschung seit Jahrzehnten. Lange Zeit ging man davon aus, dass es nur wenige Kontakte zwischen beiden gab. Doch moderne DNA-Analysen haben dieses Bild grundlegend verändert. Eine Studie von Li und Kollegen aus dem Jahr 2024 zeigt, dass der genetische Austausch zwischen Neandertalern und Homo sapiens über mindestens 200.000 Jahre hinweg immer wieder stattfand [1]. Dabei kam es nicht nur zu Neandertaler-DNA in unserem Genom, sondern auch zu Genfluss in die andere Richtung: Auch Neandertaler trugen Erbgut moderner Menschen in sich.

Die Ergebnisse der Studie deuten zudem darauf hin, dass die Neandertaler-Population etwa 20 % kleiner war als bisher angenommen. Gleichzeitig zeichnet sich ein Bild ab, in dem der Neandertaler allmählich in der größeren, genetisch dynamischeren Population des modernen Menschen aufging. Diese Erkenntnis stützt die Hypothese, dass Neandertaler nicht "ausgestorben" sind, sondern vielmehr durch Assimilation im Genpool des Homo sapiens weiterleben.

Warum jedoch so schnell?

Auch wenn diese Erklärung mittlerweile breit akzeptiert ist, bleibt ein Rätsel: Warum verlief dieser Prozess so rasch? Neandertaler verschwanden innerhalb weniger Jahrtausende – eine kurze Spanne in der Menschheitsgeschichte. Hier setzen die Überlegungen von Prof. Markus Neuhäuser (Hochschule Koblenz) und Prof. Graeme Ruxton (University of St Andrews) an. Sie schlagen in einem Kommentar zur Studie vor, dass die Antwort teilweise in einem unscheinbaren, aber entscheidenden Detail der Fortpflanzungsbiologie liegen könnte: der Spermienkonkurrenz.

Wenn Spermien gegeneinander antreten

Unter Spermienkonkurrenz versteht man den direkten Konkurrenzkampf der Spermien verschiedener Männchen um die Befruchtung einer Eizelle. Dieser tritt besonders dann auf, wenn Weibchen innerhalb kurzer Zeit mit mehreren Partnern Geschlechtsverkehr haben. Arten, die stärker an diesen Wettbewerb angepasst sind, entwickeln typischerweise Merkmale wie eine höhere Spermienzahl oder eine verbesserte Beweglichkeit der Spermien sowie anatomische "Upgrades" in Form von größeren Hoden oder längeren Penes.

Neuhäuser und Ruxton argumentieren, dass Homo sapiens in diesem Wettbewerb gegenüber den Neandertalern Vorteile besaß. Zum einen lebten moderne Menschen in größeren Sozialgruppen [2][3]. Das erhöhte nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass Weibchen (sowohl Neandertalerinnen als auch "moderne Frauen") überhaupt mit Männchen aus Homo-sapiens-Gruppen in Kontakt kamen, sondern auch die Zahl potenzieller Partner pro Weibchen. Größere Gruppen bedeuten gleichzeitig intensivere innerartliche Konkurrenz unter Männchen, was über lange Zeiträume hinweg stärkere Anpassungen an die Spermienkonkurrenz begünstigt haben dürfte.

Demgegenüber scheinen Neandertaler in kleineren, enger verwandten Gruppen gelebt zu haben. Genetische Analysen deuten auf patrilokale Strukturen hin [4]: Männchen blieben in ihrer Geburtsgruppe, während Weibchen zwischen Gruppen wechselten. Dadurch waren viele Neandertaler-Männchen einer Gruppe eng miteinander verwandt. Unter solchen Bedingungen ist der evolutionäre Druck auf Spermienkonkurrenz schwächer, weil enge Verwandte weniger gegeneinander "investieren", wenn es um Nachkommen geht.

Ein biologischer Vorsprung

Traten Neandertaler und moderne Menschen also in Kontakt, hatten die Spermien "moderner Männer" häufig die besseren Karten. Das könnte erklären, warum sich der Genfluss so deutlich in Richtung Homo sapiens verschob und weshalb der Neandertaler so schnell genetisch "aufgesogen" wurde. Die Spermienkonkurrenz allein erklärt sein Verschwinden sicherlich nicht alleine. Faktoren wie Klimawandel oder kulturelle Unterschiede spielten ebenso eine Rolle. Doch sie könnte das fehlende Puzzlestück sein, um die erstaunliche Geschwindigkeit der Assimilation zu verstehen.

Fazit

Die Geschichte von Neandertalern und modernen Menschen fand kein abruptes Ende, sondern war geprägt durch einen langen Prozess gegenseitiger Vermischung. Evolutionäre Vorteile im Wettkampf der Spermien könnten mit dazu beigetragen haben, dass Homo sapiens nicht nur überlebte, sondern sich in kurzer Zeit als alleinige Menschenart durchsetzte.

Quellen

[1] Liming Li et al., Recurrent gene flow between Neanderthals and modern humans over the past 200,000 years. Science 385, eadi1768 (2024). DOI: 10.1126/science.adi1768

[2] J. Duveau,G. Berillon,C. Verna,G. Laisné, & D. Cliquet, The composition of a Neandertal social group revealed by the hominin footprints at Le Rozel (Normandy, France), Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 116 (39) 19409-19414, https://doi.org/10.1073/pnas.1901789116 (2019).

[3] Jean-Pierre Bocquet-Appel and Anna Degioanni, Neanderthal Demographic Estimates, Current Anthropology 2013 54:S8, S202-S213. DOI: 10.1086/673725

[4] C. Lalueza-Fox,A. Rosas,A. Estalrrich,E. Gigli,P.F. Campos,A. García-Tabernero,S. García-Vargas,F. Sánchez-Quinto,O. Ramírez,S. Civit,M. Bastir,R. Huguet,D. Santamaría,M.T.P. Gilbert,E. Willerslev, & M. de la Rasilla, Genetic evidence for patrilocal mating behavior among Neandertal groups, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 108 (1) 250-253, https://doi.org/10.1073/pnas.1011553108 (2011).

Samstag, 28. Juni 2025

Sexualität der Ameisen: Wenn Verwandtschaft wichtiger ist als eigene Nachkommen

Ameisen faszinieren Biologen seit Jahrhunderten. Bereits für Charles Darwin war die Existenz von Arbeiterinnen, die ihr Leben lang schuften, aber niemals eigene Nachkommen zeugen, besonders rätselhaft. Wie konnte eine solche Form der Sterilität durch die Evolution entstehen, die sich doch eigentlich durch die Weitergabe der eigenen Gene auszeichnet? Eine neue großangelegte Genomstudie mit 163 Ameisenarten liefert nun tiefere Einblicke in dieses Paradoxon und zeigt, wie Sexualbiologie und Arbeitsteilung in den Ameisenstaaten untrennbar miteinander verknüpft sind [1].

Blattschneiderameisen, wie diese Futter suchende Arbeiterin der Art Atta cephalotes, sind die wichtigsten Pflanzenfresser in tropischen Gebieten wie Mittelamerika. Sie können zu ernsthaften landwirtschaftlichen Schädlingen werden. (Foto: USDA/Scott Bauer)

Der Ameisenstaat als Superorganismus

Ameisenkolonien entstanden vor rund 150 Millionen Jahren. Von Anfang an lebten sie in enger Verwandtschaftsgemeinschaft. Eine Königin gründete den Staat, indem sie sich einmalig paarte und ein Leben lang Söhne und Töchter produzierte. Diese Töchter, die Arbeiterinnen, verzichteten meist vollständig auf eigene Fortpflanzung und widmeten ihr Leben dem Aufbau der Kolonie. Evolutionsbiologisch lässt sich dies mit dem Konzept des Superorganismus erklären: Die Königin übernimmt die Rolle der Keimbahn, die Arbeiterinnen die Rolle des Körpers. So wie in einem Tier Körperzellen keine eigenen Nachkommen hervorbringen, erfüllen die Arbeiterinnen ihre Funktion nur im Dienste des Ganzen.

Der Verlust der Fruchtbarkeit als wiederkehrendes Muster

Die neue Studie von Vizueta et al. (2025) zeigt, dass die Sterilität der Arbeiterinnen nicht nur einmal, sondern mehrfach unabhängig im Laufe der Evolution der Ameisen entstanden ist. Besonders in der artenreichen Unterfamilie der Knotenameisen (Myrmicinae) haben Arbeiterinnen häufig ihre Eierstöcke stark reduziert oder ganz verloren. In vielen anderen Linien sind die Samentaschen der Arbeiterinnen nicht mehr funktionsfähig, sodass sie sich ohnehin nicht mehr verpaaren könnten. Manche Arbeiterinnen besitzen zwar noch rudimentäre Eierstöcke und können unbefruchtete Eier legen, die zu Männchen werden, doch die Tendenz geht klar in Richtung vollständiger Sterilität.

Im Erbgut spiegelt sich dieser Wandel deutlich wider. Gene, die bei anderen Insekten für die Bildung von Eiern oder die Entwicklung der Ovarien wichtig sind, unterliegen bei Ameisen-Arbeiterinnen kaum noch einem Selektionsdruck. Die Studie beschreibt dies als "entspannte Selektion". Wenn eine Funktion nicht mehr gebraucht wird, verlieren die entsprechenden Gene allmählich an evolutionärer Bedeutung. Ein Beispiel ist das Gen otu, das bei Fruchtfliegen die Eibildung steuert. Bei Ameisen wird es in Königinnen weiterhin stark aktiviert, während es in Arbeiterinnen nur schwach oder gar nicht mehr zum Einsatz kommt. So entsteht ein genetisches Gefälle zwischen reproduktiven und nicht-reproduktiven Kasten.

Der Übergang zur Sterilität ist jedoch nicht nur eine Frage verlorener Gene, sondern auch eine Frage hormoneller Steuerung. Juvenilhormon, Insulin-Signalwege und die MAPK-Signalkaskade (MAPK = mitogen-activated protein kinase) spielen eine entscheidende Rolle bei der Frage, ob eine Larve zur Königin oder zur Arbeiterin wird. Kleine Unterschiede in der Ernährung oder in hormonellen Impulsen können bestimmen, ob ein Tier später Eier legen kann oder nicht. Hier zeigt sich, wie Sexualbiologie und soziale Organisation zusammenwirken. Der Fortpflanzungsstatus einer Ameise ist keine individuelle Eigenschaft, sondern wird im Interesse des gesamten Staates festgelegt.

Evolution durch Verwandtschaft

Warum aber sollte eine Ameisenlarve ihr eigenes Fortpflanzungspotenzial aufgeben? Die Antwort liegt in der Verwandtenselektion. Arbeiterinnen sind eng mit den anderen Mitgliedern ihres Staates verwandt – oft enger, als sie es mit eigenen Nachkommen wären. Indem sie ihre Schwestern und Brüder großziehen, verbreiten sie ihre Gene indirekt genauso effektiv, manchmal sogar effizienter, als wenn sie selbst Nachwuchs hätten. Der Verzicht auf eigene Sexualität ist also kein Nachteil, sondern eine raffinierte Strategie, um im Rahmen des Superorganismus das eigene Erbgut weiterzugeben.

Die scheinbare Paradoxie der sterilen Ameisenarbeiterinnen löst sich damit auf. Ihr Verlust der Fruchtbarkeit ist keine Laune der Natur, sondern eine tiefgreifende Anpassung, die es Ameisen ermöglicht hat, eine der erfolgreichsten Tiergruppen der Erde zu werden. Die neue Genomstudie zeigt, wie eng genetische Veränderungen, hormonelle Signalwege und die Logik der Verwandtschaft in diesem Prozess zusammenwirken. Für die Sexualbiologie ist das ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass Fortpflanzung nicht immer auf individuelle Gene übertragen werden muss – manchmal reicht es, Teil eines größeren Ganzen zu sein.

Quellen

[1] Joel Vizueta et al., Adaptive radiation and social evolution of the ants, Cell, Volume 188, Issue 18, 2025, Pages 4828-4848.e25, ISSN 0092-8674, https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.05.030.

Sonntag, 22. Juni 2025

Programmbeschwerde: BBC-Bericht über Milch von "Transfrau"

Die britische, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt BBC gilt weltweit als Maßstab für seriösen Journalismus. Umso bemerkenswerter ist es, wenn selbst die BBC bei einem hochsensiblen medizinischen Thema gravierende journalistische Standards verletzt. Genau das ist am 19. Februar dieses Jahres geschehen, als der Sender im Rahmen der Sendung 'The Context' (BBC News Channel) die Behauptung verbreitete, Milch von sogenannten "Transfrauen" (also transidenten Männern), die durch medikamentös induzierte Laktation erzeugt wurde, sei ernährungsphysiologisch gleichwertig mit Muttermilch und ebenso unbedenklich für Säuglinge:
 
 
Eine Beschwerde bei der BBC-eigenen Kontrollinstanz (Executive Complaints Unit, ECU) wurde nun teilweise bestätigt. Die Entscheidung liest sich wie eine Anklage gegen einseitige Berichterstattung und das Ignorieren wissenschaftlicher Vorsicht. Auslöser war ein geleakter Brief der medizinischen Direktorin eines NHS-Trusts, in dem behauptet wurde, die Milch induziert laktierender "Transfrauen" sei "just as good for babies as breast milk" ("genauso gut für Babys wie Muttermilch"). Die BBC lud daraufhin die Aktivistin und angehende Laktationsberaterin Kate Luxion ein, die diese Aussage ohne nennenswerte Gegenrede bestätigte. Weder wurde die extrem dünne Datenlage thematisiert noch wurden mögliche Risiken der eingesetzten Medikamente (insbesondere Domperidon und Spironolacton) auch nur erwähnt. 
 

Eine sehr dünne Datenlage und "Expertise"

Die ECU stellte nun fest, dass von den fünf Studien, auf die sich die NHS-Direktorin berief, befasste sich genau eine mit einer Transfrau – eine einzelne Fallbeobachtung an einem einzigen Säugling über lediglich wenige Wochen [1]. Alle anderen Studien betrafen "biologische" Frauen nach adoptierten Kindern oder Relaktation; eine befasste sich mit einer transidenten Frau (Transmann), also einer ebenfalls biologisch weiblichen Person [2]. Die BBC verschwieg diesen entscheidenden Unterschied und erweckte den Eindruck, es liege eine solide Evidenzbasis vor. Die ECU spricht von einer "materially misleading impression" – also einer wesentlich irreführenden Darstellung. 
 
Es gibt bis heute keinerlei Langzeitdaten darüber, wie sich die in der Milch nachweisbaren Medikamente (u. a. Domperidon, Cyproteronacetat, Spironolacton und Östrogene in pharmakologischen Dosen) auf die kindliche Entwicklung auswirken. Domperidon etwa steht seit Jahren in der Kritik, weil es das Risiko für gefährliche Herzrhythmusstörungen erhöht – ein Risiko, das bei Säuglingen besonders schwerwiegend ist. Die European Medicines Agency (EMA) hat die Anwendung bei stillenden Müttern wiederholt eingeschränkt. All diese Aspekte fanden im BBC-Beitrag keinerlei Erwähnung.
 
Der Beitrag der BBC suggerierte ferner, auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterstütze die Gleichwertigkeit von medikamentös induzierter Milch bei Männern gegenüber Muttermilch. Das ist schlicht falsch. Die zitierten WHO-Leitlinien beziehen sich ausschließlich auf biologisch weibliche Personen und Relaktation/Adoption. Biologisch männliche Transfrauen werden von der WHO mit keinem Wort erwähnt. Auch hier konstatierte die ECU eine irreführende Darstellung.
 
Kate Luxion wurde außerdem als neutrale "Research Fellow" und Laktationsberaterin in Ausbildung präsentiert. Tatsächlich ist sie eine bekannte Aktivistin in der Transgender-Gesundheitsszene, die sich auf ResearchGate selbst als "nicht-binär/genderqueer" bezeichnet und ein offensichtliches ideologisches Interesse an der Normalisierung von Brustfütterung durch Transfrauen hat. Die ECU kritisiert, dass ihre Aussagen zu nicht vorhandenen Gesundheitsbedenken ohne ausreichenden Widerspruch blieben und dass kein einziger Mediziner oder Toxikologe zu Wort kam, der die erheblichen Wissenslücken und Risiken hätte benennen können.  
 

Fazit

Der teilweise bestätigte Beschwerdeentscheid der BBC zeigt exemplarisch, wie selbst renommierte Medienhäuser bei gesellschaftlich aufgeladenen Themen bereit sind, wissenschaftliche Sorgfalt und journalistische Ausgewogenheit zugunsten einer ideologischen Linie aufzugeben. Wenn eine einzige Fallbeobachtung ohne Langzeitdaten und ohne Berücksichtigung bekannter Medikamentenrisiken als wissenschaftliche Evidenz präsentiert wird, überschreitet das die Grenze zur Desinformation. Für die Gesundheit von Säuglingen – der verletzlichsten Gruppe unserer Gesellschaft – darf es keine Kompromisse geben. Die Entscheidung der ECU ist ein wichtiger Schritt, der die ursprüngliche Kritik stärkt. Wo ideologische Wünsche auf mangelhafte Evidenz treffen, muss die Vorsicht siegen. Nicht die Begeisterung darüber, dass etwas technisch möglich ist. 
 
Medizinische Aussagen über die Ernährung von Säuglingen dürfen ausschließlich auf robuster, langfristiger Evidenz beruhen – nicht auf Einzelfällen und nicht auf postmodernem Wunschdenken. Alles andere ist unverantwortlich.
 

Quellen

[1] Weimer AK. Lactation Induction in a Transgender Woman: Macronutrient Analysis and Patient Perspectives. Journal of Human Lactation. 2023;39(3):488-494. doi:10.1177/08903344231170559
 
[2] Oberhelman-Eaton S, Chang A, Gonzalez C, Braith A, Singh RJ, Lteif A. Initiation of Gender-Affirming Testosterone Therapy in a Lactating Transgender Man. Journal of Human Lactation. 2021;38(2):339-343. doi:10.1177/08903344211037646

Samstag, 21. Juni 2025

Trans-Lobby vs. TERFs: Eine differenzierte Betrachtung


In der gesellschaftlichen Debatte rund um Geschlecht und Identität prallen oft unvereinbare Weltbilder aufeinander. Zwei besonders lautstarke Fraktionen sind dabei die sogenannten TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminists) und die Aktivisten der Trans-Lobby – eine durchaus penetrante Minderheit innerhalb der sogenannten "LGBTQIA+-Community". Wir wollen uns diesem Thema mit einem naturalistisch-wissenschaftlichen Blick nähern, der fern von politischer oder ideologischer Voreingenommenheit auf biologische Grundlagen schaut. Ziel: Klarheit zu schaffen, wo Desinformation und Wunschdenken dominieren.

Die Basis der Realität

TERFs vertreten unter anderem die Position, dass es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt: männlich und weiblich. Diese Sichtweise ist aus sexualbiologischer Sicht korrekt. In der Reproduktionsbiologie des hier diskutierten Modellorganismus Homo sapiens gibt es zwei Geschlechtszelltypen (Spermien und Eizellen) und entsprechend zwei dahingehend organisierte Geschlechter, die sich u. a. in Gonaden (Hoden bzw. Eierstöcke), Genotyp (46,XY SRY+ bzw. 46,XX SRY-) und Genitalien (Penis/Hodensack bzw. Vulva/Vagina) unterscheiden.

Die IG Sexualbiologie unterstützt daher die grundlegende Aussage, dass das Geschlecht binär ist, da es sich hierbei um eine objektiv beobachtbare Tatsache handelt. Häufig postulierte "Ausnahmen" sind äußerst selten und biologisch erklärbare Störungen der jeweiligen geschlechtlichen Entwicklung hin zum männlichen oder weiblichen Geschlecht (Disorders of Sex Development), die die Binarität genauso wenig infrage stellen, wie z. B. Infertilität aufgrund des normalen Entwicklungsstadiums.

Ferner ist bei Säugetieren wie dem Menschen das Geschlecht irreversibel, da es tief in der embryonalen Entwicklung verankert ist. Die Geschlechtsdifferenzierung erfolgt über die Ausbildung spezifischer Gonaden, Genitalien und hormonell gesteuerter Körperstrukturen – ein Prozess, der nicht umgekehrt werden kann.

Im Unterschied zu einigen Fisch- und Amphibienarten, bei denen es biologisch vorgesehene Mechanismen zum Geschlechterwechsel gibt (z. B. bei Clownfischen oder Lippfischen), ist dies bei Säugetieren aufgrund der inneren Befruchtung und der komplexen Reproduktionsanatomie unmöglich. Ein Geschlechterwechsel würde hier die vollständige Rekonstruktion innerer Organe wie Gebärmutter, Gonaden, Samenleiter oder Eileiter voraussetzen, was die Natur bei Säugetieren nicht vorsieht und das auch medizinisch nicht realisierbar ist.

Insofern ist der Hinweis von TERFs korrekt, dass Menschen ihr Geschlecht nicht wechseln können. Geschlechtsangleichende Maßnahmen (chirurgisch und/oder hormonell) können zwar das äußere Erscheinungsbild und bestimmte sekundäre Geschlechtsmerkmale verändern, das bis auf die Ebene jeder einzelnen Körperzelle verankerte Geschlecht bleibt jedoch unverändert.

Insofern ist die grundsätzliche Kritik der TERFs an einer Aufweichung der Kategorie "Frau" durch rechtlich selbstdefinierte Geschlechtsidentitäten nachvollziehbar. Sie beruht auf einem biologischen Tatsachengerüst, das in Diskussionen um Frauenrechte und Schutzräume nicht ignoriert werden darf.

Als augenzwinkernde Wortneuschöpfung schlagen wir daher den Begriff SMURF* vor: Sex ‘Male’ Understanding Radical Feminists – also radikalfeministische Stimmen, die nicht etwa die Abwertung von Transgendern, sondern das biologische Geschlecht als Ausgangspunkt ihrer Argumentation betonen.

Kritik an den SMURFs

So berechtigt und faktenbasiert manche Argumente der SMURFs auch sind – auch diese Position ist nicht frei von Ideologie. Häufig wird innerhalb dieser Strömung ein zentrales humanmedizinisches Phänomen ignoriert oder marginalisiert: die intrinsische Geschlechtsdysphorie aufgrund von entwicklungsbiologischen Besonderheiten. Hier lohnt ein Blick auf die sogenannte Virilisierung (Vermännlichung) während der Embryonalentwicklung:

Die strukturelle Geschlechtsdifferenzierung beim Menschen beginnt mit der Ausbildung der Gonaden (Hoden oder Eierstöcke). Anschließend erfolgt die Entwicklung der äußeren Genitalien, beeinflusst durch das Vorhandensein bzw. Fehlen von Testosteron. Erst später (etwa ab dem zweiten Trimester) beeinflussen Sexualhormone auch die Hirnstrukturierung, etwa die Hypothalamus-Organisation und neuronale Schaltkreise innerhalb und zwischen den Hemisphären, die mit geschlechtlicher Identität und Sexualverhalten korrelieren.

Das bedeutet: Es ist biologisch plausibel, dass bei einem Teil der männlichen Feten zwar Genitalien maskulinisiert wurden, aber das Gehirn eine feminisierte Struktur annahm. Solche Menschen entwickeln später eine intrinsische, stabile weibliche Geschlechtsidentität, obwohl sie biologisch-männliche Körpermerkmale aufweisen und auch in Hinblick auf die übergeordnete Geschlechtsdefinition zweifelsfrei dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind. Das weibliche Geschlecht kann aufgrund von Hormonstörungen ebenfalls von diesem Phänomen betroffen sein – rein statistisch tritt es bei biologisch weiblichen Personen allerdings deutlich seltener auf. Bzgl. "nicht-binärer" Geschlechtsidentitäten ist die Studienlage dürftig, weshalb zu deren Validität derzeit aus unserer Sicht keine verlässliche Aussage möglich ist.

Die intrinsische Geschlechtsdysphorie ist (anders als die sogenannte Rapid-Onset Gender Dysphoria (ROGD), welche in letzter Zeit vor allem bei jungen Mädchen dokumentiert wird) keine Modeerscheinung oder Ideologie, sondern ein biologisch begründbares neuroendokrines Phänomen, welches mit einer durchschnittlichen Prävalenz von etwa 4,6:100.000 (≈ 0,005 %) in gemischtgeschlechtlichen Menschenpopulationen auftritt. Validierte Transgender-Personen, die darunter leiden, suchen in der Regel keine Konfrontation mit Frauen, sondern streben nach Linderung ihres Leidens mittels Transition inklusive Hormontherapie und operativer Angleichung. Diese Perspektive wird von vielen SMURFs entweder ausgeblendet oder als irrelevant abgetan, was ebenfalls von einer selektiven Wahrnehmung und damit letztlich einem ideologischen Bias zeugt.

Wissenschaft statt Ideologie

Die IG Sexualbiologie beobachtet mit wachsender Sorge, dass beide Seiten – SMURFs wie Transaktivisten – die Wissenschaft funktionalisieren, um ihre jeweilige Ideologie zu stützen.

Transaktivisten bedienen sich oft einer "gefühlten Biologie", in der Geschlecht rein psychologisch definiert wird und biologische Tatsachen geleugnet oder relativiert werden. Das führt zu Aussagen wie "es gibt unendlich viele Geschlechter", "Männer können auch schwanger werden" oder "Geschlecht ist ein Spektrum", was biologisch schlicht unzutreffend ist.

SMURFs wiederum tun so, als gäbe es keinerlei valide Transidentitäten. Sie reduzieren alles auf die übergeordnete Geschlechtsdefinition, was ebenfalls wissenschaftlich zu kurz greift, insbesondere in Bezug auf neurobiologische Differenzierungen auf Ebene des Individuums.

Beide Lager instrumentalisieren die Wissenschaft, um Ismen zu stützen: Genderismus auf der einen Seite, Radikalfeminismus auf der anderen. Doch echte Wissenschaft fragt, prüft und differenziert. Sie dient nicht als Waffe im Meinungskampf.

"Transmedikalismus" gibt es nicht

Als interdisziplinäre Interessengemeinschaft für Sexualbiologie vertreten wir eine Position, die sich auf biologische, neuroendokrine und humanmedizinische Erkenntnisse stützt. Danach ist Transidentität, sofern sie auf persistierender Geschlechtsdysphorie beruht, ein medizinisch erklärbares Phänomen, das in Einzelfällen affirmativ begleitet und behandelt werden kann. Diese Sichtweise erkennt biologische Unterschiede an, ohne sie ideologisch zu überhöhen, und sie unterscheidet klar zwischen validen Transgendern mit medizinisch nachvollziehbarem Leidensdruck und ideologisch motivierter oder psychisch bedingter Selbstdefinition ohne biologische Grundlage.

Wir setzen und deshalb dafür ein, dass alle Menschen ein erfülltes und glückliches Leben im Einklang mit ihrer biologischen Ausstattung leben können. Wir erkennen an, dass dies für manche (scheinbar) Betroffene ausschließlich durch psychotherapeutische Begleitung möglich ist, während für andere eine psychotherapeutisch begleitete Transition der richtige Weg sein kann. Entscheidend ist für uns eine ergebnisoffene und differenzierte Diagnostik, die nicht durch ideologische Vorgaben oder den Verdacht auf "Konversionstherapie" eingeschränkt wird. Unser Ziel ist es, Räume zu schaffen, in denen Selbstbilder reflektiert und Optionen geprüft werden dürfen – stets mit Respekt gegenüber den Patienten, aber auch mit der notwendigen wissenschaftlicher Sorgfalt.

Radikale Transaktivisten lehnen diese differenzierte Position allerdings ab. Sie sehen darin pauschal eine "Pathologisierung" oder "Transfeindlichkeit". Wer jede objektive Diagnostik als Diskriminierung deutet, verkennt, dass medizinische Realität nicht ideologisch verhandelbar ist. "Transmedikalismus" ist keine real existierende Ideologie, sondern ein Phantasiewort, welches das objektive, differenzierte und damit ausdrücklich ideologiefreie Bemühen, individuelle Geschlechtsinkongruenz auf Basis naturwissenschaftlicher Erkenntnisse zu verstehen, aus dem Diskurs verbannen soll.

Fazit

Die IG Sexualbiologie ruft zu einer rationalen, evidenzbasierten Diskussion auf. Ja, es gibt nur zwei Geschlechter. Diese naturalistische Tatsache muss die Grundlage für rechtliche und gesellschaftliche Entscheidungen bleiben. Aber es gibt auch neurobiologisch erklärbare Sonderfälle, in denen eine stabile Transidentität plausibel und nachvollziehbar ist.

Begrifflichkeiten wie TERF oder SMURF mögen zur pointierten Diskussion beitragen, doch sie dürfen nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen. Denn nur durch objektive Aufklärung und wissenschaftliche Ehrlichkeit können wir dem ideologischen Grabenkampf entkommen.


*Hinweis: Bei dem in diesem Blogpost verwendeten Akronym "SMURF" handelt es sich um eine Parodie im Sinne des § 51a UrhG. Die Rechte an den originalen Figuren und Marken der "Schlümpfe" (engl. Smurfs) liegen bei IMPS (International Merchandising, Promotion & Services). Die IG Sexualbiologie steht in keinem Zusammenhang mit den Rechteinhabern.

Samstag, 14. Juni 2025

Wenn Biologie zur Bedrohung wird

In sozialen Netzwerken kommt es regelmäßig zu Auseinandersetzungen über das "biologische" Geschlecht. Mitglieder unserer Interessengemeinschaft, die sich für wissenschaftlich fundierte Aufklärung einsetzen, werden dabei immer wieder mit einem wiederkehrenden Muster konfrontiert. Eine sachliche Erklärung gerät plötzlich unter moralischen Generalverdacht. Was als biologischer Sachverhalt beginnt, endet im Vorwurf: Wer auf Zweigeschlechtlichkeit verweist, stütze angeblich Ideologien, die historisch Leid verursacht haben oder heute marginalisierte Gruppen unterdrücken.

Jüngst etwa erklärte eines unserer Mitglieder auf X (vormals Twitter) einem anderen Nutzer, dass der menschliche Körper aus diploiden somatischen Zellen besteht, während haploide Gameten (Spermien und Eizellen) ausschließlich der Reproduktion dienen und nicht Teil des somatischen Körperbaus sind. Der Unterschied zwischen somatischen Zellen und Gameten ist sowohl strukturell als auch funktional von grundlegender Bedeutung. Wer von "Geschlecht" spricht, bezieht sich im wissenschaftlichen Sinne auf die Art der Gametenproduktion: Spermien = männlich, Eizellen = weiblich. Diese Fakten sollten eigentlich unstrittig sein, denn sie gehören zum Basiswissen jeder schulischen Biologieausbildung.

Doch schnell entwickelt sich daraus eine Auseinandersetzung, die weniger von Erkenntnisinteresse als von ideologischer Abwehr geprägt ist. Der Gesprächspartner behauptete, dass Gameten selbstverständlich bloß "Teil des Körpers" seien, weil sie vom Körper gebildet würden. Sie wären deshalb nur ein Teil des Geschlechts, nicht dessen Definitionsgrundlage. Dabei wurde ignoriert, dass die grundlegende biologische Unterscheidung zwischen Körperbau und Reproduktion auch zwei verschiedene Zellteilungsmechanismen bedingt: Mitose für somatische Zellen und Meiose für die Bildung von Gameten.

Nachdem die inhaltliche Argumentation ins Stocken geraten war, folgte die nächste Eskalationsstufe: Die biologische Zwei-Geschlechter-Definition wurde mit historischer Unterdrückung, Gewalt und gesellschaftlichem Leid in Verbindung gebracht. Von der Behauptung, diese Sicht sei "esoterisch" über den Vorwurf eines "kulturellen Zwangs zur Binarität" bis hin zu Unterstellungen von "Perversion" im Kontext des Kinderschutzes driftete die Diskussion schließlich in persönliche Diffamierungen ab, die keinen sachlichen Zweck mehr hatten, sondern nur noch der Dämonisierung dienten. Wenn eine Diskussion von der Zytologie zur Zwangserziehung springt, ist man eindeutig im falschen Film.

Diese Diskussion ist kein Einzelfall. Sie ist exemplarisch für viele Debatten unserer Zeit, in denen wissenschaftliche Aussagen als Bedrohung erlebt bzw. markiert werden. Nicht, weil sie aggressiv formuliert sind, sondern weil sie mit bestehenden ideologischen Selbstbildern kollidieren. Was hier geschieht, ist kein Streit über Fakten, sondern über Deutungsmacht. Über die Kontrolle der moralischen Tonspur. Denn wer diese kontrolliert, kontrolliert oft das Gespräch. Wer Fakten moralisiert, erlangt die Deutungshoheit. Und jeder, der dann dagegen argumentiert, ist zwangsläufig unmoralisch.

Gängige Moralisierungen gegen biologische Zweigeschlechtlichkeit

Wer sich öffentlich zur Zweigeschlechtlichkeit äußert – als beschreibbare biologische Tatsache – begegnet in sozialen Debatten häufig drei moralisch aufgeladenen Gegenreaktionen:

1. "Die Nazis haben das auch vertreten."

Diese Argumentation zielt darauf ab, biologische Aussagen durch historische Assoziation zu diskreditieren. Weil das NS-Regime Geschlecht biologisch definierte und daraus Zwangsmaßnahmen ableitete, sei jede biologische Betrachtung verdächtig oder gefährlich.

Einordnung: Der Verweis auf historische Schuld soll abschrecken, er vermischt jedoch Beschreibung und Bewertung. Dass ein Unrechtsregime bestimmte Fakten missbrauchte, macht die Fakten nicht falsch. Auch die Nazis propagierten z. B. Ernährungsrichtlinien oder Hygiene. Niemand würde deshalb Zähneputzen als NS-Ideologie brandmarken. Die Wissenschaft trägt keine Schuld an ihrem Missbrauch.

2. "Zweigeschlechtlichkeit ist koloniales Denken."

Diese Perspektive behauptet, die Vorstellung von nur zwei Geschlechtern sei ein christlich-europäisches Konstrukt, das sogenannten "indigenen" Kulturen mit pluraleren Geschlechtsvorstellungen aufgezwungen wurde.

Einordnung: Zweigeschlechtlichkeit ist kein westliches Konzept, sondern ein evolutionär stabiles Prinzip, das bei der überwiegenden Mehrheit aller sexuell reproduzierenden Arten auftritt und objektiv beobachtbar ist. Sie lässt sich molekular, zellbiologisch, hormonell und funktionell nachweisen und zwar unabhängig von Kultur. Was Kulturen daraus machen (Rollen, Rechte, Normen), ist eine gesellschaftliche Frage, keine biologische. Auch sogenannte "dritte Geschlechter" in bestimmten Kulturen (z. B. Hijra in Indien, Two-Spirit im nordamerikanischen Raum) sind keine Belege für biologische Mehrgeschlechtlichkeit, sondern soziale Rollen (oft mit spirituellen oder religiösen Bedeutungen) außerhalb der biologischen männlich/weiblich-Binarität.

3. "Zweigeschlechtlichkeit diskriminiert Inter- und Transpersonen."

Hier wird unterstellt, dass jede Betonung der Binarität zur Ausgrenzung oder gar Gewalt gegen Menschen mit Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD) oder transidenten Personen beiträgt.

Einordnung: Es ist zweifellos wichtig, über die Vielfalt individueller Lebensrealitäten aufzuklären. Doch diese Anerkennung darf nicht durch die Verleugnung biologischer Fakten erkauft werden. Die Existenz von Anomalien und nicht-konformen Geschlechtsidentitäten widerlegt nicht die Tatsache, dass der Mensch sexuell dimorph rund um seine jeweilige Geschlechtszellenproduktion organisiert ist. Gerade für Menschen mit DSD ist medizinische Aufklärung über ihre Körper realitätsnah und notwendig. Ideologische Nebelkerzen helfen ihnen nicht, sondern erschweren ärztliche Versorgung.

Sciences vs. Humanities

Ein Teil der Verwirrung entsteht aus einer Vermischung zweier grundlegend verschiedener Wissenschaftskulturen:
  • Realwissenschaften (Sciences) wie z. B. Biologie, Chemie, Physik sind beschreibend, empirisch und überprüfbar. Sie dienen der Erklärung und Vorhersage.
  • Verbalwissenschaften (Humanities) wie z. B. Gender Studies, Soziologie, Literaturwissenschaft sind deutend und mitunter – insbesondere in historischen Kontexten – bewertend. Sie dienen dem Verstehen und der Interpretation.
Beide Perspektiven sind legitim, sie dürfen aber nicht verwechselt werden. Wenn biologische Aussagen nach moralischer Lesart bewertet werden, verlieren wir die Trennschärfe zwischen Fakt und Deutung. Das schadet der Aufklärung und letztlich auch dem gesellschaftlichen Diskurs.

Psychologische Hintergründe der Moralisierung

Wenn sachliche, biologisch überprüfbare Aussagen auf heftige moralische Gegenreaktionen stoßen, liegt das oft nicht an den Fakten selbst, sondern daran, was Menschen aus diesen Fakten für sich ableiten oder zu befürchten glauben.

Ein Schlüssel zum Verständnis ist der Begriff der kognitiven Dissonanz: Menschen geraten in inneren Konflikt, wenn neue Informationen im Widerspruch zu ihren Überzeugungen, Gefühlen oder sozialen Zugehörigkeiten stehen. Wer sich mit einem identitätspolitischen Weltbild identifiziert, das Vielfalt statt Binarität betont, empfindet die biologische Zweigeschlechtlichkeit nicht als Beschreibung eines evolutionären Mechanismus, sondern als Angriff auf das eigene Selbstverständnis oder das einer geschützten Gruppe. Die biologische Aussage selbst löst dann nicht nur intellektuellen Zweifel, sondern emotionale Abwehr vergleichbar mit einer Art Identitätsbedrohung aus. Die Folge ist, dass nicht das Argument geprüft und mit objektiver Evidenz widerlegt, sondern die Quelle moralisch delegitimiert wird. Egal, was gesagt wurde: "Das ist kolonial!", "Das ist rechts!", "Das ist transfeindlich!"…

In der Psychologie nennt man das motivierte Kognition. Dieser psychologische Prozess beschreibt, wie Motivation und Ziele die Art und Weise beeinflussen, wie wir Informationen verarbeiten und zu Schlussfolgerungen gelangen. Dabei werden Informationen, die unsere bestehenden Überzeugungen oder Wünsche bestätigen, oft bevorzugt und verstärkt, während Informationen, die diesen widersprechen, eher ignoriert oder abgewertet werden. Menschen verarbeiten Informationen somit nicht neutral, sondern so, dass sie das Selbstbild und die Gruppenzugehörigkeit schützen. Die Moral fungiert dabei wie ein Schild. Sie verhindert kognitive Dissonanz, schützt das innere Narrativ und stabilisiert das eigene Lager.

Kurz gesagt: Wenn naturalistische Realweltphänomene zur Bedrohung einer Weltanschauung werden, reagiert der Mensch nicht mit Neugier, sondern mit Verteidigung. Und die verläuft oft moralisch statt sachlich. Statt das Weltbild zu hinterfragen, greifen viele das Faktum oder den Überbringer an, um ihre psychische Kohärenz zu retten.

Zwischen Skepsis und Biophobie

In einem Nature-Editorial von 2017, mit dem Titel "Biohackers can boost trust in biology", wurde berichtet, wie Do-it-yourself-Biologen in Deutschland erfolgreich an offenen Experimentierformen arbeiteten und damit das Potenzial hatten, das Vertrauen der Bevölkerung in biologische Forschung zu stärken [1]:

"Such test cases could help Germany to develop a more rational approach to evaluating the promise and perils of biology — and so encourage a German public perception that biology does not always need to be locked up in a lab."

Der Subtext dieses Artikels weist auf ein typisch deutsches Dilemma hin: Übertriebene Vorsicht gegenüber Biotechnologie in Form einer Art "German Angst", die Fortschritt allzu schnell moralisch und rechtlich sanktioniert, aus Sorge vor Risiken oder Missbrauch. Der Nature-Artikel legt nahe, dass in Deutschland, historisch bedingt durch Eugenik und NS-Verbrechen, die Furcht vor Biowissenschaft oft in Biophobie ausartet – ein reflexhaftes Zurückweichen vor allem, was nach Genmanipulation riecht. Doch wenn wir aus Angst Fakten beschränken, blockieren wir Aufklärung.

Warum Social Media kein Debattenraum ist

Ein weiterer Grund, warum biologische Aufklärung in sozialen Medien so oft scheitert, liegt in der Kommunikationsdynamik dieser Plattformen. Was dort stattfindet, ist selten ein ehrlicher Austausch zwischen zwei Menschen, die an Erkenntnis interessiert sind, sondern oft eine Selbstdarstellung vor Publikum. In solchen Debatten sprechen viele nicht mit dem jeweiligen Gegenüber, sondern darüber hinweg zum eigenen Netzwerk. Wer am lautesten moralisiert, wird durch Likes, Retweets und weiterem Empörungskapital belohnt. Statt redlicher Auseinandersetzung findet ein soziales Schauspiel statt. Die Debatte wird so zur Bühne, das Argument zur Pose und der Diskutant zum Statisten. Aussagen werden nicht auf richtig oder falsch geprüft, sondern für das Publikum verdreht oder skandalisiert. Die Folge ist eine Vergiftung des Diskurses, bei der Wissenschaft nicht mehr erklären darf, was ist, weil bereits feststeht, was sein darf. Für biologische Aufklärung ist dieses Klima tödlich, denn es setzt nicht auf Verstehen, sondern auf Zuschreibung und Gesinnungstest.

Fazit: Warum wir nicht mitspielen

Zweigeschlechtlichkeit ist keine Meinung. Sie ist eine biologische Tatsache mit empirischer Grundlage. Ihre Benennung ist keine Diskriminierung, sondern eine Voraussetzung für medizinisches, pädagogisches und gesellschaftliches Verständnis. Moralische Argumente gegen biologische Aussagen entziehen sich der Diskussion, weil sie emotional aufgeladen sind. Wer sie kontrolliert, kontrolliert das Gespräch und verdrängt sachliche Aufklärung zugunsten von identitätspolitischer Deutungshoheit.

Wissenschaft braucht jedoch Luft zum Denken, nicht Applaus fürs Moralisieren. Wir brauchen mehr Unterscheidung zwischen Beschreibung und Bewertung, mehr Diskursräume ohne Tribalisierung und manchmal auch mehr Mut zum Ausstieg. Die IG Sexualbiologie hat sich deshalb entschieden, keine aktiven Social-Media-Kanäle zu betreiben. Wir setzen auf Wissen statt Aufmerksamkeit und auf Verständnis statt Klicklogik. Wir stehen für Aufklärung, nicht für Reichweite. Unsere Inhalte richten sich an Menschen, die Fragen stellen, nicht an jene, die Debatten inszenieren.

Natürlich beobachten wir auch weiterhin öffentliche Diskussionen und analysieren Kommunikationsmuster. Aber wir wissen auch: Wer sich mit Wissenschaft in die Arena der moralischen Empörung begibt, verliert… selbst wenn er recht hat.

Quellen

[1] Biohackers can boost trust in biology. Nature 552, 291 (2017). doi: https://doi.org/10.1038/d41586-017-08807-z

Montag, 9. Juni 2025

Geplante Grundgesetzänderung gefährdet biologische Realität

Die Forderung der Queer‑Beauftragten der Bundesregierung Sophie Koch (SPD), sogenannte "queere" Menschen explizit im Artikel 3 Grundgesetz zu verankern und das Abstammungsrecht anzupassen, mag auf den ersten Blick wie ein berechtigter Schutzversuch erscheinen. Doch eine grundlegende Gesetzesänderung hätte weitreichende Folgen – nicht nur für "queere" Personen, sondern für den gesamten gesellschaftlichen Umgang mit Geschlecht.

Verschiebung von biologischem zu identitätsbasiertem Geschlecht

Das Geschlecht (Sexus) ist in der Biologie klar und materiell definiert. Transkonzepte, die Geschlecht als psychologisches oder soziales Empfinden umdefinieren ("Gender Identity"), entkoppeln es von der körperlichen Realität.

Während das bereits verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) aus Sicht der IG Sexualbiologie ein schwerwiegender Fehler war, betraf bzw. betrifft es zumindest formal nur jene Personen, die aktiv ihren Geschlechtseintrag beim Standesamt ändern lassen. Damit wurde die Kategorie "Geschlecht" zwar bereits juristisch aufgeweicht, aber zunächst auf individuell begrenzte Einzelfälle beschränkt. Die nun diskutierten Änderungen des Grundgesetzes und des Abstammungsrechts gehen jedoch weit darüber hinaus: Sie machen die subjektive "Geschlechtsidentität" zur allgemeinen verfassungsrechtlichen Norm und ersetzen damit die biologische Kategorie endgültig für alle Bürger. Aus unserer Sicht bedeutet das nicht nur eine Verallgemeinerung des Irrtums des SBGG, sondern eine unumkehrbare Zementierung eines ideologisch motivierten Geschlechtsbegriffs. Was zuvor ein umstrittener Ausnahmeweg war, wird so zur neuen Grundlage des gesamten Rechtsverständnisses in Deutschland.
 

Umfassende Auswirkungen auf Recht und Gesellschaft

Wenn das Geschlecht mit der Identität gleichgesetzt wird, verlieren geschlechtsspezifische Förder- und Schutzprogramme ihre objektive Basis. Biologiebasierte Schutzmaßnahmen (z. B. Strahlenschutz, Mutterschutz) könnten ineffektiv oder rechtlich angreifbar werden. Wenn zwei Mütter bei Geburt eines Kindes gleichberechtigt anerkannt werden sollen, stellt sich die Frage: Was ist dann überhaupt Mutter oder Vater?
 
Kochs Vorschlag sieht keine Einschränkung auf "queere" Lebenswirklichkeiten vor. Er gilt für alle Bürger. Wer einmal die Schwelle überschreitet, kann sie jederzeit überschreiten. Biologische Merkmale verlieren jegliche rechtliche Relevanz. Ein de facto "Freibrief" entsteht, der jede bisher biologisch begründete Regelung zum Auslaufmodell werden lässt.
 

Notwendigkeit nicht gegeben 

Koch argumentiert, dass "queere" Menschen aktuell keinen ausreichenden Schutz im Grundgesetz hätten und verweist auf weltweite Tendenzen und Diskriminierungen. Sie übersieht, dass das Diskriminierungsverbot bereits jetzt in Artikel 3 Absatz 3 Grundgesetz eindeutig formuliert ist: "Niemand darf wegen seines Geschlechts [...] benachteiligt oder bevorzugt werden." Diese Regelung gilt uneingeschränkt für alle Menschen, da der Mensch biologisch eine anisogame Spezies ist, bei der es nur zwei Geschlechter in der Population gibt: männlich und weiblich. Dieses binäre Geschlechtersystem ist keine soziale Konstruktion, sondern eine tief in der Biologie verankerte Tatsache.

Abweichungen davon (z. B. in phänotypischer Ausprägung) stellen keine weiteren Geschlechter abseits der Binarität dar, sondern sind medizinisch als Entwicklungsstörungen zu klassifizieren. Diese sind in aller Regel trotz äußerlicher Variationen entweder eindeutig männlich oder weiblich einzuordnen – mit Ausnahme extrem seltener Fälle wie der ovotestikulären Störung der Geschlechtsentwicklung. Doch selbst hier bietet das Grundgesetz bereits einen Schutzrahmen: Wer von der biologischen Norm aufgrund einer Entwicklungsstörung auf eine Art und Weise abweicht, die die evolvierte Funktion des Geschlechts und damit die Lebensqualität gravierend einschränkt, fällt unter den Begriff der Behinderung gemäß Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Grundgesetz, der nicht nur Schutz vor Diskriminierung garantiert, sondern sogar gezielte Förderung rechtlich absichert.

Die geplante Erweiterung des Grundgesetzes für "geschlechtliche Vielfalt" suggeriert also einen Schutzbedarf, der in Wahrheit bereits umfassend abgedeckt ist. Statt eine real bestehende Lücke zu schließen, würde eine solche Änderung die objektive biologische Grundlage des Geschlechtsbegriffs aushebeln – mit weitreichenden Folgen für Rechtssicherheit, medizinische Klassifikation und gesellschaftliche Ordnungsprinzipien.
 

Fazit

Sophie Kochs Anliegen birgt ideologische Risiken, die weiter reichen als der Schutz "queerer" Menschen. Die Aufnahme von "Geschlechtsidentität" ins Grundgesetz würde biologische Kategorien obsolet machen und damit bestehende Schutzräume sowie Mechanismen der Gleichberechtigung untergraben. Es handelt sich nicht um eine isolierte Maßnahme, sondern um einen systematischen Umbau dessen, wie Geschlecht in Recht und Alltag konzeptualisiert wird.

Betrachtet man das Gesamtbild, wird deutlich, dass die geplante Grundgesetzänderung nicht nur ein Akt der Anerkennung ist: Sie definiert gesellschaftliche Grundvoraussetzungen final um.

Sonntag, 1. Juni 2025

Eine biologische Perspektive auf das Pride-Phänomen

Jedes Jahr im Juni verwandeln sich die sozialen Medien großer Konzerne schlagartig in bunte Regenbogenlandschaften. Logos werden eingefärbt, Hashtags verkünden Solidarität und in Schaufenstern wimmelt es von Vielfaltsslogans. Juni ist der Pride Month – ein Monat, der ursprünglich die Sichtbarkeit, Rechte und Geschichte von Menschen mit einer von der Heteronormalität abweichenden erotischen Präferenz oder Geschlechtsidentität in den Fokus rücken sollte. Doch aus biologischer Sicht lässt sich noch ein anderer Begriff für das beobachten, was viele Firmen in dieser Zeit praktizieren: Mimikry

Was ist Mimikry?

In der Biologie beschreibt Mimikry das Phänomen, dass ein Lebewesen das Aussehen, Verhalten oder andere Eigenschaften eines anderen Organismus imitiert – oft zum eigenen Vorteil. Ein klassisches Beispiel sind Vertreter der harmlosen Schwebfliegen (Familie Syrphidae), die durch ihre schwarz-gelbe Färbung eine gefährliche Wespe vortäuschen und so Fressfeinde abschrecken. Die Schwebfliege wird nicht gefressen, weil sie aussieht, als könne sie stechen (Schutzmimikry).

Bei der sogenannten Lockmimikry hingegen ahmt ein Lebewesen ein für Beute oder Bestäuber attraktives Vorbild nach, um so Beute oder Bestäuber anzulocken. Beispiel: Der Seeteufel (Lophius piscatorius), der einen wurmähnlichen Anhängsel hat, um Fische anzulocken.

Mimikry ist somit ein evolutionäres Täuschungsmanöver, das nicht auf Kooperation, sondern auf Eigennutz basiert.

Mimikry in der Wirtschaft: Der Juni als Hochsaison der Täuschung

Übertragen wir dieses Prinzip auf das Verhalten vieler Unternehmen während des Pride Month, ergibt sich ein erstaunlich klares Bild. Sobald der Juni beginnt, scheinen viele Marken plötzlich für Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung zu stehen. Sie "färben sich ein" und imitieren die Zeichen echter Unterstützung. Doch wie tief reicht dieses Engagement wirklich?

Eine besonders auffällige Form dieser Mimikry zeigt sich in der geografisch selektiven Darstellung. Während Logos in westlichen Ländern in Regenbogenfarben erstrahlen, bleiben sie auf den Social-Media-Kanälen derselben Firmen in Regionen wie dem Nahen Osten, Teilen Asiens oder Russland in neutralem Design: People notice eye-opening difference between corporate Pride logos in US versus Middle East

Wo Abweichungen von der Heteronormalität oft kriminalisiert oder gesellschaftlich geächtet sind, bleibt das bunte Bekenntnis aus. Die angebliche Solidarität endet also genau dort, wo sie unbequem oder geschäftsschädigend werden könnte, wo sie jedoch am dringendsten benötigt wird.

Dieses Verhalten ist kein Zeichen echter Überzeugung, sondern ein kalkuliertes Abwägen von Kosten und Nutzen – eben Mimikry in Reinform!

Virtue Signaling: Die Illusion der Werte

Der Begriff Virtue Signaling beschreibt das demonstrative Zurschaustellen von moralischer Überlegenheit, häufig ohne tatsächliche Konsequenzen oder Handlungen folgen zu lassen. Die Kombination aus Mimikry und Virtue Signaling führt zu einer perfiden Mischung: Unternehmen heften sich soziale Anliegen symbolisch ans Revers und nutzen sie für Marketingzwecke, ohne jedoch echte Verantwortung zu übernehmen.

Wirkliche Solidarität ist keine Frage des Kalenders und keine, die an Landesgrenzen endet. Sie bedeutet Einsatz – auch und insbesondere, wenn er unbequem ist. Wer sich nur dort zu Menschenrechten bekennt, wo es sicher und profitabel ist, sendet letztlich die Botschaft: Wir sind für Vielfalt… solange sie sich auszahlt.

Getarnt gegen Gegenwind

Neben der offensichtlichen Lockmimikry, bei der Unternehmen durch Regenbogenfarben gezielt die Aufmerksamkeit und das Wohlwollen einer bestimmten Zielgruppe anlocken, lässt sich ihr Verhalten auch als Schutzmimikry deuten. In der Natur imitieren harmlose Arten oft das Erscheinungsbild gefährlicherer Tiere, um sich vor Fressfeinden zu schützen. Übertragen auf den Pride Month bedeutet das: Firmen kleiden sich in "queere" Symbolik nicht nur, um sichtbar tolerant zu wirken, sondern auch, um sich vor öffentlicher Kritik oder Anfeindung durch "LGBTQIA+-Aktivist*innen" zu schützen. Wer die Regenbogenflagge hisst, signalisiert: Greift mich nicht an, ich gehöre zu euch.

Vom Pride Month zum Mimikry Month?

Als Biologen schlagen wir daher vor, den Juni mit einem Augenzwinkern (und einer Prise bitterem Ernst) umzubenennen: Mimikry Month – die Zeit im Jahr, in der wir genau hinschauen sollten, wer wirklich für Werte eintritt und wer sie lediglich imitiert.


Wir wollen damit nicht den Pride Month entwerten. Im Gegenteil! Die Pride-Bewegung hat jahrzehntelang für ihre Sichtbarkeit, Rechte und Sicherheit gekämpft. Doch gerade deshalb verdient sie mehr als symbolisches Marketing. Sie verdient authentische, ganzjährige Unterstützung von Individuen, von Institutionen und auch von der Wirtschaft.

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