Freitag, 31. Oktober 2025

"In Nature-Zeitschriften veröffentlichte Artikel können nicht länger als strenge Wissenschaft angesehen werden."

Am 24. Oktober 2025 veröffentlichte die Chemieprofessorin Anna I. Krylov (University of Southern California) auf Substack 'Heterodox STEM' einen offenen Brief an den Senior Editor von Springer Nature, Deutschland mit dem Titel "Why I no longer engage with Nature publishing group". Darin erklärt sie, dass sie künftig nicht mehr mit Zeitschriften der Nature-Gruppe zusammenarbeiten wird – weder als Gutachterin noch als Autorin. Sie sieht nämlich die wissenschaftliche Integrität des Verlages gefährdet.

Krylovs Schreiben ist kein kurzer Affekt, sondern ein sorgfältig begründeter Protest gegen das, was sie als zunehmende Ideologisierung wissenschaftlicher Publikationspraxis beschreibt. Ihre Argumentation verdient Aufmerksamkeit – nicht nur, weil sie von einer anerkannten Naturwissenschaftlerin stammt, sondern auch, weil ähnliche Spannungsfelder heute in vielen Disziplinen zu beobachten sind, darunter besonders in der Sexualbiologie.

Wahrheitssuche statt Weltverbesserung

Krylov erinnert zunächst an eine Grundidee der Aufklärung: Wissenschaft dient der Erkenntnis der Wirklichkeit, nicht der moralischen oder politischen Umerziehung. Sie bezieht sich auf Jonathan Rauch, der in 'The Constitution of Knowledge' (2021) die Wissenschaft als "epistemischen Filter" beschreibt – ein System, das Wahrheitsansprüche prüft und nur jene bestehen lässt, die der methodischen Überprüfung standhalten. Diese Funktion, so Krylov, werde inzwischen von Nature und verwandten Publikationsorganen unterlaufen. An die Stelle von methodischer Strenge und Objektivität träten zunehmend soziale Zielsetzungen. Solche Ziele mögen in Gesellschaft und Politik legitim sein, jedoch nicht als Kriterien wissenschaftlicher Qualität.

Ihr erstes Beispiel betrifft die "Diversity Commitment" von Springer Nature. Die Verlagsgruppe verpflichtet sich darin, mehr Diversität in Redaktionen, Gutachterkreisen und Autorenschaft zu fördern. Krylov kritisiert das nicht, weil sie Diversität ablehnt, sondern weil sie den methodischen Maßstab verschiebt. Wissenschaftliche Bewertung sollte allein von Kompetenz und Argumentationskraft abhängen, nicht von Geschlecht, Herkunft oder Identität. Sie formuliert es zugespitzt: Wenn die Einladung zur Begutachtung eines Artikels nicht mehr eindeutig aufgrund fachlicher Expertise erfolgt, sondern auch aufgrund von demografischen Merkmalen, dann wird das Vertrauen in die Neutralität des Peer-Review-Prozesses beschädigt. Krylov sieht darin eine Form institutionalisierter sozialer Steuerung, die die wissenschaftliche Meritokratie aushöhlt.

Als zweites Beispiel nennt Krylov die von 'Nature Reviews Psychology' eingeführte Praxis der sogenannten "Citation Justice". Autoren werden dort ermutigt, in ihren Literaturverzeichnissen die Arbeiten unterrepräsentierter Gruppen stärker zu berücksichtigen. Krylov sieht darin eine Ideologisierung wissenschaftlicher Kommunikation. Das Literaturverzeichnis sei kein Ort für Repräsentationspolitik, sondern ein Werkzeug, um relevante Erkenntnisse nachzuweisen. Wenn Zitate nicht mehr nach Relevanz oder Qualität, sondern nach Identität vergeben werden, werde das wissenschaftliche Netzwerk der Bezüge verzerrt und letztlich die Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen geschwächt.

Zensur im Namen des Guten

Noch schärfer fällt ihre Kritik an 'Nature Human Behavior' aus. Diese Zeitschrift erklärte 2022, sie wolle Arbeiten ablehnen oder überarbeiten, deren Ergebnisse "potenziell schädlich" für bestimmte gesellschaftliche Gruppen sein könnten. Krylov hält das für eine Zensurmaßnahme, die mit wissenschaftlicher Verantwortung nichts zu tun habe. Es sei nicht Aufgabe von Herausgebern, die möglichen sozialen Konsequenzen von Forschung vorab moralisch zu bewerten – zumal dies oft auf subjektiven Einschätzungen beruhe. Damit, so Krylov, stelle sich Nature selbst über das Prinzip wissenschaftlicher Offenheit. Erkenntnis dürfe unbequem sein, sonst verliere sie ihre Glaubwürdigkeit.

Ein Plädoyer für die Integrität von Wissenschaft

Krylovs Fazit ist kompromisslos: Die Nature-Gruppe habe ihre Rolle als neutrale Hüterin wissenschaftlicher Standards verloren. Die Orientierung an Diversität, Gleichstellung und sozialer Verträglichkeit habe sich von einem gesellschaftlichen Anliegen zu einem epistemischen Filter entwickelt. Für sie kann Wissenschaft aber nur dann verlässlich bleiben, wenn sie wertfrei im methodischen Sinne operiert. Sie fordert in ihrem offenen Brief deshalb eine Rückkehr zu wissenschaftlicher Exzellenz mit einer Prüfung von Hypothesen allein nach ihrer Evidenz, nicht nach sozialer Erwünschtheit.

Die Reaktionen auf Krylovs offenen Brief fallen überwiegend zustimmend aus. In den Kommentaren ihres Substack-Beitrags finden sich fast ausschließlich Lob, Solidarität und ähnliche Kritik an der ideologischen Ausrichtung großer Wissenschaftsverlage. Viele Kommentare begrüßen ihren Schritt als überfälliges Zeichen gegen "Wokeness" und fordern, andere Forscher sollten ihr folgen. Nur vereinzelt wird über die strategische Wirksamkeit eines Boykotts diskutiert, inhaltlicher Widerspruch zu Krylovs Argumenten ist aber praktisch nicht vorhanden.

Was das für die Sexualbiologie bedeutet

Gerade in der Sexualbiologie wird Krylovs Kritik greifbar. Hier überschneiden sich empirische Forschung und gesellschaftspolitische Diskussion besonders stark – etwa in Fragen von Geschlecht, Identität, Sexualdifferenz oder Trans-Themen. In diesem Feld sind Wissenschaftler heute häufig mit Erwartungen konfrontiert, ihre Ergebnisse nicht nur korrekt, sondern auch "sensibel" zu formulieren.

Natürlich ist Sensibilität im Umgang mit Menschen geboten. Doch wenn daraus ein impliziter Druck zur ideologischen Konformität wird oder wenn bestimmte Daten, Begriffe oder Fragestellungen als "unzulässig" gelten, dann gerät ergebnisoffene Forschung in eine Schieflage. Gerade die Sexualbiologie braucht eine freie, erkenntnisorientierte Diskussion, die Unterschiede und Widersprüche aushalten kann, ohne sofort moralisch bewertet zu werden.

Krylovs Brief erinnert uns daran, dass die methodische Offenheit sowie die Bereitschaft, Daten sprechen zu lassen, auch wenn sie nicht ins gesellschaftliche Narrativ passen, das Fundament jeder ernstzunehmenden Wissenschaft und ihrer Kommunikation ist.

Fazit

Anna Krylovs Kritik ist unbequem, aber notwendig. Sie ruft dazu auf, die Grenzen zwischen wissenschaftlicher Integrität und gesellschaftlicher Agenda klar zu halten. In der Sexualbiologie – wie in allen empirischen Disziplinen – darf der Maßstab wissenschaftlicher Wahrheit nicht durch politische Zielvorgaben ersetzt werden. Denn wer Forschung moralisch filtert, bevor sie überhaupt stattfinden kann, riskiert, dass Wissenschaft immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert.

Mittwoch, 29. Oktober 2025

Grokipedia gestartet: Die Revolution der Wissensvermittlung

In einer Zeit, in der Wissen nur einen Klick entfernt ist, dominiert Wikipedia seit Jahrzehnten als scheinbar unerschütterliche Quelle der Enzyklopädie. Doch wie wir kürzlich mitbekommen haben, hat xAI – das KI-Unternehmen von Elon Musk – mit Grokipedia eine spannende Alternative online gestellt. Gestartet am 27. Oktober 2025, verspricht diese AI-gestützte Plattform, die Schwächen der etablierten Quellen zu beheben: Vorurteile, Verzögerungen und ideologische Verzerrungen. Besonders im sensiblen Bereich der Sexualbiologie und der Debatte um Gender-Ideologie, wo Fakten oft mit gesellschaftlichen Narrativen kollidieren, könnte Grokipedia einen echten Paradigmenwechsel bedeuten. Als Interessengemeinschaft für Sexualbiologie sehen wir hier enormes Potenzial. 

In diesem Beitrag beleuchten wir, warum Grokipedia Wikipedia in sexualbiologischen Themen überlegen ist – gestützt auf konkrete Beispiele, die die biologische Realität betonen und ideologische Überlagerungen entlarven.

"Fakten wiegen schwerer als Narrative" (KI-generiert / Tool: Grok)

Grokipedia, angetrieben vom Grok-Sprachmodell, generiert und überprüft Artikel in Echtzeit, basierend auf einer breiten Datenbasis, die Propaganda filtert und maximale Objektivität anstrebt. Im Gegensatz dazu leidet Wikipedia unter einer bekannten Editorenkluft – insbesondere im Bereich der Sexualbiologie, wo biologische Fakten mit progressiven Ideologien vermischt werden. Grokipedia hingegen priorisiert biologische Evidenz und vermeidet "woke" Einflüsse, wie Musk es nennt.
 

Die Definition von Geschlecht

Ein zentraler Streitpunkt in der gesellschaftlichen Debatte im Kontext der Sexualbiologie ist die Unterscheidung zwischen "biologischem" Geschlecht und sozialem "Gender". Auf Wikipedia wird "Gender" als "Range of social, psychological, cultural, and behavioural aspects of being a man (or boy), woman (or girl), or third gender" beschrieben – eine Formulierung, die den biologischen Binäraspekt (männlich/weiblich) weitgehend ignoriert und stattdessen ideologische Konstrukte betont. Kritiker wie der Evolutionsbiologe Richard Dawkins werfen Wikipedia vor, hier "Gender-Ideologie" über harte Biologie zu stellen, was zu einer Vermischung von Fakten und Konstrukten führt. Grokipedia hingegen startet seine Definition klar: "Gender refers to the binary classification of humans as male or female based on biological sex." Diese präzise, evidenzbasierte Darstellung vermeidet Euphemismen und zitiert direkt gametische Unterschiede (Eizellen vs. Spermien). Grokipedia liefert damit sofort nutzbare, wissenschaftliche Klarheit, ohne den Umweg über endlose Diskussionen auf Wikipedia-Talkseiten.
 

Geschlechtsidentität

Die Wikipedia-Seite zu "Gender Identity" betont soziale und psychologische Faktoren, erwähnt aber biologische Einflüsse nur am Rande – etwa durch Debatten wie "Nature vs. Nurture", ohne klare Dominanz der Biologie zu nennen. Das führt zu einer Darstellung, die Geschlechtsidentität als weitgehend konstruiert erscheinen lässt, was in der Forschung kontrovers ist: Studien zu Gehirnstrukturen bei Transgendern werden oft isoliert präsentiert, ohne den Kontext sexueller Dimorphie. Grokipedia korrigiert das, indem es betont, dass "gender identity is neither determined entirely by childhood rearing nor entirely by biological factors", aber mit stärkerem Fokus auf biologische Marker wie hormonelle und genetische Einflüsse. Hier wird die Komplexität anerkannt, ohne in ideologische Narrative abzugleiten. Grokipedia bietet hier eine ausgewogene Synthese, die Echtzeit-Updates ermöglicht und Leser nicht mit widersprüchlichen Quellen überfordert.
 

Geschlechtsangleichende Maßnahmen

Bei "Gender Transition" warnt Grokipedia explizit vor "limited and of low quality" Evidenz für medizinische Behandlungen, basierend auf aktuellen Studien zu Langzeitwirkungen. Wikipedia hingegen beschreibt den Prozess als etabliert, mit Jahrzehnten wissenschaftlicher Unterstützung, was Kritiker als Überbetonung progressiver Ansichten sehen – etwa die Ignoranz von Risiken wie Infertilität oder psychischen Folgen. Diese Verzerrung wurzelt in Wikipedias Editorenbias: Themen zu Trans-Rechten werden oft von Aktivisten geprägt, was biologische Realitäten wie irreversible Veränderungen der Fortpflanzungsfähigkeit verharmlost. Grokipedia hebt stattdessen evidenzbasierte Grenzen hervor, zitiert Meta-Analysen und vermeidet Sensationalismus. Statt ideologischer Polemik erhalten Nutzer faktenbasierte Warnungen, die auf der xAI-Technologie beruhen und kontinuierlich aktualisiert werden. Ein wahrer Game-Changer!
 

Intersexuelle Zustände

Wikipedia behandelt "Intersex" primär als Beweis für ein Geschlechtsspektrum jenseits des Binärs, was die biologische Seltenheit (ca. 0,018 % der Bevölkerung) mit ideologischen Argumenten für "nicht-binäre" Identitäten vermengt. Das führt zu einer Überbetonung sozialer Aspekte, während genetische Ursachen wie Androgen-Insensitivitätssyndrom kürzer ausfallen. Grokipedia hingegen rahmt "Intersex" als seltene biologische Variation innerhalb des binären Rahmens, mit detaillierten Erklärungen zu chromosomalen Abweichungen und medizinischen Implikationen, ohne es zu einer Plattform für Gender-Ideologie zu machen. Diese Herangehensweise respektiert die Betroffenen, betont aber die biologische Integrität – ein Kontrast zu Wikipedias Tendenz, solche Themen in den Kontext von "queerphobia"-Debatten zu stellen. Der Nutzen für unser Feld? Grokipedia fördert eine medizinisch fundierte Diskussion, die Stigmatisierung vermeidet und auf Fakten setzt.
 

Fazit

Grokipedia Version 0.1 ist sicherlich kein perfektes Werkzeug, sondern bloß ein Anfang, doch in unseren Themenbereichen übertrifft es Wikipedia bereits jetzt durch seine Unabhängigkeit von Editorenbias, Echtzeit-Faktenchecks und Fokus auf biologische Wahrheit. Wo Wikipedia oft in ideologischen Gräben stecken bleibt, bietet Grokipedia eine Brücke zu unvoreingenommener Wissenschaft. Für Initiativen wie unsere, die Aufklärung priorisieren, ist das eine Einladung: Nutzen wir Grokipedia, um Inhalte zu bereichern und den Diskurs von Narrativen zu befreien.
 
Echte Objektivität bleibt allerdings auch für KI-Systeme immer eine Herausforderung. Auch Grok spiegelt letztlich bloß die Perspektiven wider, aus denen es lernt. Der Anspruch, "neutraler als Wikipedia" zu sein, ist daher ein löbliches Ziel, aber keine Garantie. Grokipedia ersetzt nicht den kritischen Blick, den jede wissenschaftliche Auseinandersetzung braucht. Ob Musks neues Projekt langfristig wirklich zu einer ausgewogeneren Wissenskultur beiträgt, wird sich daher erst im praktischen Einsatz zeigen. Wir werden die Entwicklung der Wikipedia-Alternative ergebnisoffen begleiten.

Sonntag, 26. Oktober 2025

"Wozu müssen Kinder noch die Fortpflanzung der Fische lernen?"

Diese Frage stellte eine Schulleiterin in einem kürzlich in der Freien Presse erschienenen Artikel: „Wir sind der Einäugige unter den Blinden“ – Marienberger Schulleiterin hinterfragt Bildungsmonitor
 
Sie kritisiert darin, dass aktuelle Lehrpläne zu viele überholte oder als unwichtig angesehene Themen wie eben die Fortpflanzung von Fischen behandeln, anstatt Kindern beispielsweise beizubringen, wie man mit anderen Menschen umgeht. Laut der zitierten Schulleiterin sei ein solcher Unterricht angesichts von Themen wie Vereinsamung, Verrohung und Polarisierung dringender erforderlich, um Kindern soziale Kompetenzen zu vermitteln.
 
Die Biologin Marie-Luise Vollbrecht teilte das Bild dieser rhetorischen Frage auf X und kommentiert trocken: "Damit sie wissen, warum es nur 2 davon gibt." Vollbrecht meint damit die Anzahl der Geschlechter. Es geht ihr offenbar um einen Schulunterricht, der naturwissenschaftliche Grundlagen statt Ideologie vermittelt. Doch dann kommt Falk Thore Gebhardt (FDP), repostet Vollbrechts Beitrag und schreibt: "Fische sind ein gutes Beispiel dafür, dass es nicht nur zwei fixe Geschlechter gibt." und verweist auf das Phänomen der Proterandrie:
 
 
Ein harmloses, biologisch weitestgehend korrektes Statement. Kein Wort über Menschen. Kein Wort über Transgender. Kein Wort über Identitätspolitik. Und doch: Innerhalb kurzer Zeit hagelt es kritische Kommentare. "Seit wann sind Menschen Fische?"; "In welches dritte Geschlecht wechseln die denn?" Was hier passiert, ist kein wissenschaftlicher Diskurs. Es ist ein Lehrstück in kognitiver Verzerrung. 
 

Was ist Proterandrie? 

Clown- bzw. Anemonenfische (Amphiprion-Arten) leben in kleinen, hierarchisch organisierten Gruppen in Seeanemonen. Die Fortpflanzung ist streng geregelt und hochflexibel: Alle Jungfische schlüpfen als Männchen. Das größte, dominante Tier der Gruppe wird zum Weibchen. Stirbt das Weibchen, rückt das ranghöchste Männchen nach und wird innerhalb weniger Wochen zum funktionsfähigen Weibchen.

Dieser sequenzielle Hermaphroditismus ist eine evolutionäre Anpassung. In einer Umwelt mit begrenzten Partnern maximiert er die Fortpflanzungschancen. Allerdings gibt es auch hier weiterhin nur zwei Geschlechter – männlich und weiblich. Der Wechsel erfolgt zwischen diesen beiden. Es entsteht kein drittes, kein non-binäres und auch kein "Intersex"-Geschlecht.

Gebhardt hat allerdings nur bei Clownfischen recht. Bei Kugelfischen (Familie Tetraodontidae) hingegen ist das völlig anders. Alle bekannten Arten sind getrenntgeschlechtlich (gonochoristisch). Sie bleiben also ihr Leben lang entweder Männchen oder Weibchen. Weder Proterandrie noch Proterogynie wurde bei ihnen jemals dokumentiert. Manche Arten zeigen zwar komplexe Geschlechtsbestimmungssysteme oder seltene Fälle von gemischtem Gonadengewebe, doch das sind keine funktionalen Geschlechtswechsel. Der Irrtum, Kugelfische seien zuerst männlich und würden später zu Weibchen, beruht auf einer in der deutschsprachigen Wikipedia verbreiteten Fehlinterpretation eines Artikels der Japan-Times aus dem Jahr 2013: Fugu reveals its simple gender switch. Im Wikipedia-Eintrag über Kugelfische wir behauptet: "Geschlechtsreife Tiere sind oftmals zuerst männlich, können ihr Geschlecht jedoch im Laufe des Lebenszyklus wechseln und zu weiblichen Tieren werden" Die zugrundeliegende Studie von Kamiya et al. (2012) beschreibt allerdings gar keine Proterandrie, sondern identifiziert eine einzelne Nukleotid-Variation (SNP 7271 C/G) im Gen Amhr2 (anti-Müller’scher Hormonrezeptor Typ II), das bei Takifugu rubripes das Geschlecht genetisch festlegt [1]. Weibchen sind dabei homozygot, Männchen heterozygot. Es handelt sich also um ein System, bei dem das Geschlecht bereits während der Embryonalentwicklung festgelegt ist. Spannend ist hierbei, dass der betreffende SNP (Single Nucleotide Polymorphism) trans-spezifisch ist – d. h. auch in anderen Takifugu-Arten konserviert ist, was eine starke genetische Fixierung der Zweigeschlechtlichkeit unterstreicht.

Der "gender switch" im Artikel-Titel bezieht sich somit auf die molekulare Geschlechtsbestimmung (sozusagen den "Schalter", der das Geschlecht binär festlegt), nicht auf einen tatsächlichen Geschlechts"wechsel" (sex change) im Lebenszyklus. Bereits dieses, von der deutschen Wikipedia aufgrund einer fehlerhaften Übersetzung / Interpretation auf irreführende Weise verbreitete Beispiel zeigt, wie wichtig eine saubere Wissenschaftskommunikation über "die Fortpflanzung der Fische" ist – insbesondere, wenn es um schulische Bildungseinrichtungen geht.

Die Biologin Vollbrecht sagt sinngemäß: Es gibt nur zwei Geschlechter, das kann man aus Fisch-Fortpflanzung lernen. Der FDPler Gebhardt sagt sinngemäß: Bei Fischen wechseln Geschlechter, also sind sie nicht immer fix. Beide haben recht; beide widersprechen sich nicht. Denn selbst beim Geschlechtswechsel bleibt es bei genau zwei Geschlechtern. Die Proterandrie bestätigt Vollbrechts Punkt, sie widerlegt ihn nicht. Und dass selbst der Japan-Times-Artikel mit der Frage "Why are there two sexes?" ("Warum gibt es zwei Geschlechter?") einsteigt und damit ganz selbstverständlich von einer binären Geschlechterordnung ausgeht, entbehrt nicht einer gewissen Ironie.

Was sagt das über Menschen?

Gar nichts. Gebhardt erwähnt Menschen aber auch mit keinem Wort. Er macht eine rein zoologische Feststellung. Und doch wird sein Posting sofort als versteckter Angriff auf die menschliche Geschlechterbinarität gelesen. Das ist ein klassischer Strohmann: Man konstruiert eine Position ("Falk sagt, Menschen hätten mehr als zwei Geschlechter"), die der andere nie wirklich eingenommen hat, und bekämpft sie dann mit Inbrunst. Im Mai 2024 postete der junge Liberale zwar ein Statement, warum in Deutschland das "Dritte Geschlecht" rechtlich eingeführt wurde, bezog sich dabei jedoch eindeutig auf die juristische Definition im Sinne einer dritten Option für Menschen mit uneindeutiger Geschlechtsausprägung, nicht auf weitere Geschlechter im eigentlichen (reproduktionsbiologischen) Sinn:

 
Sicherlich verdient die Verwechslung bzw. Gleichsetzung von "Geschlechtsausprägung" mit "Geschlecht" fachlich fundierten Widerspruch. Man sollte außerdem anmerken, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluss (Az. 1 BvR 2019/16) für die Geschlechtsoption "divers" ein dauerhaftes Bestehen der uneindeutigen Geschlechtszuordnung voraussetzte, welches streng genommen ausschließlich bei Menschen mit einer ovotestikulären Störung der Geschlechtsentwicklung der Fall ist. Das BVerfG legte diese Dauerhaftigkeit allerdings sehr großzügig aus und inkludierte das subjektive Identitätsempfinden von DSD-Personen, die sich ironischerweise aber in der Regel selber binär einordnen [2].

Dennoch ist es bemerkenswert, dass wir offenbar in einer Zeit leben, in der jede Erwähnung biologischer Varianz sofort als identitätspolitisches Statement und damit als Angriff auf das Gesetz der Zweigeschlechtlichkeit interpretiert wird. Das ist Projektion in Reinform. Jemand sagt etwas über Fische, Kiwis oder Schleimpilze und schon kommt bei Leuten an: "Aha! Das muss ein versteckter Kommentar zur Gender-Debatte sein!" Es folgen Empörung, Spott und Whataboutism. Das ist nicht rational, sondern reflexhaft und lässt sich auf beiden Seiten der Debatte beobachten. Wenn jemand bloß feststellt, dass einige Fische zwischen männlich und weiblich wechseln können, hören manche, man wolle damit sagen, dass Menschen beliebig zwischen 72 Geschlechtern wechseln könnten.
 
Das ist, als würde man auf die biologisch korrekte Aussage "Manche Vögel sind flugunfähig" mit "Wieso beleidigst du Piloten?" antworten. Viele Kommentatoren aus der radikalen Anti-Woke-Bewegung fürchten offenbar, wenn man zugibt, dass die Natur in einem binären Rahmen durchaus Flexibilität zeigt, dies die Tür für beliebige Interpretationen beim Menschen öffnet.

Fazit

Bei aller berechtigter Kritik an identitätspolitischer Verzerrung biologischer Tatsachen: Hören wir doch endlich wieder zu, statt zu projizieren. Wenn jemand etwas Wahres zur Sexualbiologie von Tieren ohne Menschenbezug äußert, gibt es keinen Grund, woke Gespenster zu sehen sehen, wo gar keine sind. Bevor man sich aufregt, einfach zweimal lesen und sich fragen: Hat der andere wirklich gesagt, was ich gerade bekämpfe? Meistens lautet die Antwort: Nein.

Quellen

[1] Kamiya T, Kai W, Tasumi S, Oka A, Matsunaga T, et al. (2012) A Trans-Species Missense SNP in Amhr2 Is Associated with Sex Determination in the Tiger Pufferfish, Takifugu rubripes (Fugu). PLOS Genetics 8(7): e1002798. https://doi.org/10.1371/journal.pgen.1002798

[2] Baudewijntje P.C. Kreukels, Birgit Köhler, Anna Nordenström, Robert Roehle, Ute Thyen, Claire Bouvattier, Annelou L.C. de Vries, Peggy T. Cohen-Kettenis, on behalf of the dsd-LIFE group, Gender Dysphoria and Gender Change in Disorders of Sex Development/Intersex Conditions: Results From the dsd-LIFE Study, The Journal of Sexual Medicine, Volume 15, Issue 5, May 2018, Pages 777–785, https://doi.org/10.1016/j.jsxm.2018.02.021

Freitag, 24. Oktober 2025

Grundgesetz: Wer Religion schützt, muss auch "sexuelle Identität" schützen

In unserem gestrigen Beitrag zur geplanten Aufnahme der Kategorie "sexuelle Identität" in Artikel 3 des Grundgesetzes sowie über die Aktion "Grundgesetz schützen" (grundgesetz-schuetzen.de) hatten wir bereits erwähnt, dass wir uns als IG Sexualbiologie nicht an politischen Kampagnen beteiligen. Diese Position möchten wir in diesem Beitrag noch weiter ausführen:

Als Verfechter einer streng naturalistisch-materialistischen Weltanschauung neigen wir dazu, normative Schriftsätze an objektiv überprüfbaren Tatsachen auszurichten. Biologischer Essentialismus gehört gewissermaßen zu unserer "Kern-DNA". Aus dieser Perspektive üben wir durchaus scharfe Kritik am Konzept der "sexuellen Identität" als vage, potenziell beliebig erweiterbare und subjektive Selbstbeschreibung. Die Gesetzgebung profitiert von präzisen Begriffen, weil unklare Definitionen später zu auslegungsbedingten Problemen führen können. Aus rein methodologischer Sicht ist Skepsis gegenüber der rechtlichen Verankerung eines schwammigen Begriffs im Grundgesetz somit nachvollziehbar und vernünftig.

Dem gegenüber steht allerdings ein liberaler Universalismus, der die Verfassungen nicht als bloßes Abbild naturwissenschaftlicher Tatsachen versteht, sondern primär als Schild der individuellen Autonomie und Würde. Aus dieser Perspektive sind Schutznormen dafür da, die soziale Praxis abzusichern, damit Menschen ihr Leben frei nach ihrem Selbstverständnis führen können, ohne verfolgt oder systematisch benachteiligt zu werden. In diesem Denkmuster sind die bereits im Grundgesetz verankerten Kategorien wie "Glaube" oder "religiöse Anschauung" ebenfalls vage. Sie schützen Menschen vor Diskriminierung, gerade weil diese subjektiven Überzeugungen Teil ihres inneren Lebens sind. Der Schritt, "sexuelle Identität" zu ergänzen, ist daher kein metaphysischer Bruch, sondern eine konsequente Ausweitung eines aus Sicht der Menschenrechte bereits verfolgten Schutzprinzips.

Die Inkonsistenz religiöser Kritiker

Insbesondere die Kritik aus christlich-konservativen Kreisen an der geplanten Grundgesetzänderung beruft sich selektiv auf die biologische Realität der Zweigeschlechtlichkeit als weltliche Verklausulierung von "Als Mann und Frau schuf er sie" (Genesis 1,27), um den Eintrag von "sexueller Identität" abzulehnen. Zugleich verteidigen dieselben Stimmen regelmäßig mit Inbrunst den Verfassungsrang ihrer religiösen Anschauungen, obwohl diese ebenfalls subjektiv, wandelbar und nicht naturwissenschaftlich objektivierbar sind. Das ist inkohärent. Entweder man hält an einer rigoros naturalistischen Lesart fest, in welchem Fall auch Sonderschutzrechte für Glaubensbekenntnisse problematisiert werden müssten, oder man akzeptiert, dass Verfassungsrecht sich nicht allein an naturwissenschaftlichen Kategorien orientiert, sondern Schutzmechanismen für Formen menschlicher Selbst- und Weltdeutung schafft. Wer ersteres fordert, muss konsequent sein und das heißt radikal: Religionsschutz abräumen! Oder zumindest erklären, warum eine subjektive Selbstbeschreibung in einem Fall schützenswert ist und im anderen nicht. Die meisten kritischen Stimmen tun das nicht. Stattdessen betreiben sie eine selektive Empörung, die argumentativ schwierig zu halten ist.

Als radikal-atheistische Interessengemeinschaft sind wir offen für den "biologistischen" Radikalweg, der die Rolle aller subjektiver Anschauungen im Verfassungsrecht hinterfragt.

Das Prinzip der Neutralität

Ein häufig übersehener Punkt in der aktuellen Diskussion ist, dass Artikel 3 GG nicht nur Diskriminierung, sondern auch Bevorzugung verbietet. Wenn "sexuelle Identität" ergänzt wird, entsteht kein Sonderrecht für sogenannte "queere" Menschen, sondern lediglich ein Neutralitätsgebot. Der Staat dürfte dann weder Benachteiligungen noch Privilegierungen zulassen oder fördern. Jene Kritiker, die befürchten, dass die geplante Grundgesetzänderung Sonderrechte oder Zwang zur Ideologie nach sich ziehe, übersehen also, dass der Passus das Gegenteil bewirkt. Er verpflichtet auf gleiche Behandlung – nicht mehr, nicht weniger. Insofern könnte man argumentieren, dass die Ergänzung sogar wünschenswert wäre, weil sie rechtlich sicherstellt, dass niemand aufgrund seiner "Queerness" gegenüber einer heteronormalen Person bevorzugt wird.

Andererseits ist die verfassungsrechtliche Neutralität in der Praxis kein starres Prinzip. Der Gesetzgeber kann sie durch einfaches Recht einschränken, wenn er meint, strukturelle Benachteiligungen ausgleichen zu müssen – etwa durch Quoten oder Förderprogramme. Kritiker befürchten, dass eine Aufnahme der "sexuellen Identität" ähnliche Dynamiken auslösen könnte, also gesetzgeberische Maßnahmen, die (angeblich) "marginalisierte" Gruppen aktiv bevorzugen. Diese Sorge ist aus rechtsstaatlicher Sicht nicht völlig unbegründet. Positive Diskriminierung kann das Neutralitätsgebot tatsächlich unterlaufen.

Die selektive Anwendung dieses Arguments irritiert jedoch. Gerade viele Aktivisten aus radikalfeministischen Initiativen, die nun gegen die Aufnahme der "sexuellen Identität" mobilisieren, befürworten zugleich gesetzliche Frauenquoten – also eine ganz reale Bevorzugung aufgrund des Geschlechts, die Angehörige des männlichen Geschlechts faktisch benachteiligt. Wer Quotenpolitik als legitime Korrektur einer (angeblichen) strukturellen Diskriminierung verteidigt, sollte entweder anerkennen, dass auch andere Gruppen vergleichbare Schutz- oder Fördermaßnahmen beanspruchen könnten, oder aber man lehnt jede Form staatlich legitimierter Ungleichbehandlung ab – ganz gleich, ob sie Frauen, "queere" Menschen, Menschen mit Migrationserfahrung oder sonst wem zugutekommt.

Wenn man diese Logik weiter denkt, wirkt im Grunde genommen die ganze Aufzählung einzelner Merkmale in Artikel 3 aus der Zeit gefallen — entstanden aus dem berechtigten Wunsch, spezifische Diskriminierungen sichtbar zu machen. Heute jedoch zeigt sich, dass jede Ergänzung oder Streichung neue Identitätskonflikte entzündet, weil jede Kategorie zugleich neue Grenzen zieht. Konsequent gedacht wäre der egalitärste Schritt daher nicht, immer neue Gruppen aufzunehmen, sondern die Kategorien ganz zu streichen. Ein einziger Satz würde genügen: "Niemand darf bevorzugt oder benachteiligt werden." Damit wäre das Prinzip der Gleichbehandlung universell und voraussetzungslos formuliert – jenseits von biologischen Parametern wie Geschlecht oder Rasse und auch von subjektiven Kategorien wie Religion oder "sexueller Identität". Das wäre eine radikal liberale (um nicht zu sagen libertäre) und zugleich konsistente Form von Neutralität des Staates gegenüber dem Individuum. Moralisches Feilschen um Zugehörigkeit und politische Grabenkämpfe um Begriffe wären damit obsolet.

Praktisch wäre ein solcher Ansatz zwar kaum durchsetzbar, aber als Gedankenexperiment zeigt er, dass unsere Verfassung vielleicht nicht zu wenig Kategorien enthält, sondern zu viele Erwartungen tragen muss. Denn je neutraler das Recht wird, desto mehr Deutungsarbeit verlagert sich auf Gesellschaft und Gerichte. Vielleicht ist die wahre Herausforderung also nicht, welche Gruppen im Grundgesetz stehen, sondern wie viel symbolische Last wir ihm überhaupt zumuten.

Evolutionsbiologischer Blick auf Gleichheit

Aus einer evolutionsbiologischen Perspektive ist Gleichheit kein Naturzustand, sondern ein kulturelles Ideal. In der natürlichen Umwelt des Menschen war soziale Hierarchie ebenso allgegenwärtig wie Kooperation. Was Individuen evolutionär antreibt, ist nicht absolute Gleichheit, sondern faire Reziprozität – also das intuitive Empfinden, dass Geben und Nehmen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen sollten. Dieses Fairnessprinzip ist tief in unserer Biologie verankert. Schon Primaten zeigen Empörung, wenn Artgenossen für die gleiche Leistung ungleich belohnt werden. Aber sie erwarten zugleich, dass Unterschiede legitim sind, wenn sie durch Anstrengung oder Status begründet erscheinen. Moderne Gleichheitsideale stehen daher in einem latenten Spannungsverhältnis zu unseren evolutionären Dispositionen. Wir wollen zwar einerseits "Gleichheit" (im Sinne einer fairen Gleichbehandlung), wir akzeptieren aber auch Ungleichheit, wenn sie uns gerecht erscheint.

Genau hier berühren sich Biologie und Politik. Wer den Artikel 3 immer weiter um neue Gruppen ergänzt, versucht, moralische Fairness über rechtliche "Gleichheit" herzustellen. Doch biologisch gesehen ist das ein endloser Prozess, weil jede Gruppe, die Anerkennung erfährt, neue Vergleichsmaßstäbe schafft und damit andere Gruppen erzürnt. Das erklärt, warum Gleichheitsdebatten niemals enden. Sie sind Ausdruck eines evolutionär verankerten, aber kulturell unstillbaren Bedürfnisses nach gerechter Reziprozität. Und letztlich sind Menschen nun mal nicht gleich. Eine simple, wenn auch in bestimmten Kreisen kontroverse Erkenntnis.

Fazit

Die Auseinandersetzung um die "sexuelle Identität" im Grundgesetz zeigt exemplarisch, wie stark politische Symbolik und rechtliche Substanz auseinanderfallen können. Während Juristen und Rechtswissenschaftler nüchtern über Normtexte und deren Auslegungsspielräume diskutieren, führen Aktivistengruppen einen Kulturkampf um Bedeutungen. Das Grundgesetz wird dadurch weniger als Rechtsordnung, sondern als moralisches Manifest gelesen und verkommt zum Drehbuch gesellschaftlicher Identitätspolitik. Dabei geraten die eigentlichen juristischen Effekte schnell in den Hintergrund. Denn ob ein Schutzmerkmal in Artikel 3 GG genannt wird oder nicht, verändert die Rechtsprechung meist nur geringfügig. Die eigentliche Macht liegt in der symbolischen Aufladung. In der öffentlichen Wahrnehmung steht eine Aufnahme im Grundgesetz für gesellschaftliche Anerkennung, ihre Ablehnung für Zurückweisung. Diese Vermischung von Recht und Moral erklärt vielleicht, warum die Diskussion so emotional geführt wird und warum viele Kritiker inkonsequent argumentieren.

Donnerstag, 23. Oktober 2025

Aktion "Grundgesetz schützen" verteidigt biologische Realität

Eine aktuelle Initiative mit dem Titel "Grundgesetz schützen" sorgt derzeit für öffentliche Aufmerksamkeit. Die Initiatoren warnen vor der geplanten Aufnahme der Kategorie "sexuelle Identität" in Artikel 3 des Grundgesetzes, da sie befürchten, dass durch diese unpräzise Formulierung Schutzrechte – insbesondere für Frauen und Mädchen – juristisch schwer handhabbar werden könnten.

Die Debatte berührt damit ein zentrales Spannungsfeld zwischen Wissenschaft und Recht: Wie lässt sich biologische Realität im juristischen Kontext abbilden, ohne gesellschaftliche Vielfalt auszublenden und ohne wissenschaftliche Begrifflichkeit zu verwässern?
 

Biologische Begriffe sind präzise – rechtliche müssen es auch sein!

In der Biologie sind Begriffe wie Geschlecht und Sexualität klar definiert. Sie beziehen sich auf reproduktive Funktionen und bilden die Grundlage vieler biowissenschaftlicher Disziplinen. Juristische und umgangssprachliche Begriffe hingegen haben oft eine breitere, gesellschaftliche Bedeutung. Wird hier ungenau gearbeitet, droht eine Vermischung zwischen biologischen und soziokulturellen Kategorien, was in Gesetzestexten zu Mehrdeutigkeiten führen kann. Die Diskussion um die Formulierung von Artikel 3 GG zeigt exemplarisch, wie wichtig eine präzise Begrifflichkeit für rechtliche Klarheit ist. Wer biologische Termini in rechtliche Kontexte überträgt, sollte sich der wissenschaftlichen Definition bewusst bleiben, um Fehlinterpretationen und spätere Konflikte zu vermeiden.

Über "Grundgesetz schützen"

Die Kampagne wurde von der Dialogplattform für Frauenrechte "Was ist eine Frau?" initiiert und richtet sich an Bürger sowie politische Entscheidungsträger. Im Mittelpunkt steht die Forderung, den bewährten Begriff "Geschlecht" im Grundgesetz zu belassen und keine unpräzisen Erweiterungen vorzunehmen. Die Initiatoren argumentieren, dass der Diskriminierungsschutz bereits umfassend geregelt sei und eine zusätzliche, nicht eindeutig definierte Kategorie wie "sexuelle Identität" neue juristische Unschärfen erzeugen könnte. Auf ihrer Projekt-Website grundgesetz-schuetzen.de stellen sie Hintergrundmaterial, Faktenchecks und Analysen zur Verfügung, um die Debatte auf eine sachliche, rechtsstaatlich fundierte Grundlage zu stellen.

"Grundgesetz schützen" benennt verschiedene gesellschaftliche Gruppen, für die geschlechtsbasierter Schutz von besonderer Bedeutung ist: Frauen und Mädchen (weibliche Menschen), "homo- und bisexuelle" (gynophile und ambiphile) Frauen sowie "homo- und bisexuelle" (androphile und ambiphile) Männer. Begründet wird dies damit, dass rechtliche Schutzräume sowie Maßnahmen zur Geschlechterparität auf der Kategorie Geschlecht beruhen. Wird diese durch unklare Begriffe erweitert oder durch die Hintertür ersetzt, könnte der bisherige Schutzmechanismus geschwächt werden.

Was die Kampagne allerdings nicht explizit erwähnt: Geschlechtsbasierter Schutz betrifft ebenfalls Menschen mit Störungen der Geschlechtsentwicklung (DSD) und Personen mit pränatal-neurologisch begründeter Geschlechtsdysphorie (Transgender). Auch bei ihnen liegen biologische Mechanismen zugrunde – sei es auf Ebene der Genetik, der Hormonregulation oder der Gehirnentwicklung. Damit beruhen ihre rechtlichen Belange letztlich ebenfalls auf biologischen Grundlagen. Wenn rechtliche Definitionen ausschließlich auf subjektiver Selbstidentifikation basieren, ohne Bezug zu den zugrundeliegenden biologischen Parametern, droht die Trennschärfe dieser Kategorien ebenfalls verloren zu gehen. Dabei sind es gerade diese Personengruppen, die mit der geplanten Grundgesetzänderung addressiert werden. Für ein funktionierendes Rechtssystem ist jedoch entscheidend, dass es auf objektiv erfassbaren Merkmalen aufbaut, die nachvollziehbar und überprüfbar bleiben.

Zur Uneinheitlichkeit des Begriffs "sexuelle Identität"

Im aktuellen Gesetzesentwurf zur Änderung des Grundgesetzes wird der Begriff wie folgt beschrieben [1]:

"Die sexuelle Identität ist das geschlechtliche Selbstverständnis eines Menschen und schützt auch vor Diskriminierung aufgrund einer geschlechtsbezogenen Erwartung der Heteronormativität. Der Begriff umfasst die emotionale, körperliche und/oder sexuelle Anziehung bezüglich des Geschlechts eines Menschen sowie den Schutz der Sexualität als Selbstverständnis (Identität). Eine Erweiterung um den Begriff der sexuellen Identität erkennt explizit die Geschlechtervielfalt an und stellt zugleich ein Bekenntnis zu einer geschlechterinklusiven Rechtsordnung dar."

Diese Beschreibung zeigt, dass "sexuelle Identität" mehrere Bedeutungsebenen vereint: das "biologische Geschlecht" (sex), das "soziale Geschlecht" (gender) und die "sexuelle Orientierung" (sexuality) – ein bekannter Dreiklang innerhalb der pseudowissenschaftlichen Gender Studies und Queer-Theorie (zur biologischen Begriffsbestimmung siehe Was bedeutet "Gender" aus biologischer Sicht?). 
 
Der enthaltene Begriff "Heteronormativität" ist kein naturwissenschaftlicher Terminus, sondern ein postmoderner Kampfbegriff, der gesellschaftliche Erwartungsmuster anprangert. Biologisch betrachtet ist heteronormales Verhalten jedoch kein ideologisches "Normativ", sondern die Basis sexueller Fortpflanzung. Dass daneben vielfältige erotische Verhaltensweisen existieren, ist Ausdruck natürlicher Variation.

Auch die im Gesetzesentwurf genannten Begriffe "Geschlechtervielfalt" und "geschlechterinklusive Rechtsordnung" lassen Interpretationsspielräume offen. In der Biologie spielt sich Vielfalt innerhalb der Ausprägung der zwei Geschlechter ab (etwa in Morphologie, Hormonprofilen oder Verhaltensvarianten), jedoch nicht auf Ebene der Geschlechterzahl. Hier begeht der Gesetzgeber einen Kategorienfehler, indem Geschlechtsausprägung mit Geschlecht verwechselt werden (siehe Geschlecht ist nicht gleich Geschlechtsausprägung). Juristisch wiederum ist der Schutz dieser Vielfalt bereits durch das bestehende Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts in Artikel 3 GG vollumfänglich gewährleistet.

Unsere Position

Die IG Sexualbiologie beobachtet die öffentliche Diskussion mit Interesse, beteiligt sich jedoch nicht als Organisation an politischen Kampagnen. Unser Selbstverständnis liegt in der Wissenschaftskommunikation – also in der Vermittlung biologischer Grundlagen von Geschlecht, Sexualität und Fortpflanzung. Mehrere unserer Mitglieder unterstützen allerdings privat die Kampagne "Grundgesetz schützen".

Mehr zum Thema


Quellen

[1] Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 – Einfügung des Merkmals sexuelle Identität). Deutscher Bundestag. 07.10.2025. Drucksache 21/2027. (pdf)

Sonntag, 19. Oktober 2025

Neue Leitlinie zur Behandlung von Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie

Eine im März 2025 überarbeitete S2k-Leitlinie zur Behandlung von Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie [1] sorgt in Fachkreisen für hitzige Diskussionen. Das Wissenschaftsmagazin Spektrum.de berichtete jüngst über die Kontroversen zwischen den Autoren der Leitlinie und einer Gruppe von Kinder- und Jugendpsychiatern, die die Empfehlungen als zu weitreichend kritisieren: Wie sollte Geschlechtsdysphorie bei Minderjährigen behandelt werden?

Während die Leitlinie Betroffenen laut Befürwortern ein hohes Maß an Selbstbestimmung zuschreibe, mahnen Kritiker zur Zurückhaltung. Sie verweisen auf die dünne Evidenzlage und die Gefahr, Minderjährige mit irreversiblen Eingriffen zu konfrontieren, bevor ihre Geschlechtsidentität stabil ist.

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Laut Spektrum-Artikel sollen die Wünsche der Jugendlichen bei der leitlinienkonformen Behandlung stärker berücksichtigt werden. Sogenannte "Pubertätsblocker" und gegengeschlechtliche Hormone seien nur im Einzelfall nach sorgfältiger Risiko-Nutzen-Abwägung und psychiatrisch-psychotherapeutischer Abklärung vorgesehen. Die Leitlinienautoren betonen, dass der medizinische Prozess in der Praxis langwierig sei und keine vorschnellen Entscheidungen getroffen würden. Die Leitlinie orientiere sich an den internationalen "Standards of Care" der World Professional Association for Transgender Health (WPATH). Doch Kritiker bemängeln, dass trotz dieser Einschränkungen viele Empfehlungen über den Stand solider wissenschaftlicher Evidenz hinausgingen. Sie betonen, dass die medizinischen Standards affirmativ geprägt und zu wenig empirisch gesichert seien, da randomisierte kontrollierte Studien zu Wirksamkeit und Langzeitfolgen bis heute fehlen. 

Ein zentraler Punkt der Kritik: Es gibt bislang keine objektiven Marker, die anzeigen könnten, bei wem die Geschlechtsinkongruenz dauerhaft bestehen bleibt und bei wem sie sich mit der Zeit legt. Die Leitlinie räumt dies zwar durchaus ein, betont aber die Bedeutung klinischer Erfahrung. Aus Sicht der Kritiker ist das unbefriedigend. Ohne belastbare Prädiktoren bleibt das Risiko hoch, dass vorübergehende Identitätskonflikte als stabile Transidentität fehlgedeutet werden – mit potenziell lebenslangen Konsequenzen.

Mehrere im Spektrum-Artikel zitierte Fachleute betonen, dass sich eine bleibende Geschlechtsinkongruenz meist erst nach Beginn der Pubertät zeigt. Diese Entwicklungsphase hat also eine Filterfunktion. Hormonell verursachte körperliche und psychische Reifungsprozesse tragen dazu bei, dass sich Identität festigt oder verändert. Ein zu frühes Unterbrechen dieser Prozesse durch die im Spektrum-Artikel eher unkritisch präsentierten GnRH-Agonisten ("Pubertätsblocker") kann daher nicht nur biologische Reifung verhindern, sondern auch psychische Entwicklung beeinflussen und dadurch Transidentitäten persistieren, die bei normal durchlaufener Pubertät womöglich ohne affirmative Behandlung keinen Bestand gehabt hätten.

Die wissenschaftliche Evidenz deutet stark darauf hin, dass sich präpubertäre Geschlechtsinkongruenz bei einem signifikanten Teil der Jugendlichen im Laufe der Pubertät wieder legt – ein Phänomen, das als Desistenz bezeichnet wird. Der Hinweis von Kritikern, dass ein erheblicher Anteil der Kinder und Jugendlichen, die in der frühen Adoleszenz mit Geschlechtsdysphorie vorstellig werden, nach Abschluss der Pubertät kein dauerhaftes Trans-Erleben zeigt, ist daher nicht von der Hand zu weisen. 

Anstelle frühzeitiger affirmativer Eingriffe ließen sich durchaus alternative Wege diskutieren. Biologisch orientierte Behandlungsansätze, die im Einklang mit dem tatsächlichen Geschlecht stehen – etwa die Stabilisierung der geschlechtstypischen Hormone bei Jugendlichen – werden in dem Spektrum-Artikel mehr oder weniger unterschwellig mit einem Vergleich zur pseudowissenschaftlichen Behandlung/"Heilung" von Homoerotikern als "Konversionstherapien" präsentiert. Dabei läge es medizinethisch näher, beispielsweise einen Jungen, der sich nicht wie ein Junge fühlt, mit Testosteron zu behandeln, statt mit "Pubertätsblockern" und Östrogen wortwörtliche eine Konversion durchzuführen. Ob dies letzten Endes tatsächlich die richtige Therapieform ist, kann zum aktuellen Zeitpunkt zwar nicht gesagt werden, da es keine Vergleichsstudien gibt, die deren Langzeitwirkung gegenüber einer transaffirmativen Behandlung zeigen. Dennoch sollten solche Ansätze nicht vorschnell aus dem Diskurs verbannt werden.

Wie Spektrum ferner berichtet, ist die Zahl der minderjährigen Patienten mit diagnostizierter Geschlechtsdysphorie in Deutschland in den vergangenen Jahren stark gestiegen: laut Daten der AOK von 219 im Jahr 2014 auf rund 1.630 im Jahr 2023 – ein Anstieg um den Faktor sieben. Auffällig ist, dass vor allem Jugendliche, bei denen bei Geburt das weibliche Geschlecht festgestellt wurde, überproportional betroffen sind. Ein deutlicher Hinweis auf die ROGD-Hypothese. Experten betonen zwar, dass dieser Zuwachs nicht zwangsläufig einen realen Anstieg der Transidentität widerspiegelt, sondern vielmehr verbesserte Versorgung, höhere gesellschaftliche Akzeptanz und stärkere Sensibilisierung zu mehr Diagnosestellungen geführt haben könnten. Einen Einfluss darauf wird andererseits aber auch das Konversionstherapieverbot haben, welches Ärzte unabhängig aller Leitlinien dazu zwingt, Patienten in ihrer selbstempfundenen geschlechtlichen Identität zu bestärken. Das veränderte Patientenprofil unterstreicht daher die Notwendigkeit einer sorgfältigen, individuell abgestimmten Diagnostik, um stabile von vorübergehenden Identitätskonflikten zu unterscheiden.

Die Spektrum-Autorin fasst schließlich zusammen: Beide Seiten wollen das Beste für betroffene Jugendliche, doch sie gewichten Selbstbestimmung und wissenschaftliche Vorsicht unterschiedlich.

Fazit

Die neue Leitlinie zeigt, dass Medizin und Gesellschaft darum ringen, jungen Menschen gerecht zu werden, die unter Geschlechtsdysphorie leiden. Doch wo wissenschaftliche Unsicherheit herrscht, sollte Vorsicht Vorrang haben. Wir plädieren für eine entwicklungsbiologisch fundierte Begleitung, die weder affirmativ noch subversiv, sondern ergebnisoffen und differenzierend ist, sowie die natürliche Reifung berücksichtigt. Auf irreversible medizinische Eingriffe vor Abschluss der Pubertät sollte generell verzichtet werden. Stattdessen bedarf es Forschung zu alternativen, biologisch fundierten Behandlungsoptionen, die den Leidensdruck lindern, ohne die natürliche Entwicklung zu unterdrücken. Denn die Pubertät ist keine zu vermeidende Krise, sondern ein notwendiger biologischer Prüfstein der Identitätsbildung. Affirmative Behandlung von volljährigen Patienten nach informierter Einwilligung ist damit nicht ausgeschlossen. Doch bevor irreversibel mit hormonellen oder chirurgischen Maßnahmen in das Leben junger Menschen eingegriffen wird, braucht es solide Daten und den Mut, das Ungewisse auszuhalten. 

Quellen

[1] AWMF Online: S2k-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz und Geschlechtsdysphorie im Kindes- und Jugendalter – Diagnostik und Behandlung, Version 6.2 (Stand: 30.09.2024, Langfassung nach redaktionellen Änderungen: 10.03.2025)

Montag, 13. Oktober 2025

Transfrau erhält wegen erotischer Handlung mit Hetero-Mann Haftstrafe

In Großbritannien hat ein Gericht im nordenglischen Durham eine 21-jährige Transfrau (also eine männliche Person mit Transidentität) zu 21 Monaten Haft verurteilt: Transgender woman jailed for deception sex assaultDie angeklagte Person hatte erotische Kontakte mit einem gynophilen (heteronormal veranlagten) Mann, ohne diesen zuvor über ihre Transidentität zu informieren. Erst nach mehreren Begegnungen offenbarte sie, dass sie biologisch männlich ist. Das Gericht wertete die Nichtoffenlegung dieser Information als "Täuschung" und damit als "sexuellen Missbrauch".

Beide Personen hatten sich im Alter von 18 Jahren über soziale Medien kennengelernt. Nach Darstellung der Anklage hatte die angeklagte Person dem Partner erklärt, sie habe ihre Menstruation, um körperliche Berührungen im Genitalbereich zu vermeiden. Nach dem Outing des biologischen Geschlechts fühlte sich der Hetero-Mann getäuscht und erstattete Anzeige.

Der Richter übernahm die Argumentation der Staatsanwaltschaft, wonach die Täuschung über das biologische Geschlecht die Grundlage der Einwilligung beeinflusst habe. Er bezeichnete die angeklagte Person als "Gefahr für die Öffentlichkeit" und stellte fest, dass sie "heterosexuelle Männer" nur durch "Täuschung" zu erotischen Handlungen bewegen könne. Das Gericht ordnete eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten und eine zehnjährige Registrierung als Sexualstraftäter an. Die Strafe soll in einem Männergefängnis vollstreckt werden.

Aus sexualbiologischer Sicht berührt der Fall mehrere fundamentale Ebenen menschlicher Sexualität:
  • Geschlecht (Sexus): basiert auf der potenziellen Produktion eines bestimmten Gametentypus. Im hier behandelten Fall ist die angeklagte Person männlich.
  • Geschlechtsidentität: beschreibt das subjektive Zugehörigkeitsempfinden zu einem Geschlecht. Im hier behandelten Fall identifiziert sich die angeklagte Person psychologisch und sozial als "Frau".
  • Erotische Veranlagung: bezieht sich auf die angeborene Präferenz für bestimmte Geschlechter. Im hier behandelten Fall ist der geschädigte Partner gynophil, also von weiblichen Personen angezogen.

Das Spannungsfeld entsteht, wenn die Geschlechtsidentität und das Geschlecht auseinanderfallen, die erotische Veranlagung des Gegenübers aber auf biologischen Merkmalen basiert. Werden diese Grundlagen durch bewusste Irreführung untergraben, liegt eine Täuschung über eine wesentliche Voraussetzung der erotischen Handlung vor. Die Entscheidung des Gerichts folgt damit einer realweltlich nachvollziehbaren Logik. Das Recht orientiert sich an objektiven materiellen Realitäten – nicht an individuellen Selbstzuschreibungen. Das Urteil aus Durham kann daher als Rückbesinnung auf die reale, körperlich fundierte Zweigeschlechtlichkeit verstanden werden. Persönliche Empfindungen oder Selbstdefinitionen mögen für das individuelle Selbstverständnis bedeutsam sein, sie können jedoch keine Grundlage für eine Umdeutung biologischer Tatsachen und der darauf basierenden Rechtsordnung bilden.

Für Menschen mit Transidentität ergibt sich durchaus ein Dilemma. Ein frühes Offenlegen kann zu sozialer Zurückweisung oder sogar Gewalt führen, ein spätes zu rechtlichen Konsequenzen. Dennoch gilt: Spätestens vor der Aufnahme intimer Kontakte sollte Offenheit über das eigene Geschlecht hergestellt werden – als Voraussetzung für eine informierte Einwilligung beider Seiten. Wer sich emotional oder sozial noch nicht sicher fühlt, hat jederzeit das Recht, die eigene Identität zu schützen; sollte in diesem Fall aber von erotischen Handlungen absehen. Ebenso ist es ratsam, dass auch die Partnerseite aufmerksam bleibt. So wie Transgender ein berechtigtes Interesse an persönlicher Sicherheit haben, haben auch gynophile oder androphile Partner ein Recht darauf, über grundlegende biologische Gegebenheiten informiert zu sein, bevor sie Intimitäten zustimmen. Wird dies wissentlich von anderen Personen hintergangen, kann dies als körperlicher Missbrauch gewertet werden.

Mehr zum Thema


Donnerstag, 9. Oktober 2025

Big Brother: Wenn Reality-TV und Wirklichkeitsverleugnung kollidieren

Reality-TV ist in gewisser Weise ein gesellschaftliches Mikroskop. Unter kontrollierten Bedingungen, beobachtet von Kameras, treten alltägliche Interaktionen, Konflikte und Missverständnisse in komprimierter Form zutage. In der jüngsten Staffel von Big Brother UK zeigte sich exemplarisch, wie stark sich kulturelle Normen und biologische Tatsachen inzwischen voneinander entfernt haben und wie empfindlich das gesellschaftliche Klima geworden ist, sobald beide in Konflikt geraten.

Was war geschehen?

In einer aktuellen Folge der Sendung kam es während eines Spiels zu einem Zwischenfall zwischen zwei Teilnehmerinnen: Caroline, eine der Mitbewohnerinnen, richtete im Scherz eine Frage an Zelah, einen weiblichen, transmaskulinen Fitnesscoach. Beim Spiel "Spin the Bottle" fragte sie: "If you had a cock, what would you do with it?" ("Wenn du einen Penis hättest, was würdest du damit tun?"). Die Szene löste im Raum sichtbares Unbehagen aus. Zelah antwortete nach kurzem Zögern mit einem Augenzwinkern: "Helicopter." ("Hubschrauber.").

Im weiteren Spielverlauf fragte Caroline eine andere Mitbewohnerin, Nancy, wen sie auf einer einsamen Insel wählen würde, um sich fortzupflanzen. Als Nancy Zelah nannte, entgegnete Caroline spontan: "She’s a girl!" ("Sie ist ein Mädchen!"). Sie hielt sich zwar sofort die Hand vor den Mund und korrigierte sich: "No, you’re not." ("Nein, bist du nicht."), doch der Moment war bereits passiert. Als Caroline schließlich noch halb ungläubig sagte: "Well, you haven’t got a willy, have you?" ("Na ja, du hast doch keinen Schniedel, oder?"), kippte die Stimmung komplett. Einige Mitspieler hielten sich beschämt die Hände vors Gesicht (übrigens ein typischer Coping-Mechanismus von Personen mit kognitiver Dissonanz) und das Spiel wurde beendet, während sich Zelah in den "Diary Room" zurückzog.

Der sogenannte "Big Brother" selbst – die übergeordnete Stimme und überwachende Instanz der Sendung – konfrontierte Caroline später mit ihren Äußerungen. Ihr wurde vorgelesen, was sie gesagt hatte, und sie erhielt eine formelle Verwarnung. Sie reagierte sichtlich erschüttert: "I’m so sorry. I absolutely agree. I thought I was being funny and I wasn’t being funny." ("Es tut mir so leid. Ich stimme völlig zu. Ich dachte, ich wäre witzig, aber das war ich nicht.").


Am nächsten Tag kam es zu einem versöhnlichen Gespräch zwischen Caroline und Zelah, bei dem sich Caroline selbstkritisch zeigte. Zelah antwortete gelassen: "You’re allowed to get things wrong... because you are." ("Du darfst falschliegen… weil du’s nun mal tust.")

Sexualbiologische Einordnung

Aus einer strikt naturalistischen Perspektive, die auf den Grundlagen der Sexualbiologie beruht, ist die Zuordnung der Geschlechter keine Frage subjektiver Wahrnehmung, sondern objektiv durch die Fortpflanzungsfunktionen definiert. Bei anisogamen Arten – also solchen, bei denen es zwei unterschiedliche Sexualzelltypen gibt – werden Individuen, die große, unbewegliche Eizellen produzieren, als weiblich klassifiziert. Individuen, die kleine, bewegliche Spermien erzeugen, sind männlich. Diese biologische Definition ist universal und unabhängig von kulturellen oder individuellen Identifikationen.

In diesem Lichte ist die hypothetische Frage des Spiels, wer auf einer einsamen Insel Nachkommen zeugen könnte, eine simple biologische Feststellung: Zwei menschliche Eizellproduzenten, auch bekannt als weibliche Menschen, auch bekannt als Frauen, können keine Nachkommen hervorbringen. Das ist keine Wertung, sondern eine schlichte Konsequenz der menschlichen Sexualbiologie.

Die Situation, die in der Sendung als "beleidigend" bewertet wurde, berührt einen Bereich, in dem subjektive Wahrnehmung und objektive Realität offenbar unauflöslich miteinander in Spannung stehen. Dass ein bloßer Hinweis auf biologische Fakten heute als übergriffig gilt, verweist auf eine zunehmende Entkopplung gesellschaftlicher Diskurse von naturwissenschaftlichen Tatsachen.

In diesem Zusammenhang verdient auch Carolines spontane Reaktion auf den Begriff "pansexuell" Beachtung: "You like pans?" – "Du magst Pfannen?" (oder vielleicht doch biologisch: "Du magst Schimpansen?"). Der unfreiwillige Wortwitz offenbart die Absurdität einer inflationären Begriffsschöpfung, die alte Phänomene mit neuen Etiketten versieht. "Pansexualität" beschreibt im Kern nichts anderes als eine unspezifische Form der geschlechtlichen Zuneigung, also das, was in der Sexualbiologie als Ambiphilie bezeichnet würde und im allgemeinen Sprachgebrauch als "Bisexualität" bekannt ist. In der heutigen Identitätspolitik wird daraus jedoch ein vermeintlich neuartiges Merkmal konstruiert, um die Binarität der Geschlechter zu dekonstruieren.

Big Brother is watching you!

Die bittere Ironie liegt jedoch tiefer: Big Brother, die Sendung, die ihren Namen bewusst aus George Orwells dystopischem Roman 1984 entlehnt, inszeniert nun selbst die Mechanismen, vor denen Orwell einst warnte. Die übergeordnete Instanz – hier die Stimme des "Big Brother" – ruft eine erwachsene Frau zum Verhör, liest ihr ein Transkript ihrer eigenen Worte vor, klassifiziert sie als "inakzeptabel" und droht mit unangenehmen Konsequenzen. Anstatt als Stimme der Vernunft die Wahrheit zu verteidigen, bekennt sich die Betroffene schuldbewusst, die Szene endet mit der moralischen Läuterung vor laufender Kamera.

Damit wird aus dem literarischen Gleichnis bittere Realität. Der fiktionale Überwacher, der einst Symbol für totale Kontrolle war, tritt heute in der Unterhaltungsindustrie als Hüter sprachlicher Korrektheit auf. "Big Brother" erzieht seine Bürger durch Angst vor politischer Abweichung und durch emotionale Schulderzeugung bei sprachlicher Unkorrektheit. Das Orwell’sche Gedankendelikt hat in die Realität Einzug gehalten. Noch bemerkenswerter ist, dass die Szene als Spiegel einer breiteren gesellschaftlichen Tendenz funktioniert. In vielen europäischen Ländern werden derzeit Gesetze und Initiativen diskutiert, die digitale Kommunikation systematisch überwachen sollen (Stichwort Chatkontrolle). Parallel dazu wächst der Druck, Aussagen zu unterlassen, die als "verletzend" oder "nicht inklusiv" empfunden werden könnten, selbst wenn sie biologisch zutreffend sind. Die Grenze zwischen realer Überwachung und symbolischer Sprachdisziplinierung verschwimmt zusehends.

So wird Big Brother zu einer Parodie seiner selbst – einer Sendung, die inzwischen jene Strukturen reproduziert, die sie einst karikierte. Dass ausgerechnet in diesem Rahmen eine Diskussion über biologische Tatsachen zum Skandal gerät, ist ein Treppenwitz der Gegenwart. Andererseits ist womöglich diese bittersüße Ironie von den Produzenten genau so gewollt, um die namensgebenden 1984-Vibes der Sendung zu verstärken. In diesem Fall wäre es ein brillanter Kunstgriff, der die aktuelle Staffel zu einem auszeichnungswürdigen Stück Gesellschaftskritik aufwerten würde.

Fazit

Der Vorfall im britischen Big Brother-Haus mag auf den ersten Blick banal wirken. Eine unbedachte Bemerkung in einem Spiel gefolgt von einer Entschuldigung. Doch in seiner Symbolik offenbart er den Riss, der sich durch unsere Kultur zieht: Zwischen einer Biologie, die auf objektiven, reproduktionsbezogenen Kriterien beruht, und Strömungen, die versuchen, diese Kriterien zugunsten subjektiver Empfindungen zu relativieren. 

Die evolutionäre Selbstverständlichkeit, dass Geschlecht eine funktionale, nicht interpretative Kategorie ist, wird im kulturellen Diskurs zunehmend zur Frage eines Glaubens. Dass ausgerechnet "Big Brother" diesen Konflikt auf offener Bühne vorführt, ist bezeichnend. Wir leben in einer Zeit, in der das Benennen biologischer Tatsachen riskanter sein kann als ihr Verdrängen.

Sonntag, 5. Oktober 2025

Wie "Gender Identity" Europa verändert

Vor kurzem hat das Athena Forum – eine europäische Initiative, die sich für den Schutz und die Förderung geschlechtsspezifischer Rechte einsetzt und sich gegen deren falsche Darstellung im öffentlichen Diskurs einsetzt – mit Unterstützung von Sex Matters einen Bericht mit dem Titel "Beneath the Surface – How Gender Identity is reshaping Europe" veröffentlicht. Darin wird dokumentiert, wie sich in den letzten anderthalb Jahrzehnten ein tiefgreifender politisch-institutioneller Wandel vollzogen hat, in dessen Rahmen der biologisch definierte Begriff "Geschlecht" mehr und mehr durch eine subjektive "Gender Identity" ersetzt wird – mit weitreichenden Folgen.

Kernaussagen des Berichts

Der Bericht macht deutlich, dass grundlegende Prinzipien der Rechtsklarheit zunehmend erodieren. Schutzrechte, die ursprünglich klar auf dem sogenannten "biologischen" Geschlecht von Frauen und Mädchen basierten, verlieren ihre Bestimmtheit, sobald "sex" (Sexus) durch "gender identity" ersetzt wird. Was einst der Absicherung von Frauenräumen sowie der Parität der Geschlechter diente, wird unscharf, wenn subjektive Empfindungen an die Stelle biologischer Tatsachen treten.

Ein Schwerpunkt des Berichts liegt auch auf dem wachsenden Einfluss gut vernetzter Lobbyorganisationen. Insbesondere transaffirmative NGOs haben in den letzten Jahren erhebliche institutionelle Macht aufgebaut. Sie treten als Berater in EU- und Europaratsgremien auf, steuern Programme und erhalten zugleich beträchtliche finanzielle Förderung. So können sie ihre Agenda tief in politische Prozesse einbetten und langfristig das Verständnis von Geschlecht verändern. Besorgniserregend ist zudem, dass diese Verschiebungen oft nicht über offene Gesetzgebungsprozesse, sondern über sogenannte Soft-Law-Instrumente erfolgen. Leitlinien, Strategiepapiere und Empfehlungen werden eingesetzt, um still und leise neue Konzepte in die Institutionen einzuschreiben. Auf diese Weise entsteht ein schleichender Umbau der Gesellschaft, ohne dass breite öffentliche Diskussionen stattfinden.

Die Folgen dieses Prozesses sind gravierend. Frauenrechte und auch die Anliegen von Lesben und Schwulen werden geschwächt, weil ihre rechtliche Grundlage zunehmend verwischt. Gleichzeitig leidet die wissenschaftliche Klarheit, wenn biologische Kategorien durch Identitätsgefühle ersetzt werden. Auch demokratische Diskussionsräume schrumpfen, da Kritik an Gender-Identity-Konzepten oft vorschnell als Hass oder Diskriminierung abgewertet wird. Damit droht eine Gesellschaft, in der objektive Fakten durch subjektive Wahrnehmungen verdrängt werden.

Der Bericht bietet eine detaillierte Übersicht über die politischen Mechanismen, mit denen biologische Realität zunehmend verdrängt wird. Er macht sichtbar, wie still und leise Begriffe verschoben, Gesetze uminterpretiert und Schutzrechte aufgeweicht werden. Für alle, die sich für wissenschaftliche Aufklärung und den Erhalt der Zweigeschlechtlichkeit einsetzen, ist dieses Dokument daher von großem Wert.

Was das für die Sexualbiologie bedeutet

Im Bericht stellen sich zahlreiche Autoren und Mitwirkende aus Politik, Menschenrechtsarbeit und Pädagogik vor. Zwar finden sich mit Marianne Driessen (Hintergrund: Biologie/Sprachwissenschaften) und Elfriede Rometsch (Hintergrund: Ökologie und Technologie) einzelne naturwissenschaftliche Expertisen, doch insgesamt ist der Bericht deutlich stärker politik- und gesellschaftswissenschaftlich geprägt als biowissenschaftlich. Obwohl der Bericht "Beneath the Surface" inhaltlich fundiert und politisch wie gesellschaftlich bedeutsam ist, macht er keine detaillierten biologischen Aussagen. Gerade deshalb sehen wir als Interessenvereinigung von Biowissenschaftlern unsere Rolle darin, diese Leerstelle zu füllen.

Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist Geschlecht eindeutig: Zweigeschlechtlichkeit basiert auf Anisogamie, dem fundamentalen Unterschied zwischen kleinen, beweglichen Spermien und großen, unbeweglichen Eizellen. Männer und Frauen organisieren ihre Körper physiologisch und anatomisch different um ihre jeweilige Fortpflanzungsfunktion herum – ein Phänomen, das als Sexualdimorphismus bezeichnet wird. So zeigen sich Unterschiede in Muskelmasse, Fettverteilung und Hormonprofilen sowie damit verbunden auch in der neurologischen Entwicklung und dem Verhalten. Männer weisen im Durchschnitt höhere Testosteronwerte und größere körperliche Kraft auf, während Frauen zyklusbedingte hormonelle Schwankungen, eine höhere Lebenserwartung und die Fähigkeit zur Schwangerschaft und Geburt haben.

Diese biologisch verankerten Unterschiede bilden die Grundlage für Regelungen im Bereich Geschlechtergerechtigkeit und für geschlechtsspezifische Schutzräume. In sportlichen oder körperlich intensiven Kontexten markieren Leistungsunterschiede notwendige Grenzen. Schutzräume für Frauen entstehen aus dem Bedürfnis, auf spezifische biologische Vulnerabilitäten Rücksicht zu nehmen – sei es im Hinblick auf physische Sicherheit oder reproduktive Gesundheit. Geschlechtsspezifische Schutzräume, die sich an real vorhandenen anatomischen und physiologischen Merkmalen orientieren, sind außerdem nicht nur für heteronormale Frauen von Bedeutung. Auch lesbische Frauen und schwule Männer profitieren von Bereichen, die auf ihre körperliche Sicherheit und Gesundheit ausgelegt sind.

Die binäre gesellschaftliche Ordnung spiegelt den Sexualdimorphismus wider und dient nicht der Abwertung subjektiver Geschlechtsidentitäten, sondern der Berücksichtigung realer Unterschiede. Wenn Institutionen "Geschlecht" durch ein inneres "Identitätsgefühl" ersetzen, wird diese Realität verschleiert.

Fazit

Auch wenn "Beneath the Surface" in seiner Argumentation nicht immer den Anspruch strenger wissenschaftlicher Fundierung erfüllt und stärker politisch-strategisch geprägt ist, halten wir ihn für einen wichtigen Beitrag. Er macht sichtbar, wie tiefgreifend die Verschiebung des Geschlechtsbegriffes bereits in den europäischen Institutionen verankert ist und welche Folgen dies für Frauenrechte, Meinungsfreiheit und gesellschaftliche Klarheit hat. Der Bericht ist ein Weckruf, der zeigt, wie weit der Verlust biologischer Klarheit in Politik und Gesellschaft bereits vorangeschritten ist. Für eine sachliche und evidenzbasierte Diskussion über Geschlecht brauchen wir genau solche Analysen – und den Mut, sie offen anzusprechen.

Wir unterstützen die Stoßrichtung des Berichts daher ausdrücklich.

Freitag, 3. Oktober 2025

Systemischer Sexismus in der Wissenschaft?

Die Benachteiligung von Personen aufgrund ihres Geschlechts ist kein neues Phänomen in der Wissenschaft, doch die Diskussion darüber hat in den letzten Jahren an Dringlichkeit gewonnen. Eine kürzlich in BioScience veröffentlichter Meinungsbeitrag von Olivia del Giorgio, Gabriela Fontanarrosa, Silvia Lomáscolo und María Piquer-Rodríguez (2025) beleuchtet das Thema aus der Sicht junger Forscherinnen, die am Beginn ihrer akademischen Laufbahn stehen [1]. Sie berichten von strukturellen Benachteiligungen und subtilen wie auch offensichtlichen Formen der Diskriminierung, die sich in fast allen Phasen der Karriere bemerkbar machen. Diese Erfahrungen sind nicht nur individuelle Belastungen, sondern Ausdruck systemischer Mechanismen, die den Zugang zu akademischem Erfolg erschweren.

Hürden und Folgen

Die Autorinnen beschreiben verschiedene wiederkehrende Muster, die sie und viele andere Kolleginnen in der frühen Karrierephase erleben. Dazu gehören:
  • Intellektuelle Unsicherheit: Viele Forscherinnen werden regelmäßig in Gesprächen von männlichen Kollegen bevormundet, unterbrochen oder unterschätzt. Selbst wenn dieses "Mansplaining" vermeintlich gut gemeint ist, führe es zu einem Verlust an intellektuellem Selbstvertrauen und zu dem Phänomen der "Impostorisierung" – einer systematisch erzeugten Selbstabwertung, die über das klassische Impostor-Syndrom hinausgeht.
  • Exklusion vom "Boys’ Club": Netzwerke, in denen Unterstützung, Ideen und Publikationsmöglichkeiten entstehen, sind oft männlich dominiert. Frauen werden von informellen Gesprächen oder Kooperationen ausgeschlossen, was ihre Sichtbarkeit und Karrierechancen schmälert.
  • Besondere Belastungen im Feld: Feldforschung ist für viele Disziplinen zentral. Für Wissenschaftlerinnen bedeutet sie jedoch ein erhöhtes Sicherheitsrisiko – von Belästigung bis hin zu sexualisierter Gewalt. Hinzu kommt, dass sie ihre Sicherheitsvorkehrungen häufig gegenüber männlichen Kollegen rechtfertigen müssen, was zusätzlichen Druck erzeugt.
  • Tradierte Rollen und Care-Arbeit: Trotz Fortschritten tragen Frauen in der Wissenschaft weiterhin überdurchschnittlich viel Verantwortung für Haushalt und Familie. Diese "mentale Last" führt zu ständigen Zielkonflikten zwischen Forschung und Privatleben sowie zwischen Karriereambitionen und gesellschaftlichen Rollenerwartungen.
Die Folgen dieser Hürden sind laut den Autorinnen gravierend. Statt kreativer Entfaltung erleben viele junge Akademikerinnen ständige Überlastung, Unsicherheit und das Gefühl, doppelt so viel leisten zu müssen wie ihre männlichen Kollegen. Dieses Ungleichgewicht trage zum kontinuierlichen Verlust weiblicher Fachkräfte auf dem Weg zu höheren akademischen Positionen bei.

Lösungsansätze

Die Autorinnen machen deutlich, dass individuelle Resilienz nicht ausreicht, um diese systemischen Probleme zu überwinden. Sie fordern institutionelle und kulturelle Veränderungen auf drei Ebenen:
  • Repräsentation und faire Verfahren: Frauen müssen stärker in Führungspositionen gelangen. Dazu braucht es transparente Auswahlprozesse, die frei von impliziten Bias sind. Maßnahmen wie anonymisierte Peer-Reviews, genderbalancierte Kommissionen und Quotenregelungen können helfen.
  • Strukturelle Unterstützung: Akademische Karrieren müssen so gestaltet sein, dass sie nicht automatisch Männer bevorzugen. Dazu gehören gleich lange und bezahlte Elternzeiten für beide Geschlechter, flexible Arbeitsmodelle, institutionalisierte Kinderbetreuung sowie die Anerkennung von bislang "unsichtbarer" Arbeit wie Mentoring und Servicefunktionen.
  • Kultureller Wandel: Antidiskriminierungsrichtlinien dürfen nicht nur auf dem Papier stehen. Sie brauchen klare Sanktionsmechanismen und eine konsequente Umsetzung. Ebenso wichtig ist die alltägliche Praxis: echte Verbündete im Kollegenkreis, die zuhören, unterstützen und Machtmissbrauch nicht tolerieren.


Diskussion

Die von den Autorinnen skizzierten Maßnahmen zeigen, wie groß der Wunsch nach Veränderung in der akademischen Welt ist. Allerdings bleiben ihre Vorschläge nicht frei von Problemen. Manche Forderungen – etwa Quotenregelungen – stehen in einem Spannungsverhältnis zu Grundsätzen von Leistungsgerechtigkeit und individueller Freiheit. Wer Stellen oder Fördermittel nach Geschlecht verteilt, benachteiligt zwangsläufig andere Bewerber aufgrund ihres Geschlechts, selbst wenn diese im Einzelfall besser qualifiziert sind. Vermeintlichen Sexismus mit umgekehrtem Sexismus zu bekämpfen, erscheint widersprüchlich.

Darüber hinaus ist fraglich, ob strukturelle Ungleichheiten allein auf Diskriminierung zurückzuführen sind. Etliche wissenschaftliche Studien zeigen, dass biologische und psychologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowohl in der Berufswahl als auch im individuellen Durchsetzungsvermögen eine Rolle spielen. Statistisch gesehen streben Männer aufgrund ihrer technisch/objektbezogenen Interessen häufiger nach Führungspositionen oder MINT-Karrieren, während viele Frauen aufgrund ihrer "menschenbezogenen/sozialen" Interessen stärker Wert auf Familie und soziale Sicherheit legen. Diese Präferenzen können nicht einfach durch kulturelle Interventionen "wegprogrammiert" werden. Eine faire Wissenschaftskultur sollte diese Unterschiede respektieren, anstatt sie vollständig nivellieren zu wollen.

Ein radikaler kultureller Wandel, der traditionelle Lebensentwürfe abwertet und alle Unterschiede als "konstruierte" Gesellschaftsphänomene betrachtet, birgt Risiken. Er kann Menschen bevormunden und dazu führen, dass individuelle Lebensentscheidungen weniger respektiert werden. Für eine nachhaltige Gleichberechtigung wäre es daher entscheidend, sowohl die realen Unterschiede zwischen Männern und Frauen anzuerkennen als auch sicherzustellen, dass individuelle Talente unabhängig vom Geschlecht die bestmöglichen Chancen erhalten.

Fazit

Sexismus in der Wissenschaft ist aus Sicht vieler junger Forscherinnen nach wie vor ein relevantes Thema. Ihre Erfahrungen verdeutlichen, wie sich bestimmte Strukturen und Verhaltensweisen belastend auf Karrierewege auswirken können. Zugleich muss jedoch bedacht werden, dass einige vorgeschlagene Lösungen selbst neue Ungleichheiten schaffen können und nicht unbedingt dem Ideal der Leistungsgerechtigkeit entsprechen.

Der Weg nach vorn liegt vermutlich in einer Balance: Diskriminierende Strukturen müssen abgebaut werden, zugleich sollten individuelle Leistungen und persönliche Entscheidungen unabhängig vom Geschlecht geachtet und gefördert werden. Nur so entsteht eine akademische Welt, die Vielfalt zulässt, Exzellenz belohnt und die Selbstbestimmung aller Beteiligten wahrt.

Quellen

[1] Olivia del Giorgio, Gabriela Fontanarrosa, Silvia Lomáscolo, María Piquer-Rodríguez, Systemic sexism in academia: an early-career viewpoint, BioScience, Volume 75, Issue 8, August 2025, Pages 612–614, https://doi.org/10.1093/biosci/biaf076

Mittwoch, 1. Oktober 2025

Menstruationszyklen, Mondphasen und die Schatten der Moderne

Seit Jahrhunderten wird spekuliert, ob der weibliche Zyklus mit den Mondphasen im Einklang steht. Doch ist das mehr als ein romantischer Mythos? Ein Forschungsteam um die Würzburger Chronobiologin Charlotte Helfrich-Förster hat diese Frage jetzt mit beispielloser Datenfülle untersucht [1]: Eine deutliche Synchronisation zwischen Menstruation und Mond war früher messbar, hat aber im Zeitalter künstlicher Beleuchtung dramatisch abgenommen. Trotzdem bleibt ein Rest dieser uralten Kopplung erkennbar, insbesondere dann, wenn gravitationsbedingte Kräfte zwischen Sonne, Erde und Mond besonders stark sind.

Bild von Sergio Serjão auf Pixabay

Der Mond als biologischer Taktgeber

Viele Tierarten orientieren ihre Fortpflanzung an Mondzyklen. Auch beim Menschen besitzt der Menstruationszyklus mit durchschnittlich rund 29,5 Tagen eine verblüffende Nähe zum synodischen Monat – also dem Zeitraum zwischen zwei Vollmonden. Frühere Studien hatten bereits Hinweise geliefert, dass Frauen häufiger um Voll- oder Neumond menstruieren. Helfrich-Förster und Kollegen analysierten nun 176 Langzeitaufzeichnungen von Frauen aus Europa, Israel und Nordamerika, die ihre Zyklen über bis zu 37 Jahre dokumentiert hatten.

Das Ergebnis: Vor 2010, also bevor LED-Lichtquellen und Smartphones allgegenwärtig wurden, zeigte sich ähnlich wie in älteren Studien des 20. Jahrhunderts eine deutliche Kopplung der Menstruationszyklen an den Mond. Danach verschwand dieser Effekt fast vollständig.

Die Forscher unterschieden gleich drei Mondzyklen:
  • den synodischen Monat (ca. 29,5 Tage, Voll-/Neumond = Lichtintensität),
  • den anomalistischen Monat (ca. 27,6 Tage, Perigäum ↔ Apogäum = Gravitationskraft),
  • und den tropischen Monat (ca. 27,3 Tage, maximale Nord-/Südauslenkung = "Lunar Standstills").

Auch ohne sichtbares Mondlicht bleibt der Einfluss der Gravitation. Selbst wenn die synodische Lichtabhängigkeit verschwand, blieb eine schwache Synchronisation mit den rein gravimetrischen Zyklen besonders in den Wintermonaten bestehen, wenn Sonne und Mond gemeinsam starke Gezeitenkräfte erzeugen. Diese Effekte traten sogar während der sogenannten "Minor Lunar Standstills" verstärkt auf, die alle 18,6 Jahre wiederkehren.

Die Studie fand außerdem, dass Menstruationsbeginn, Schwangerschaft und Geburt tendenziell um Voll- oder Neumond besonders in Phasen starker Gravitationswirkung gehäuft auftreten. Ergänzende Daten aus Google Trends zeigten zudem, dass Suchanfragen nach "period pain" (dt. Regelschmerzen) um den Perihel-Zeitpunkt Anfang Januar weltweit ansteigen – also genau dann, wenn Erde, Sonne und Mond ihre größten gegenseitigen Anziehungskräfte entfalten. Dies deutet darauf hin, dass nicht nur Licht, sondern auch feinste Schwankungen der Erdgravitation oder elektromagnetische Effekte biologische Prozesse beeinflussen könnten.

Der Einfluss der Lichtverschmutzung

Die Forscher sprechen vom Menstruationszyklus als "circalunaren Oszillator" – einem inneren Taktgeber, der sich einst am Mond ausrichtete, heute aber weitgehend vom künstlichen Licht übertönt wird. Mit der globalen Verbreitung von LED-Lichtquellen ab 2010 änderte sich der natürliche Nachtzyklus grundlegend. Satellitenmessungen zeigen seither einen steilen Anstieg der nächtlichen Lichtemission. Genau parallel dazu ging die Synchronität der Menstruation mit dem Vollmond verloren. Die Studienautoren deuten dies als Hinweis, dass künstliches Licht die biologische Anpassung an den Mondrhythmus stört. Mondlicht diente über Jahrtausende als schwacher, aber konstanter Zeitgeber für den weiblichen Körper. Heute überstrahlen Bildschirme und Straßenlaternen diesen natürlichen Taktgeber, was Folgen für hormonelle Rhythmen und vielleicht auch für Fruchtbarkeit hat. Lichtverschmutzung könnte beispielsweise die Zykluslänge verkürzen. Dennoch bleibt der Zyklus als biologischer Prozess empfindlich gegenüber äußeren Rhythmen.

Fazit

Helfrich-Förster et al. (2025) verbinden mit ihrer Studie Sexualbiologie, Chronobiologie und Umweltforschung auf eindrucksvolle Weise. Ihre Arbeit zeigt, dass der menschliche Körper offenbar immer noch Spuren einer evolutionären "Mond-Uhr" trägt. Der weibliche Zyklus ist nicht nur ein hormonelles Geschehen, sondern auch ein Resonanzphänomen mit kosmischen Rhythmen. Die Lichtverschmutzung greift dabei nicht nur in Ökosysteme, sondern möglicherweise auch in die fein abgestimmte innere Zeitstruktur des Menschen ein.

Quellen

[1] Charlotte Helfrich-Förster et al., Synchronization of women’s menstruation with the Moon has decreased but remains detectable when gravitational pull is strong. Sci. Adv. 11, eadw4096 (2025). DOI: 10.1126/sciadv.adw4096

Beliebte Posts