In der vierten Folge der VOX-Sendung "Die Höhle der Löwen" vom 15. September kam es zu einer bemerkenswerten Szene. Die Gründerin eines Start-ups für Masturbationssättel beschrieb ihre Zielgruppe als "Kissenreiter*innen" (sic!), um dabei ausdrücklich auch sogenannte "Transmänner" (sprich Frauen) und "nicht-binäre Personen mit Vulva" (sprich Frauen) einzuschließen. Investor Frank Thelen entgegnete höflich, aber bestimmt: Er sei in dieser Frage "sehr nah an der Biologie" und sehe die Dinge daher anders. Diese Bemerkung mag auf den ersten Blick rational denkender Zeitgenossen unspektakulär wirken, ist aber in Zeiten hitziger Debatten um Geschlecht und Identität von großer Bedeutung.
Was sagt die Biologie?
Die biologische Definition des Geschlechts beruht auf der Art der Gameten, die ein Organismus (potenziell) produziert. Es gibt Makrogameten und Mikrogameten. Damit existieren in der Biologie exakt zwei Geschlechter – weiblich und männlich. Menschen, die Entwicklungsschritte in Richtung der Produktion von Eizellen vollzogen haben, sind demnach weiblich; eine potenzielle Spermienproduktion begründet das männliche Geschlecht. Damit existieren auch beim Menschen exakt zwei Geschlechter.
Dass es sich bei sogenannten "Intersex"-Phänomenen (Disorders of Sex Development; DSD) um Entwicklungsstörungen innerhalb eines der beiden Geschlechter handelt und nicht um eigenständige dritte oder vierte Geschlechter, haben wir bereits an mehreren Stellen ausführlicher dargestellt (siehe beispielsweise Geschlecht ist nicht gleich Geschlechtsausprägung). Zusammengefasst: Auch wenn es medizinisch komplexe Fälle gibt, die eine oberflächliche Geschlechtsfeststellung erschweren können, bleibt die biologische Binarität davon unangetastet.
Ob eine Person eine Vulva besitzt oder nicht, ist außerdem keine Frage einer subjektiven Selbstwahrnehmung, sondern lasst sich objektiv feststellen. Es existierten zwar durchaus DSD-Zustände, in denen Hoden als primäres Sexualorgan vorliegen, die Genitalien als äußere Geschlechtsmerkmale jedoch zum Zeitpunkt der Geburt als "Vulva" fehlinterpretiert werden können (z. B. bei Androgeninsensitivität oder 5-Alpha-Reduktase-Mangel), eine Inklusion betroffener Personen unter der Bezeichnung "Personen mit Vulva" ist allerdings dennoch falsch und wider die Biologie, da eine Vulva das äußere Genital praktisch aller weiblicher Säugetiere bezeichnet. "Personen mit Vulva" sind daher grundsätzlich immer dem weiblichen Geschlecht zugehörig. Denn das jeweilige Geschlecht definiert seine Merkmale, nicht umgekehrt! Und Geschlechter abseits von männlich und weiblich, die mit Gender-Sonderzeichen wie dem Asterisk (bzw. dem Glottisschlag bei der Aussprache) sichtbar gemacht werden sollen, existieren ohnehin schlichtweg nicht.
Allerdings erweitert die Erkenntnis, dass es aufgrund von Entwicklungsstörungen durchaus auch männliche Menschen mit scheinbar weiblichen Genitalien gibt, die Zielgruppe für weiblich assoziierte Masturbationswerkzeuge auf männliche "Kissenreiter", was auch ein Frank Thelen einsehen müsste. Denn unterentwickelte Genitalien eines männlichen Menschen sind und bleiben faktisch männliche Geschlechtsmerkmale, selbst wenn sie als Pseudovulva in Erscheinung treten.
Dabei hat der Investor nichts anderes getan, als auf die biologische Realität hinzuweisen. Geschlechtsidentitäten mögen eine Rolle in der Soziologie oder in individuellen Lebenswelten spielen – das Geschlecht hingegen ist in der Biologie objektiv bestimmbar. Frank Thelen ist nun wirklich nicht dafür bekannt, in der Vergangenheit Position gegen Transgender bezogen zu haben. Dass bereits seine vollkommen ideologiefreien Äußerungen den Vorwurf von "Transfeindlichkeit" aufkommen lassen, offenbart, dass in den Augen der "queeren" Lobby jedermann transfeindlich ist, der ihrer Weltanschauung widerspricht.
Darin heißt es, die Wissenschaft sei "längst weiter", da die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zwischen "Sex" und "Gender" unterscheide. Diese Unterscheidung von Sex ("biologisches" Geschlecht) und "Gender" (in der Soziologie eine Bezeichnung für soziale Rollen und Identitäten; daher nicht zu verwechseln mit dem biologischen Gender-Begriff) ist durchaus sinnvoll und etabliert – sie ändert aber nichts daran, dass Thelen mit seiner Bemerkung "nah an der Biologie zu sein" exakt richtig lag. Eine Vulva ist nämlich kein "Gefühl" oder Gegenstand sozialer Verhandlungen, sondern ein streng definiertes anatomisches Merkmal, das eindeutig auf eine weibliche Sexualbiologie verweist.
Die WHO ist davon abgesehen kein biologischer Dachverband, sondern eine humanmedizinische Organisation. Ihr Fokus liegt auf der Versorgung und Kategorisierung von Menschen, nicht auf der übergeordneten biologischen Systematik von Geschlecht. Damit verlässt sie zwangsläufig die universelle, gametenbasierte Definition und verengt den Blick anthropozentrisch auf eine einzige Spezies. Wer diese Ebenen vermischt, trägt letztlich zur Begriffsverwirrung bei.
Fazit
Frank Thelen hatte recht: In der Biologie gibt es nur zwei Geschlechter. Wer das Gegenteil behauptet, stellt nicht nur eine falsche Tatsachenbehauptung auf, sondern betreibt auch eine gefährliche Uminterpretation wissenschaftlicher Begriffe – sei es aufgrund versehentlicher Kategorienfehler oder absichtlicher Desinformation. Deshalb sollten solche Behauptungen nicht unkritisch stehen gelassen werden. Nur wenn wir wissenschaftliche Fakten klar benennen, können gesellschaftliche Debatten auf einer soliden Grundlage geführt werden.
Der Nationalrat der Slowakischen Republik hat am gestrigen Freitag den Entwurf einer Verfassungsänderung gebilligt, nach dem der slowakische Staat zukünftig nur zwei Geschlechter anerkennt: NRSR: Parlament schválil 90 hlasmi zmenu Ústavy SR
Diese Entscheidung, die vor allem innerhalb der Europäischen Union für Aufsehen sorgt, wird vielerorts als Rückschritt interpretiert. Kritiker sehen darin einen Verstoß gegen Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, nach der niemand aufgrund des Geschlechts oder der "sexuellen Ausrichtung" diskriminiert werden dürfe. Aus Sicht einer naturwissenschaftlich orientierten Sexualbiologie lohnt jedoch ein genauerer Blick: Denn jenseits ideologischer Deutungen berührt die slowakische Reform eine biologische Grundtatsache, die sich nicht beliebig verhandeln lässt.
Biologie ist keine Meinung
Die Zweigeschlechtlichkeit – also die Existenz von zwei Fortpflanzungstypen, die sich durch die Produktion unterschiedlich großer Geschlechtszellen (Gameten) unterscheiden – ist ein universelles Merkmal nahezu aller vielzelliger Organismen, einschließlich des Menschen. Diese biologische Tatsache bildet die Grundlage sexueller Fortpflanzung und der gesamten reproduktiven Evolution.
Dass politische Entscheidungsträger die Zweigeschlechtlichkeit in der Verfassung festschreiben, ist aus biologischer Perspektive weder radikal noch diskriminierend, sondern schlicht eine Rückkehr zur empirischen Wirklichkeit. Geschlecht ist kein soziales Konstrukt, kein Gefühl und keine Meinung, sondern ein reproduktionsbiologisches Prinzip. Soziale Rollen, subjektive Identitäten und individuelle Ausdrucksformen sind selbstverständlich kulturell und individuell gestaltbar, sie ändern aber nichts an der zugrundeliegenden binären Struktur sexueller Fortpflanzung.
Kein "Recht auf Kinder", sondern Verantwortung gegenüber dem Kind
Da die Ehe in der Slowakei weiterhin ausschließlich zwischen Mann und Frau geschlossen werden kann und gemäß Verfassungsänderung nur Ehe-Paare Kinder adoptieren dürfen, haben gleichgeschlechtliche Paare dort keine Möglichkeit, Kinder zu adoptieren. Auch das nun in der slowakischen Verfassung verankerte Verbot der Leihmutterschaft betrifft ein Spannungsfeld zwischen Realität und Wunschdenken. Beide Regelungen stehen im Einklang mit der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung und sollte daher nicht als moralische Abwertung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften missverstanden werden. Die biologische Dimension der Elternschaft beruht auf der Vereinigung zweier Gameten zu einer Zygote. Diese Tatsache sagt nichts über die soziale Kompetenz, Fürsorgefähigkeit oder emotionale Bindungskraft von Menschen aus, die jenseits dieser reproduktiven Ebene Verantwortung füreinander übernehmen.
Aus naturalistischer Sicht existiert allerdings kein "Recht auf Kinder". Kinder sind keine Güter, sondern eigenständige biologische und soziale Subjekte – Träger eines genetischen Erbes, das auf der Interaktion zweier getrenntgeschlechtlicher Eltern beruht. Das Kind hat daher das natürliche Recht auf zwei biologische (und damit getrenntgeschlechtliche) Eltern. Erwachsene haben hingegen kein natürliches Recht, Elternschaft beliebig außerhalb dieser Norm zu konstruieren oder gar gegen Bezahlung zu erwerben. Verfahren wie Leihmutterschaft, Eizellhandel und "Samen"spende unterlaufen dieses Prinzip, indem sie Reproduktion ökonomisieren und von der biologischen Verantwortung entkoppeln.
Biologische Tatsachen sind keine Waffe
Trotz der inhaltlichen Zustimmung zur Betonung biologischer Realität darf Wissenschaft jedoch nicht zum Instrument weltanschaulicher Politik werden. Wenn biologische Tatsachen wie die Zweigeschlechtlichkeit benutzt werden, um Minderheiten moralisch zu verurteilen oder religiöse Vorstellungen gesetzlich zu erzwingen, wird Biologie zur Ideologie. Eine naturalistische Perspektive erkennt an, dass Menschen in ihrer Vielfalt leben und lieben dürfen, solange daraus keine Entwertung der reproduktiven Grundlagen entsteht. Biologische Tatsachen beschreiben, sie schreiben nicht vor. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen Wissenschaft und Dogma.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
Wenig Beachtung – insbesondere in der öffentlich-rechtlichen Berichterstattung – findet indes, dass die slowakische Verfassungsänderung eine neue "Gleichstellungsregel" enthält, welche die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen für gleichwertige Arbeit garantiert. Dieser Zusatz markiert einen sozialpolitischen Fortschritt, der in vielen anderen EU-Staaten bisher nur im Arbeitsrecht oder in Verordnungen verankert ist. Während Medien fast ausschließlich über eine angeblich diskriminierende "Anti-Diversitätspolitik" berichten, bleibt diese Komponente weitgehend unerwähnt. Möglicherweise, weil sie nicht in das vereinfachte Narrativ einer rückwärtsgewandten, konservativen Reform passt?
Fazit
Die slowakische Verfassungsänderung markiert einen interessanten Wendepunkt und folgt damit anderen Ländern wie den USA und Großbritannien. Sie erkennt an, dass Geschlecht biologisch fundiert ist und dass Reproduktion nicht beliebig juristisch umdefiniert werden kann. Das ist aus Sicht der Sexualbiologie ein Schritt hin zu wissenschaftlicher Klarheit. Gleichzeitig zeigt die neu verankerte Regelung zur gleichen Bezahlung von Männern und Frauen, dass die Anerkennung biologischer Realität durchaus mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar ist. Doch die Motivation dahinter ist ambivalent. Wenn biologische Tatsachen im Dienst einer religiösen oder nationalistischen Agenda stehen, wird ihr Erkenntniswert unterminiert. Eine wirklich aufgeklärte Gesellschaft schützt die biologische Realität nicht aus Glauben, sondern aus Einsicht.
Der Bundesrat berät heute über eine Initiative mehrerer Bundesländer, die sogenannte "sexuelle Identität" ausdrücklich in den Diskriminierungsschutz des Grundgesetzes aufnehmen will: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 3 Absatz 3 Satz 1). Damit sollen sogenannte "LSBTIQ-Personen" stärker vor Benachteiligung geschützt werden. Doch bei genauerem Hinsehen wirft der Vorstoß grundlegende Fragen auf – nicht nur rechtlich, sondern auch aus naturwissenschaftlicher Perspektive.
Biologisch klare Merkmale vs. subjektive Identität
Artikel 3 GG schützt bereits biologisch klare Merkmale wie Geschlecht (biologisch definiert als männlich und weiblich) oder Rasse. Mit letzterem waren ursprünglich die geographischen Menschenpopulationen gemeint, die in der klassischen Anthropologie in fünf Hauptgruppen eingeteilt wurden: Kaukasier, Mongolide, Malaien, Indo-Amerikaner und Äthiopier. Dieses biologische Kriterium ist nach wie vor gültig, genau wie das Geschlecht beschreibbar und unabhängig von persönlicher Selbsteinschätzung bestimmbar. Erst auf dieser Grundlage konnte ein "Diskriminierungsverbot" rechtlich wirksam werden.
Bei Begriffen wie "Identität" fehlt diese Objektivierbarkeit. Hier geht es um individuelle Selbstauskunft, die wandelbar ist und nicht eindeutig überprüft werden kann. Damit entsteht die Schwierigkeit, ein solches Merkmal rechtssicher in der Verfassung zu verankern.
Schwierige Abgrenzung
Besonders heikel wird die Frage, wo die Grenze gezogen werden soll. Sexualmedizinisch gelten etwa Pädophilie (definiert 1886 durch Richard von Krafft-Ebing [1]) oder andere paraphile Störungen als klar pathologisch und in Teilen strafbar, sobald sie das Selbstbestimmungsrecht und die Unversehrtheit anderer verletzen. Wenn nun aber Identität zu einem offenen, subjektiv definierten Schutzkriterium mit Verfassungsrang wird, könnten auch Personen mit solchen Neigungen versuchen, sich auf Artikel 3 GG zu berufen. Damit würde eine Grauzone geschaffen, die weder biologisch noch rechtlich tragfähig wäre und das eigentliche Schutzziel (angeblich) benachteiligter Gruppen unter Umständen konterkariert.
Interessengruppen von Pädophilen wie beispielsweise der ehemalige Verein und inzwischen als Gruppe mehr oder weniger im Hintergrund agierende "Krumme 13" (kurz K13) fordern seit Jahren, Pädophilie als "sexuelle Identität" rechtlich anzuerkennen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine K13-Petition aus dem Jahr 2021, die vergangenes Jahr mit gerade einmal 37 Unterschriften im Bundestag beraten wurde und die diese Bestrebungen verdeutlicht. NIUS berichtete: Bundestag berät über Pädo-Vorschlag: Schutz von Kinderschändern soll in der Verfassung verankert werden
Durch die unregulierte Zuwanderung von Menschen aus Kulturkreisen, in denen Kinderehen praktiziert werden und teilweise sogar rechtlich legal sind, wird der Zuspruch für solche Bestrebungen unserer Einschätzung nach perspektivisch weiter steigen.
Wenn Begriffe ihre Schärfe verlieren
Auch sprachlich zeigt sich, wie schnell Begriffe ihre Bedeutung verändern können. Das Wort "Diskriminierung" bedeutete ursprünglich im Lateinischen schlicht "unterscheiden" (discriminare: dis- = auseinander/getrennt, cernere = wahrnehmen). Erst im Laufe der Zeit erhielt es die negative Färbung, die wir heute automatisch mit Benachteiligung oder Ausgrenzung verbinden. Solche Verschiebungen sind in der Sprache zwar normal, doch sie bergen die Gefahr, dass zentrale Begriffe immer wieder neu gedeutet werden und dadurch ihre inhaltliche Schärfe verlieren. Wird dieser Prozess auf das Recht übertragen, kann die klare Grundlage für Rechtsprechung erodieren. Ein Begriff, der sich je nach Zeitgeist wandelt, entkernt das Recht von seiner Stabilität, welche eigentlich das Fundament des Grundgesetzes sein sollte. Was heute noch als gesellschaftlich inakzeptabel gilt, könnte morgen schon als "sexuelle Identität" Schutz genießen.
Fazit
Die Absicht, sogenannte "queere" Menschen besser vor Gewalt und Anfeindungen zu schützen, ist nachvollziehbar. Fraglich bleibt jedoch, ob die Verfassung der richtige Ort ist, um wandelbare, subjektiv definierte Kategorien zu verankern. Bereits heute schützt Artikel 3 GG die Gleichbehandlung aller Menschen, basierend auf objektiv feststellbaren Merkmalen. Ein identitätsbezogener Zusatz könnte weniger dem objektiven Schutz dienen, sondern eher gesellschaftspolitische Deutungen ins Verfassungsrecht tragen. Damit droht, dass realweltliche Grundlagen durch ideologisch variierende Begriffe überlagert werden. Rechtlicher Schutz gewinnt seine Stärke aus Klarheit, Objektivierbarkeit und Beständigkeit – nicht aus Begriffen, deren Bedeutung mit jeder gesellschaftlichen Strömung neu geformt wird.
Dass Insekten mit Pheromonen kommunizieren, ist gut bekannt. Weniger verbreitet ist die Erkenntnis, dass auch Spinnen über chemische Botschaften ihre Partner finden. Ein Forschungsteam der Universität Greifswald und Simon Fraser University um Andreas Fischer hat jetzt neue Details über die "Sprache der Düfte" der Westlichen Schwarzen Witwe (Latrodectus hesperus) entschlüsselt [1]. Die Studie zeigt nicht nur, welche chemischen Signale bei der Partnerfindung eine Rolle spielen, sondern auch, dass die Tiere ihr "Duftmarketing" saisonal anpassen – eine raffinierte Form sexueller Strategie.
Chemische Botschaften im Spinnennetz
Südliche Schwarze Witwe (Latrodectus mactans), eine Schwesterart von L. hesperus. (Foto: CDC/James Gathany)
Weibliche Witwenspinnen locken Männchen über chemische Signale an, die von ihren Netzen ausgehen. Diese Signale bestehen aus sogenannten Kontaktpheromonen in Form von Molekülen, die auf dem Spinnennetz haften, sowie flüchtigen Komponenten, die als "Luftpost" zu den Männchen gelangen. Bisher war nur ein einziger Kontaktpheromon-Baustein bekannt (N-3-Methylbutanoyl-O-methylpropanoyl-L-serinmethylester). Fischer et al. (2025) identifizierten eine zweite Substanz, N-3-Methylbutanoyl-O-methylpropanoyl-L-serin, die zusammen mit dem bereits bekannten Ester eine wesentlich stärkere Wirkung entfaltet. Männchen zeigen auf den so behandelten Netzen deutlich längeres und intensiveres Balzverhalten als bei synthetischen Einzelstoffen.
Die Studie zeigt, dass diese Pheromone chemisch "weiterarbeiten". Die Kontaktstoffe auf dem Netz werden enzymatisch gespalten, wobei Isobuttersäure (2-Methylpropansäure) als flüchtiger Duftstoff entsteht, der über die Luft Männchen anzieht. So wird aus dem Spinnennetz in eine Art chemischen Verstärker, der über längere Zeit ein "Ich bin bereit"-Signal sendet, auch wenn das Weibchen selbst unbeweglich bleibt. In Feldexperimenten lockte synthetische Isobuttersäure tatsächlich männliche Schwarze Witwen in Fallen, was die Wirksamkeit als "Sexduft" belegt. Für Menschen riecht Isobuttersäure allerdings alles andere als sexy – eher nach ranziger Butter, altem Käse oder Erbrochenem. Sie entsteht übrigens auch beim Abbau von Schweiß oder in gereiftem Käse. Doch was uns die Nase rümpfen lässt, wirkt auf männliche Schwarze Witwen wie ein unwiderstehliches Parfüm.
Der Pheromonkalender
Spannend ist die jahreszeitliche Dynamik. Über ein Jahr hinweg sammelten die Forscher Netze und analysierten die Pheromonmengen. Dabei stellte sich heraus, dass die chemische Aktivität ihren Höhepunkt im Sommer erreicht, wenn die meisten Männchen geschlechtsreif sind. Längere Tageslichtphasen und wärmere Temperaturen stimulieren offenbar die Produktion und Freisetzung der Duftstoffe. Regen dagegen wäscht die Pheromone aus den Netzen und mindert so die Signalstärke. Die Spinnen passen ihr chemisches Werben also gezielt an Umweltbedingungen und Partnerverfügbarkeit an – ein Paradebeispiel für strategisches sexuelles Signalling.
Interessanterweise reagierten nicht nur Männchen, sondern gelegentlich auch Weibchen auf die Sexpheromone. Das deutet darauf hin, dass Spinnen möglicherweise ihre eigenen Duftsignale wahrnehmen und darauf ihr Verhalten abstimmen, um sich etwa in Kolonien zu organisieren oder Konkurrenz zu vermeiden. So könnte das Duftsystem auch soziale Funktionen erfüllen, die über reine Partnerfindung hinausgehen.
Fazit
Die Arbeit von Fischer et al. (2025) zeigt eindrucksvoll, dass chemische Kommunikation auch bei Spinnen hochkomplex und flexibel ist. Weibliche Westliche Schwarze Witwen investieren gezielt in ihre Duftbotschaften, um in der heißen Jahreszeit effizient Partner anzulocken – ein ökologisch und energetisch sinnvoller Balanceakt. Gleichzeitig illustriert die Studie, wie eng Umweltfaktoren, Biochemie und Sexualverhalten miteinander verwoben sind.
Quellen
[1] Fischer, A., Fischer, A.J., Gries, R. et al. Identification and Seasonal Abundance of Web- and Air-Borne Sex Pheromone Components of Western Black Widow Spiders, Latrodectus hesperus. J Chem Ecol 51, 36 (2025). https://doi.org/10.1007/s10886-025-01590-6
Die Bildungswissenschaftlerin Deevia Bhana und der Soziologe Stefan Lucke veröffentlichten kürzlich in der Soziologie-Fachzeitschrift "Sex & Sexualities" einen Beitrag mit dem Titel "Childhood Sexualities: On Pleasure and Meaning from the Margins" [1]. Die Autoren kritisieren darin, dass die Sexualforschung* Kinder aufgrund "erwachsenenzentrierter/adultistischer Ansätze" fast ausschließlich als verletzlich, unschuldig und schutzbedürftig darstellt. Stattdessen plädieren sie dafür, auch die Dimension von Lust und Begehren im Kindesalter in den Blick zu nehmen.
Der Artikel stützt sich auf feministische, "queere" sowie dekoloniale und damit intersektionale Ansätze. Er argumentiert, dass Kinder schon vor der Pubertät Formen von Begehren erleben, etwa in alltäglichen Spielformen wie Verliebtheitsbekundungen, Küssen auf dem Pausenhof oder Rollenspielen. Diese sozialen Erfahrungen seien nicht nur "Risiken", sondern Ausdruck von Identitätsbildung. Bhana und Lucke sehen darin eine Möglichkeit, marginalisierte Perspektiven zu stärken und die Sexualforschung inklusiver zu gestalten.
Einordnung
Als IG Sexualbiologie betrachten wir diese Thesen mit großer Distanz. Wir teilen die Grundannahme der Autoren ausdrücklich nicht, dass Kinder im präpubertären Stadium bereits "sexuelle Wesen" seien. In der Reproduktionsbiologie wird klar herausgestellt, dass die Pubertät die Phase ist, in der ein Kind die physiologische Fähigkeit zur Fortpflanzung erlangt. Erst mit Einsetzen der hormonellen Achsen – insbesondere des Zusammenspiels von Hypothalamus, Hypophyse und Gonaden – werden Sexualzellen (Gameten) als Grundlage von Sexualität gebildet und sekundäre Geschlechtsmerkmale entwickelt [2][3]. Lehrbücher wie "Human Reproductive Biology" von Jones & Lopez (2014) betonen, dass Kinder vor der Pubertät biologisch steril sind, da weder Spermien noch reife Eizellen zur Verfügung stehen und die hormonellen Voraussetzungen für Fortpflanzung fehlen [4].
Auch in der Entwicklungspsychologie wird Sexualität überwiegend in der Adoleszenz verortet. Studien zur jugendlichen Sexualentwicklung konzentrieren sich auf Erregung und sexuelle Funktionen, die eng mit biologischer Reifung verbunden sind. So betont Fortenberry (2013), dass Sexualität im eigentlichen Sinn erst mit Beginn der Pubertät sichtbar wird, während die Vorpubertät eine Phase anderer psychischer und sozialer Entwicklungen darstellt [5]. Diese Erkenntnisse werden von weiteren Übersichtsarbeiten bestätigt [6][7].
Sexualität bezeichnet das Vorkommen von Geschlechtsindividuen innerhalb einer Art mit dem Zweck der Fortpflanzung und bedingt vor diesem Hintergrund klar die Reproduktionsfähigkeit. Somit kann erst mit der Geschlechtsreife überhaupt von Sexualität gesprochen werden. Kinder erleben zwar selbstverständlich Nähe, Zuneigung, Bindung und Freude, doch diese Phänomene sind nicht gleichzusetzen mit Sexualität. Wenn Soziologen fordern, "kindliche Lust" in die Sexualitätsforschung einzubeziehen, vermischen sie unseres Erachtens soziale Phänomene mit einem reproduktiv definierten Begriff. Dadurch verwischt die Grenze zwischen präpubertären Entwicklungsstufen und geschlechtsreifer Sexualität, was realwissenschaftlich nicht überzeugt.
Mahnung zur Wahrung des Kinderschutzes
In der realwissenschaftlichen und auch rechtlichen Praxis darf der Apell von Soziologen zur theoretischen Erweiterung von Begriffen niemals zur Lockerung des Schutzes von Kindern führen. Wir warnen davor, dass eine unscharfe oder metaphorische Ausweitung des Sexualitätsbegriffs auf kindliches Sozialverhalten dazu missbraucht werden könnte, gesetzliche Schutzregelungen zu relativieren. Die Arbeit von Bhana & Lucke (2025) liest sich in diesem Kontext wie die akademische Grundlage solcher Bestrebungen.
Studien etwa aus der Psychologie zeigen, dass Lehrkräfte und Eltern zunehmend besorgt sind über die "Sexualisierung von Kindern" — also über Phänomene, bei denen kindliche Unschuld oder kindliche Entwicklung beispielsweise durch mediale Impulse unter Druck geraten [8][9]. Kinder werden heute durch den intensiven Medienkonsum in starkem Maße mit erotischen Inhalten konfrontiert. Dieses frühe Einwirken führt dazu, dass Kinder Verhaltensweisen zeigen, die oberflächlich an "sexuelle" Ausdrucksformen erinnern, obwohl sie biologisch nicht über Sexualität verfügen. Soziologische Forschung nimmt solche Beobachtungen dann oftmals als Beleg, dass Kinder "sexuelle Wesen" seien. In der Folge werden in der "Sexualpädagogik" Forderungen laut, diese vermeintliche kindliche "Sexualität" zu fördern – etwa durch sogenannte "Entdeckungsräume" oder spielerische Formen der Körpererkundung in pädagogischen Einrichtungen. Damit kann jedoch ein Rückkopplungseffekt entstehen: Das Verhalten wird durch Aufmerksamkeit und Förderung verstärkt und anschließend wiederum als empirischer Nachweis für die zugrunde gelegte These interpretiert. Aus Sicht der IG Sexualbiologie ist dies ein problematischer Zirkelschluss. Denn was biologisch keine Sexualität ist, wird über kulturelle Zuschreibungen und pädagogische Praxis erst hervorgebracht und anschließend als "natürliche" Tatsache gedeutet.
Diese Entwicklungen und Verstärkungsmuster heben hervor, wie relevant es ist, zwischen natürlichen Entwicklungsformen (wie Neugier, Körperwahrnehmung, Nachahmung oder sozialer Nähe) einerseits und Sexualität im biologischen Sinne andererseits klar zu unterscheiden.
Fazit
Die Arbeit von Bhana & Lucke (2025) spiegelt eine sozial- und kulturwissenschaftliche Debatte wider, die auf Inklusion zielt. Aus Sicht der IG Sexualbiologie ist jedoch festzuhalten: Kinder sind vor der Pubertät keine Sexualwesen. Sie befinden sich auf dem Weg zur Sexualität, können diese aber noch nicht besitzen, da biologische Reproduktionsfähigkeit als Kernkriterium fehlt. Wir halten es daher für wichtig, den Begriff "Sexualität" präzise zu verwenden und die besondere Phase der Kindheit nicht vorschnell in einen sexualwissenschaftlichen Rahmen zu pressen.
Wir legen daher besonderen Wert darauf, dass in Diskussionen über "kindliche Sexualität" klar unterschieden wird zwischen (a) kindlicher Erfahrung, Emotion, Bindung, Begehren im weitesten soziopsychologischen Sinn innerhalb der eigenen Alterskohorte, (b) Sexualität im biologisch-reproduktiven Sinn und (c) erotischen Handlungen vollzogen von Erwachsenen an Kindern (sadistische Pädophilie nach Richard von Krafft-Ebing).
*gemeint ist hier die sozialwissenschaftliche "Sexologie", die nicht mit der naturwissenschaftlichen Sexualbiologie verwechselt werden darf
Quellen
[1] Bhana, D., & Lucke, S. (2025). Childhood Sexualities: On Pleasure and Meaning from the Margins. Sex & Sexualities, 0(0). https://doi.org/10.1177/30333717251375994
[2] Girsh, E. (Ed.). (2021). Reproductive Puberty. In A Textbook of Clinical Embryology (pp. 8–12). chapter, Cambridge: Cambridge University Press. https://doi.org/10.1017/9781108881760.003
[5] J. Dennis Fortenberry, Puberty and adolescent sexuality, Hormones and Behavior, Volume 64, Issue 2, 2013, Pages 280-287, ISSN 0018-506X, https://doi.org/10.1016/j.yhbeh.2013.03.007.
[6] Pringle, J., Mills, K. L., McAteer, J., Jepson, R., Hogg, E., Anand, N., & Blakemore, S. J. (2017). The physiology of adolescent sexual behaviour: A systematic review. Cogent Social Sciences, 3(1). https://doi.org/10.1080/23311886.2017.1368858
[7] Clark, D.A., Durbin, C.E., Heitzeg, M.M., Iacono, W.G., McGue, M. and Hicks, B.M. (2020), Sexual Development in Adolescence: An Examination of Genetic and Environmental Influences. J Res Adolesc, 30: 502-520. https://doi.org/10.1111/jora.12540
Mit großer Aufmerksamkeit verfolgt die IG Sexualbiologie die neuesten Entwicklungen im internationalen Leistungssport. Wie der Guardian am 19. September berichtete, hat World Athletics bei den diesjährigen Weltmeisterschaften in Tokio erstmals einen verpflichtenden Gentest auf das SRY-Gen eingeführt: Sex tests brought in after data showed 50-60 DSD athletes in finals, World Athletics says
Mittels eines einfachen Wangenabstrichs wird nun überprüft, ob das zentrale Steuerungsgen der männlichen Geschlechtsentwicklung vorhanden ist. Die Entscheidung ist das Ergebnis einer umfangreichen Datenauswertung, die Dr. Stéphane Bermon, Leiter für Gesundheit und Wissenschaft bei World Athletics, in Tokio vorstellte. Demnach waren seit dem Jahr 2000 zwischen 50 und 60 Athleten mit 46,XY-Karyotyp und durchlaufener männlicher Pubertät in den Endläufen der Frauenkategorie vertreten. Insgesamt handelte es sich um 135 Finalteilnahmen, da einige dieser Athleten mehrfach antraten. Besonders aufschlussreich ist die Feststellung, dass Athleten mit Disorders of Sex Development (DSD) – also Störungen der Geschlechtsentwicklung – 151,9-mal häufiger in Frauenfinals vertreten waren, als es ihrem Anteil in der Gesamtbevölkerung entspricht. Diese statistische Überrepräsentation zeigt unmissverständlich, dass die biologischen Effekte einer männlichen Pubertät den Ausgang von Wettkämpfen entscheidend beeinflussen können.
Bereits in unserem Blogbeitrag zur Causa Imane Khelif haben wir dargelegt, welche Formen von DSD in solchen Fällen typischerweise vorkommen: das Androgenresistenzsyndrom, ein 5α-Reduktase-2-Mangel (5αR2D) oder vergleichbare Störungen, bei denen eine XY-Chromosomenkombination mit vorhandenen Hoden und Testosteronproduktion vorliegt. In allen diesen Fällen gilt, dass das Geschlecht männlich ist. Auch wenn bei Geburt ein weibliches Erscheinungsbild dokumentiert wurde, setzen insbesondere bei 5αR2D spätestens in der Pubertät die Wirkungen des Testosterons ein. Diese führen zu irreversiblen körperlichen Veränderungen wie einer Zunahme von Muskelmasse, einem größeren Herz- und Lungenvolumen, einer dichteren Knochenstruktur und einer höheren Sauerstofftransportkapazität. Dass diese Effekte selbst durch spätere Hormontherapie nicht vollständig rückgängig gemacht werden können, ist durch zahlreiche Studien belegt, unter anderem durch Handelsman et al. (2018) [1].
World-Athletics-Präsident Sebastian Coe stellte klar, dass es um den Schutz der Integrität des Frauensports gehe. Die Teilnahme an der Frauenkategorie setze voraus, biologisch weiblich zu sein. Das "soziale Geschlecht" kann Biologie nicht übertrumpfen, so sein deutlicher Kommentar ("gender cannot trump biology"). Damit knüpft Coe an eine Argumentationslinie an, die wir als IG Sexualbiologie seit Langem vertreten: Sportliche Kategorien beruhen auf biologischen Realitäten – ebenso wie Alters- oder Gewichtsklassen. Identitätspapiere oder soziale Geschlechterrollen können diese biologischen Grundlagen nicht ersetzen.
Zwar ist es korrekt, dass die Bestimmung des biologischen Geschlechts komplexer ist als die bloße Suche nach einem einzigen Gen. Dies veranschaulichen bemerkenswerte Fälle, in denen Patientinnen trotz 46,XY-Karyotyp inkl. SRY-Gen nicht nur einen weiblichen Phänotyp, sondern tatsächlich das reproduktiv weibliche Geschlecht ausgebildet haben [3]. Doch im Leistungssport geht es nicht um akademische Spitzfindigkeiten, sondern um den sportlichen Wettbewerbsvorteil, den die Anwesenheit von funktionellen Hoden und die damit verbundene Testosteronexposition in der Pubertät unweigerlich mit sich bringt. Der SRY-Test dient in diesem Zusammenhang als pragmatisches und robustes Instrument, das in den allermeisten Fällen eine klare Unterscheidung ermöglicht.
Die nun veröffentlichten Zahlen bestätigen, was in Fachkreisen seit Langem bekannt ist: XY-DSD-Athleten profitieren nachhaltig von männlicher Pubertät und sind im Frauensport deutlich überrepräsentiert. Die Entscheidung von World Athletics, dies künftig durch eine genetische Testung konsequent zu regulieren, ist ein notwendiger Schritt. Sie sorgt nicht nur für Fairness, sondern auch für Glaubwürdigkeit. Denn die Integrität des Frauensports kann nur gewahrt bleiben, wenn tatsächlich nur "biologische" Frauen – sprich Frauen – gegeneinander antreten.
Wir begrüßen diesen Schritt daher ausdrücklich und sehen darin ein wichtiges Signal auch für andere Sportverbände, die bislang vor klaren Entscheidungen zurückschrecken. Schon im Fall Imane Khelif wurde deutlich, dass Vertrauensverluste in den Sport und eine Verzerrung der Wettbewerbsgerechtigkeit die Folge sind, wenn Identität über Biologie gestellt wird. Biologie ist keine Meinung, sondern die Grundlage der körperlichen Realität.
Quellen
[1] David J Handelsman, Angelica L Hirschberg, Stephane Bermon, Circulating Testosterone as the Hormonal Basis of Sex Differences in Athletic Performance, Endocrine Reviews, Volume 39, Issue 5, October 2018, Pages 803–829, https://doi.org/10.1210/er.2018-00020
[2] Sinclair, A., Berta, P., Palmer, M. et al. A gene from the human sex-determining region encodes a protein with homology to a conserved DNA-binding motif. Nature 346, 240–244 (1990). https://doi.org/10.1038/346240a0
[3] Miroslav Dumic, Karen Lin-Su, Natasha I. Leibel, Srecko Ciglar, Giovanna Vinci, Ruzica Lasan, Saroj Nimkarn, Jean D. Wilson, Ken McElreavey, Maria I. New, Report of Fertility in a Woman with a Predominantly 46,XY Karyotype in a Family with Multiple Disorders of Sexual Development, The Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism, Volume 93, Issue 1, 1 January 2008, Pages 182–189, https://doi.org/10.1210/jc.2007-2155
Der Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland e. V. (VBIO) veröffentlichte vor wenigen Tagen ein Meldung in der Rubrik "Aktuelles aus den Biowissenschaften" mit dem Titel "Das Geschlecht des Körpers: Warum unsere Organe kein einfaches männlich oder weiblich kennen". Der Beitrag bezieht sich auf einen kürzlich in der digitalen Fachzeitschrift 'eLife' veröffentlichten Forschungsartikel von Xie, Künzel und Tautz [1]. Darin wird untersucht, wie sich Gene, die geschlechtsspezifisch aktiv sind ("sex-biased gene expression"), in verschiedenen Organen von Mäusen und Menschen unterscheiden. Die Autoren zeigen, dass viele somatische Organe – also jene jenseits der Fortpflanzungsorgane – überlappende Muster solcher Genaktivität aufweisen. Das bedeutet: Nicht jedes Organ spiegelt die Genetik des jeweiligen Geschlechts gleich stark wider.
Der populärwissenschaftlich aufbereitete News-Beitrag des VBIO zieht daraus den Schluss, man solle "den Körper als ein Mosaik geschlechtlicher Merkmale verstehen", statt von einer "strikten Binarität" zu sprechen. Doch diese Formulierung vermischt biologische Ebenen und führt zu einem Kategorienfehler, der in der öffentlichen Wahrnehmung mehr Verwirrung als Erkenntnis stiftet.
Was die Studie tatsächlich zeigt
Die Primärquelle selbst ist methodisch solide und erweitert unser Wissen über geschlechtsspezifische Genexpression. Xie et al. (2025) analysierten Transkriptome verschiedener Organe von Mäusen und Menschen, also die Gesamtheit aktiver Gene in Zellen. Sie entwickelten einen sogenannten "sex-biased gene expression index" (Sex-Bias-Index; SBI), der die Gesamttendenz eines Organs zu "männlich" oder "weiblich" aktiver Genexpression zusammenfasst. In Gonaden (Hoden, Eierstöcken) ist die Trennung klar binär. In somatischen Organen (z. B. Herz, Leber, Niere) existieren graduelle Unterschiede mit Überlappungen. Diese Muster sind zudem evolutiv dynamisch, also zwischen Arten und Individuen variabel. Die Studie beschreibt also kurz gesagt die Varianz geschlechtsspezifischer Genaktivität im Körper.
Im Paper heißt es explizit: "The usual narrative for sex-related differences between individuals is based on binary gametic sex […] Such a binary distinction is a hallmark of most sexually reproducing species" ("Die übliche Erklärung für geschlechtsbezogene Unterschiede zwischen Individuen basiert auf dem binären Geschlechterverhältnis der Gameten […] Eine solche binäre Unterscheidung ist ein Kennzeichen der meisten sich sexuell fortpflanzenden Arten")
Das binaritätstiftende Prinzip (Gametentypen) wird demnach nicht infrage gestellt. Die Autoren differenzieren aber zwischen dieser fundamentalen biologischen Binarität und den variablen Ausdrucksmustern geschlechtsspezifischer Gene in den verschiedenen Körpergeweben. Das ist ein klassischer Ebenenwechsel – von Sexus (Gametenebene, reproduktive Biologie) zu somatischer Regulation und Phänotypen. Problematisch ist, dass dieser Ebenenwechsel nicht ausdrücklich kommuniziert wird. Für Fachleute als Zielgruppe wissenschaftlicher Paper ist das im Grunde genommen auch gar nicht nötig, da der Wechsel implizit verständlich ist. Doch gerade die populärwissenschaftliche Aufarbeitung durch den VBIO hätte Missverständnisse vermeiden können, indem "Geschlecht" nicht plötzlich mit Genexpression gleichgesetzt wird, ohne den Ebenenwechsel explizit zu markieren. Das ist eine begriffslogische Unschärfe, die in der öffentlichen Kommunikation erfahrungsgemäß schnell zu falschen Deutungen führt.
Im Abstract des Originalpapers schreiben Xie et al. ferner: "We conclude that adult individuals are composed of a mosaic spectrum of sex characteristics in their somatic tissues that should not be cumulated into a simple binary classification." ("Wir kommen zu dem Schluss, dass erwachsene Individuen aus einem Mosaikspektrum von Geschlechtsmerkmalen in ihren somatischen Geweben bestehen, die nicht in eine einfache binäre Klassifizierung zusammengefasst werden sollten.") Die Forscher beziehen sich also klar auf somatische Merkmalsausprägungen, nicht auf das Geschlecht selbst. Der VBIO-Artikel aber paraphrasiert das so, als betreffe das postulierte Mosaikspektrum das Gesamtkonzept "Geschlecht" und übersieht damit den begrenzten Geltungsbereich der Aussage. Solche Verkürzungen sind typisch für Wissenschaftskommunikation, aber sie erzeugen ein scheinbares Paradox, das in der Originalarbeit gar nicht existiert.
Geschlecht ≠ Genexpression
In der Biologie bedeutet Geschlecht (Sexus; engl. sex) die gametische Kategorie – also die Fähigkeit, kleine Gameten (Spermien) oder große Gameten (Eizellen) zu produzieren. Die Differenzierung zweier Gametentypen ist ein tief verankertes, evolutionär altes Prinzip sexueller Fortpflanzung, das sich mindestens vor 500–800 Millionen Jahren etabliert hat. Von dieser Binarität abgeleitet, aber nicht identisch damit (!), sind phänotypische und molekulare Merkmal wie Geschlechtschromosomen, Hormonspiegel, Körperbau, Verhalten oder eben geschlechtsspezifische Genexpression. Diese Merkmale sind graduell variabel, weil sie von komplexen regulatorischen Netzwerken, Umweltfaktoren und evolutionären Prozessen beeinflusst werden.
Die Variabilität der Genexpression ist dabei aber lediglich eine Folge der geschlechtlichen Binarität, nicht deren Widerlegung. Wer also aus den überlappenden Mustern somatischer Genexpression schließt, das Geschlecht selbst sei ein "Spektrum", verwechselt Ursache und Effekt – ein klassischer Kategorienfehler. Wenn der VBIO schreibt, man solle den "Körper als Mosaik geschlechtlicher Merkmale" verstehen und Geschlecht "nicht als Schublade, sondern als Spektrum", wird der Begriff Geschlecht selbst auf eine molekulare Ebene verschoben, auf der er nicht sinnvoll anwendbar ist. Hier wird ein phänotypisches Ergebnis als Folge des Geschlechts (in diesem Fall das Muster geschlechtsspezifischer Genexpression) mit der ontologischen Grundlage des Geschlechts (Gametenproduktion) verwechselt. Biologisch korrekt wäre: Der Körper zeigt ein Mosaik geschlechtsspezifischer Merkmalsausprägungen. Das Geschlecht als Reproduktionskategorie bleibt dabei binär. Indem diese Differenz verwischt wird, entsteht der Eindruck, das Geschlecht selbst sei "nicht eindeutig", obwohl die Studie das gar nicht in Frage stellt.
SBI: kontinuierliche Variation auf binärem Fundament
Auch der von den Forschern entwickelte "Sex-Bias-Index" basiert methodisch auf der Voraussetzung der Binarität. Er wird berechnet, indem man die mediane Genaktivität zwischen genetisch weiblichen (XX) und genetisch männlichen (XY) Individuen vergleicht. Ohne diese binäre Zuordnung gäbe es überhaupt keine Basis für die Berechnung. Der SBI beschreibt also eine graduelle Differenz innerhalb einer vorgegebenen Zweiteilung, um Varianz zu quantifizieren. Dass die Verteilungen des SBI in manchen Organen überlappen, ist biologisch weder überraschend noch paradox. Solche Überlappungen sind typisch für polygen gesteuerte Merkmale wie etwa Immunreaktionen. Sie belegen, dass phänotypische Dimorphismen statistisch bimodal sind. Das ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass sie ursächlich durch ein binäres Geschlechtssystem strukturiert werden. Graduelle Phänotypvariabilität begründet kein "Spektrum" im Sinne des Geschlechts (siehe dazu auch: Warum "Geschlecht" kein Spektrum ist).
Selbst wenn sich also die Verteilungen geschlechtsspezifischer Genaktivität in vielen Organen überlappen und damit keine eindeutige "diagnostische" Bestimmung des Geschlechts einzelner Individuen erlauben, bleibt der populationsbiologische Befund trotzdem weiterhin binär. Denn selbst innerhalb dieser somatischen Variabilität bilden sich zwei klar erkennbare Cluster männlicher und weiblicher Genaktivitätsmuster, die statistisch voneinander unterscheidbar sind. Die Überlappungen betreffen die Streuung innerhalb der Gruppen, aber nicht das Verschwinden der Gruppen selbst. Die Studie zeigt also – paradoxerweise gerade auf jener Ebene, auf der sie eine "Nicht-Eindeutigkeit" betont – dass die Gesamtverteilung der Daten zwei stabile, reproduzierbare Zentren aufweist, die der binären Geschlechterordnung entsprechen. Damit bestätigen die Ergebnisse letztlich die Zweigeschlechtlichkeit selbst auf der molekularen Ebene, statt sie infrage zu stellen.
Ein weiterer interessanter Punkt zeigt sich in der Verteilungsmorphologie mancher Organe, etwa der Hypophyse (Hirnanhangdrüse). Hier liegen die Mittelwerte männlicher und weiblicher Individuen sehr nah beieinander – die sexuelle Differenz erscheint also auf den ersten Blick gering. Doch die Verteilungsformen selbst unterscheiden sich deutlich, wie Figur 7 der Studie zeigt. Während die weibliche Kurve eine schmale, stark konzentrierte Spitze zeigt, ist die männliche Verteilung breiter und flacher. Das weist darauf hin, dass die Genexpression in der weiblichen Hypophyse stärker stabilisiert und selektiv reguliert ist, während sie bei Männchen offenbar größeren Schwankungen unterliegt – möglicherweise, weil die evolutionäre Bedeutung dieser Regulation dort geringer ist. Mit anderen Worten: Ein ähnlicher Mittelwert bedeutet nicht zwangsläufig biologische Gleichheit. Die unterschiedliche Streuung kann ein Signal funktionaler Asymmetrie sein – etwa, dass die hormonelle Präzision der Hypophyse bei Weibchen evolutiv stärker optimiert wurde, während sie bei Männchen stärker variiert, ohne selektiv "bestraft" zu werden. Solche Unterschiede gehen im numerischen Sex-Bias-Index zwangsläufig verloren, sind aber biologisch hoch aufschlussreich.
Auch methodologisch hat der SBI Grenzen: Die Autoren wählen z. B. ein 1.25-fold-change-Kriterium und eine FDR-Schwelle von 0.1. Bei Veränderungsfaktoren in dieser Größenordnung können schon geringfügige Änderungen der Parameter die Verteilungen deutlich beeinflussen – insbesondere bei Geweben mit geringen Differenzen (z. B. Gehirn). Hier denselben Maßstab anzulegen, wie bei deutlich geschlechtsspezifischen Geweben wie den Gonaden, führt logischerweise zu einer Verzerrung zugunsten einer Nicht-Eindeutigkeit. Der statistische Maßstab nivelliert Unterschiede und erzeugt dadurch Befunde, die methodisch, nicht biologisch bedingt sind. Gerade deshalb sollte man die in schwach dimorphen Geweben beobachteten Überschneidungen als Artefakte der Skalierung interpretieren – nicht als Beleg für eine Auflösung der Geschlechtergrenzen. Der SBI kann außerdem nicht trennen, ob Genexpressionsunterschiede funktional relevant sind oder zufällige Variation darstellen. Wenn daraus "eine Auflösung der Geschlechtergrenzen" abgeleitet wird, wird statistische Variation kausal fehlinterpretiert.
Die biologische Reichweite der Ergebnisse ist ebenfalls begrenzt. Das in der Studie verwendete Konzept des SBI ist methodisch an die Geschlechtsorganisation von Säugetieren gebunden – also an eine Klasse von Wirbeltieren, in der das Geschlecht chromosomal (XX/XY-System) determiniert und hormonell ausgeprägt wird. In vielen anderen Tier- und auch Pflanzenlinien existieren jedoch völlig andere Mechanismen der Geschlechtsbestimmung: von ZW/ZZ- und XO-Systemen über temperaturabhängige Determination bis hin zu zwittrigen Fortpflanzungsformen. Dort wäre ein SBI schlicht nicht anwendbar und doch ist das Geschlecht auch in diesen Systemen klar definierbar. Die Befunde aus der Säugetierforschung lassen sich also nicht verallgemeinern, sondern nur innerhalb dieses spezifischen phylogenetischen Rahmens interpretieren.
Evolutionäre Dynamik bedingt keine Auflösung der Geschlechter
Dass sich "sex-biased" Gene schnell verändern und zwischen Arten oder Individuen umschalten können, ist ein spannendes und wichtiges Ergebnis. Doch auch das betrifft nicht die Existenz von Geschlechtern, sondern die Art, wie die beiden Geschlechter ihre somatischen Systeme evolutionär differenzieren. Der Befund zeigt also Flexibilität innerhalb der Geschlechter, nicht deren Aufhebung. Evolution kann die Ausprägung geschlechtsspezifischer Merkmale verändern, aber das Prinzip, dass es zwei Geschlechter gibt, bleibt davon unberührt.
Man kann die Befunde also als Ausdruck einer evolutionären Feinjustierung der geschlechtlichen Ausprägungen verstehen. Evolution verändert fortlaufend, wie sich männliche und weibliche Organismen um ihre jeweilige gametische Rolle herum organisieren – also welche hormonellen, morphologischen oder molekularen Merkmale mit der Produktion von Spermien oder Eizellen korrelieren. Diese Anpassungen optimieren die Funktionsweise des Geschlechtssystems, ohne dessen Grundstruktur zu verändern. Männliche Organismen – definiert durch die Produktion kleiner, beweglicher Gameten – bleiben also auch dann männlich, wenn sich ihre hormonellen oder genetischen Ausdrucksmuster über Generationen hinweg verändern.
Xie et al. argumentieren, "sex-biased expression" in somatischen Organen evolviere schneller als der entsprechende nicht geschlechtsspezifische Genumsatz und sei damit Ausdruck positiver Selektion. Das ist zwar möglich, aber nicht zwingend. Denn alternativ könnte die hohe Fluktuation auch durch hormonelle Drift, kompensatorische Regulation oder zufällige Netzwerkanpassungen erklärt werden. Die Schlussfolgerung einer positiven Selektion wird aus McDonald-Kreitman-Tests abgeleitet, deren Aussagekraft hier begrenzt ist, weil viele untersuchte Gene nicht direkt fitnessrelevant sind. Das ist kein Fehler, aber eine interpretative Überdehnung, die stärker als Hypothese denn als Befund formuliert werden sollte.
Anthropomorphisierung molekularer Muster
Ein weiterer kritischer Punkt betrifft die sprachliche Rahmung sowohl im Originaltext als auch in der VBIO-Darstellung. Wenn dort etwa formuliert wird, "das Herz eines Mannes könne stärker weiblich geprägt sein als das mancher Frauen", wird eine anthropomorphe Semantik auf rein molekulare Vorgänge übertragen. Gene, Zellen oder Organe sind aber nicht "männlich" oder "weiblich" im eigentlichen biologischen Sinn, sondern zeigen lediglich differenzielle Genaktivität in Abhängigkeit vom genetischen und hormonellen Kontext des Individuums.
Solche Formulierungen sind rhetorisch eingängig, aber biologisch unpräzise – um nicht zu sagen falsch. Sie suggerieren, ein Organ könne eine eigene "Geschlechtsidentität" besitzen. Korrekt wäre zu sagen, dass ein bestimmtes Organ mehr oder weniger stark hormonell oder genetisch beeinflusste Genaktivität zeigt – also funktional differenziert, aber nicht ontologisch "männlich" oder "weiblich" ist. Diese sprachliche Verwischung trägt erheblich dazu bei, dass molekulare Variabilität fälschlich als Auflösung der Geschlechtsbinarität interpretiert wird.
Vernachlässigung der endokrinen Steuerung
Ebenfalls problematisch ist, dass sowohl im VBIO-Artikel als auch in der Primärquelle die hormonelle Steuerungsebene kaum thematisiert wird. Die beobachteten Unterschiede in der Genexpression sind jedoch in hohem Maße sekundäre Effekte hormoneller Regulation. Sexualhormone wie Testosteron, Östrogene und Progesteron wirken über spezifische Rezeptoren in den Zellen und modulieren dort ganze Netzwerke von Genen. Variationen im "Sex-Bias-Index" spiegeln somit meist lokale Unterschiede in Hormonrezeptordichte, Sensitivität oder Zyklusabhängigkeit wider – keine autonome Geschlechtsprägung einzelner Organe.
Wenn diese zentrale endokrine Dimension unberücksichtigt bleibt, entsteht der falsche Eindruck, jedes Organ könne unabhängig vom Gesamtorganismus eine eigene "geschlechtliche Identität" entwickeln.
Fazit
Die Studie von Xie et al. (2025) leistet einen wertvollen Beitrag zur Molekularbiologie geschlechtsspezifischer Variation. Sie zeigt, dass Organe in ihrer Genaktivität kein starres Abbild der Geschlechtschromosomen sind, sondern in unterschiedlichen Graden geschlechtlich geprägt sein können. Das ist ein wichtiger Hinweis für geschlechtsspezifische Medizin, Evolutionsbiologie und Genetik. Doch die Schlussfolgerung, dass das Geschlecht selbst als Spektrum zu verstehen sei, ist biologisch nicht haltbar. Sie beruht auf einer Verwechslung von Ebenen. Die molekulare Variabilität beschreibt Ausdrucksformen des Geschlechts, nicht das Geschlecht selbst.
Oder in einem Satz zusammengefasst: Das Geschlecht ist binär – seine molekularen und phänotypischen Erscheinungsformen sind graduell. Wer diese Ebenen implizit oder explizit vertauscht, begeht einen Kategorienfehler.
Quellen
[1] Chen Xie, Sven Künzel, Diethard Tautz (2025) Fast evolutionary turnover and overlapping variances of sex-biased gene expression patterns defy a simple binary sex classification of somatic tissues eLife 13:RP99602. https://doi.org/10.7554/eLife.99602.4
Transparenzhinweis: Der Autor dieses Beitrags ist Mitglied im VBIO.
Der deutsch-französische, öffentlich-rechtliche Rundfunkveranstalter ARTE hat vor einigen Tagen eine Dokumentation mit dem Titel "Queere Tiere: Mehr als Männchen und Weibchen" auf YouTube veröffentlicht, die bereits am 8. März 2025 erstmals im linearen Fernsehen ausgestrahlt wurde:
Der Film will zeigen, dass die Natur vielfältiger ist, als man (angeblich) lange wahrhaben wollte. Dabei wird eine bunte Palette an Beispielen aus dem Tierreich vorgestellt – von "schwulen" Pinguinen über "lesbische" Makaken bis hin zu sequentiell geschlechtswechselnden Clownfischen. Auf den ersten Blick scheint die Botschaft klar: Die Natur sprengt enge Kategorien. Doch bei näherem Hinsehen wird deutlich, dass hier wissenschaftliche Beobachtungen und identitätspolitische Deutungen nicht immer trennscharf ineinanderfließen.
Sexualverhalten ist nicht Geschlecht
Ein Kernproblem der Dokumentation ist die wiederkehrende Gleichsetzung von Sexualverhalten und einer angeblichen geschlechtlichen Vielfalt. Wenn zwei männliche Löwen eine enge Bindung eingehen oder wenn weibliche Makaken sich bevorzugt mit Artgenossinnen sozialisieren, dann sind das Beispiele für gleichgeschlechtliches Verhalten – nicht für neue Geschlechter und auch nicht für eine exklusive Präferenz vergleichbar mit der menschlichen "Homosexualität" (Homoerotik). Biologisch gesehen bleibt das Geschlecht über die Funktion der Gameten definiert. Wer Spermien produziert, ist Männchen, wer Eizellen produziert, Weibchen. Gleichgeschlechtliche Verhaltensvarianten innerhalb dieser Rahmenbedingungen sind keine eigenen Geschlechter und somit nicht "mehr als Männchen und Weibchen", wie der Titel der Doku suggeriert.
Das lässt sich beispielsweise an den gezeigten Pinguinen im New Yorker Zoo illustrieren. Zwei Männchen ziehen gemeinsam ein Küken groß. Das ist bemerkenswertes Sozialverhalten. Aber beide bleiben biologisch Männchen. Das ausgebrütete Ei stammt mit absoluter Gewissheit von einem weiblichen Individuum und ist demnach ein Heterosex-Produkt, kein Homosex-Produkt.
Geschlechterrollen sind auch keine Geschlechter
Ähnlich problematisch ist die Darstellung von Fortpflanzungsstrategien oder Elternrollen als angebliche "Geschlechtervielfalt". Seepferdchen-Männchen, die den Nachwuchs austragen, werden als "Umkehrung der Geschlechterrollen" beschrieben. Tatsächlich bleibt das Männchen aber seiner biologisch männlichen Funktion treu, denn es produziert weiterhin Spermien.
Auch bei den gezeigten Dickhornschafen oder Tintenfischen werden alternative männliche Verhaltensweisen als "Vielfalt der Geschlechter" verkauft. Dickhornschaf-Männchen können etwa "weibchenähnlich" wirken, weil sie sich weniger aggressiv zeigen, auch von anderen Männchen bestiegen werden und… "hockend urinieren" (sic!). Bei Tintenfischen geben sich wiederum kleine "Sneaker-Männchen" als Weibchen aus, um Konkurrenz zu umgehen. In beiden Fällen handelt es sich biologisch schlicht um Polymorphismen innerhalb des Geschlechts, nicht um zusätzliche Geschlechter abseits von männlich oder weiblich. Wenn sich manche Tintenfisch-Männchen zum Zwecke der Fortpflanzung als Weibchen ausgeben, dann ist diese Strategie schlicht und ergreifend als eine für die betreffende Art typische männliche Geschlechterrolle zu bezeichnen.
Hermaphroditen und Geschlechtswechsel
Anders liegt der Fall bei hermaphroditischen – nicht "intersexuellen" (sic!) – Arten wie Schnecken oder sequentiell geschlechtswechselnden Fischen. Der in der Doku gezeigte Tigerschnegel ist ein simultaner Hermaphrodit. Er ist gleichzeitig funktional männlich und weiblich, kann also sowohl Spermien als auch Eizellen produzieren. Clownfische wiederum wechseln im Laufe ihres Lebens das Geschlecht vom Männchen zum Weibchen ("Transsexualität" im biologischen Sinne). Wenn das dominante Weibchen stirbt, entwickelt – nicht "mutiert" (sic!) – sich ein Männchen zum neuen Weibchen. Solche Phänomene bedeuten nicht, dass es Geschlechter abseits von männlich und weiblich gäbe. Vielmehr handelt es sich um Strategien, die innerhalb des Rahmens von Männchen und Weibchen spielen. Schließlich bedeutet der Fakt, dass es nur zwei Geschlechter gibt, nicht, dass alle sexuell reproduktiven Arten Gonochoristen sind – also die beiden Geschlechter auf verschiedene Individuen verteilen.
In der Doku werden zwei Studien etwas konkreter genannt, was eine kritische Einordnung der Quellen erlaubt. Bei Minute 10:16 heißt es: "2010 wurde in einer Studie über wilde Königspinguine festgestellt, dass sich bei 28 % der Paarbeziehungen zu Beginn der Brutsaison Partner desselben Geschlechts fanden."
Die besagte Studie über Königspinguine bestätigt, dass bei 28,3 % der 53 beobachteten Balzpaare zu Beginn der Brutsaison gleichgeschlechtliches Werbeverhalten dokumentiert wurde [1]. Die Autoren betonen jedoch, dass es sich dabei nicht um stabile gleichgeschlechtliche Partnerschaften handelt, sondern zumeist um Balzrituale besonders aktiver Männchen. Diese "hypersexuellen" Tiere balzen mit vielen Individuen – darunter auch Männchen – und finden dadurch oft schneller ein Weibchen. Die eher zurückhaltenden Männchen, die ausschließlich Weibchen anbalzen, gelangen zwar später zur Paarung, haben dafür aber weniger Fehlversuche. Beide Strategien sind offenbar vorteilhaft, weshalb sie evolutionär beständig sind. Das Ergebnis legt jedoch nahe, dass gleichgeschlechtliche Balz bei Pinguinen weniger Ausdruck einer fixierten "homosexuellen Orientierung" ist, sondern vielmehr ein Nebeneffekt unterschiedlicher Strategien im Konkurrenzkampf um Fortpflanzungschancen.
Bei Minute 47:30 heißt es: "Eine Studie von 2004 ergab, dass mindestens 8 % der Dickhornschafe ausschließlich an anderen Männchen interessiert sind."
Das klingt schon eher nach einer exklusiven Präferenz bezogen auf das Geschlecht, vergleichbar mit der menschlichen Homoerotik. Die Aussage ist jedoch irreführend. Tatsächlich stammt dieser Wert nicht aus Feldstudien an wildlebenden Dickhornschafen (Ovis canadensis), sondern aus Versuchsreihen mit domestizierten Hausschafen (Ovis aries). In diesen Untersuchungen wurde unter kontrollierten Bedingungen festgestellt, dass ungefähr 8 % der Widder eine stabile Präferenz für gleichgeschlechtliche Partner zeigen [2][3]. In den Primärquellen wird zwar auf das polygame Sozial- und Sexualverhalten von Dickhornschafen verwiesen, die exklusive und in der ARTE-Doku quantitativ mit "mindestens 8 %" benannte "Homosexualität" wurde jedoch eindeutig nur bei Hausschafen dokumentiert. Ob dieses Verhalten in freier Wildbahn in gleicher Weise und Quantität vorkommt, ist damit nicht belegt. Zudem muss man bedenken, dass Hausschafe seit Jahrtausenden selektiv gezüchtet werden und ihr Verhalten nicht ohne Weiteres auf Wildpopulationen übertragbar ist. Die ARTE-Doku vermischt hier also Ergebnisse aus der Nutztierforschung mit Aussagen über Wildtiere. Das ist wissenschaftskommunikativ als mindestens problematisch einzuordnen. Davon abgesehen widersprechen Branchenexperten den angeblichen Erkenntnissen aus der Forschung, dass etwa jedes 12. Schaf "schwul" sei [4].
Darwin: Biobösewicht Nr. 1
Auch die Darstellung Charles Darwins in der Dokumentation ist problematisch verkürzt. Ihm wird zugeschrieben, gleichgeschlechtliches Verhalten bei Tieren als "unnatürliche Verbrechen" bezeichnet zu haben. Die Doku zitiert Darwin bei Minute 23:17 mit den Worten "Völlige Zügellosigkeit und unnatürliche Verbrechen herrschen in einem erstaunlichen Ausmaß vor" und bezieht diese Worte auf "queeres" Tierverhalten. Tatsächlich entstammt diese Formulierung Darwins Werk 'The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex' (1871), wo Darwin im kolonial-viktorianischen Sprachgebrauch über Zügellosigkeit in menschlichen Gesellschaften schrieb [5]. Das vollständige Zitat im englischen Original lautet:
"The other so called self-regarding virtues, which do not obviously, though they may really, affect the welfare of the tribe, have never been esteemed by savages, though now highly appreciated by civilised nations. The greatest intemperance is no reproach with savages. Utter licentiousness, and unnatural crimes, prevail to an astounding extent. As soon, however, as marriage, whether polygamous, or monogamous, becomes common, jealousy will lead to the inculcation of female virtue; and this, being honoured, will tend to spread to the unmarried females. How slowly it spreads to the male sex, we see at the present day."
Es ging Darwin hier also nicht um Beobachtungen im Tierreich, sondern um die moralische Gegenüberstellung der Monogamie seiner "zivilisierten" Zeitgenossen und der Polygamie von "wilden" Naturvölkern. Die Übertragung von Gesellschaftsnormen einer Menschenpopulation auf eine andere kann zwar sicherlich ebenfalls kritisch kommentiert werden, aber einer Übertragung von Gesellschaftsnormen auf das Tierreich macht sich Darwin hier nicht schuldig. Dass Darwin Tierverhalten in Geschlechterstereotype presste, ist zwar unbestritten, die Doku aber erweckt den Eindruck, er habe konkret "queere Tiere" pathologisiert. Damit wird ein historisches Zitat aus dem Zusammenhang gelöst und in eine Deutung gepresst, die so nicht zutrifft.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, wie die Doku Darwin als Hinterlasser eines "schwierigen Erbes" präsentiert. Zwar wird hier kein direkter Bezug zu politischen Ideologien hergestellt, doch die Darstellung reiht sich in ein Muster ein, in dem Darwin bisweilen zur Persona non grata erklärt wird. Gerade aus sozialistisch-marxistischen Denktraditionen heraus wurde immer wieder eine Brücke geschlagen zwischen Sozialdarwinismus, nationalsozialistischer Rassenideologie und Darwins Deszendenztheorie – als ob Darwin selbst der geistige Wegbereiter biologischer Ungleichheitslehren gewesen sei. Diese Gleichsetzung ist historisch wie wissenschaftlich verkürzt. Der Sozialdarwinismus entstand erst durch selektive Umdeutungen von Darwins Ideen, nicht durch seine Schriften selbst.
Die dekontextualisierte Darstellung Darwins in der Dokumentation wirkt daher fast schon wie eine kafkaeske Dog Whistle für Sozialisten nach dem Motto: "Schau an, der böse Darwin mal wieder. Alerta!"
Naturalistische Fehlschlüsse
Immer wieder unterlaufen der Dokumentation naturalistische Fehlschlüsse. Aus dem, was in der Natur beobachtet wird, wird ein "Sollen" für den Menschen abgeleitet. Formulierungen wie "Die Natur ist zutiefst tolerant" oder "Mutter Natur muss ziemlich aufgeschlossen gewesen sein" transportieren implizite moralische Botschaften, die über die reine Biologie hinausgehen. Bonobos etwa vollziehen erotische Handlungen in nahezu allen denkbaren Kombinationen – zur Konfliktlösung, zur Versöhnung oder einfach zum Spaß. Das ist ein faszinierendes Beispiel für soziales Verhalten. Aber wenn daraus abgeleitet wird, dass auch Menschen "vielleicht mehr Sex haben sollten, um friedlicher zu sein", verlässt man den Boden der Biologie und betritt das Feld der Moral. Das ist ein naturalistischer Fehlschluss, von denen die ARTE-Doku so einige liefert.
Allerdings bleibt sie dabei inkonsequent. Denn in der Doku werden ausschließlich Verhaltensweisen thematisiert, die sich positiv in aktuelle identitätspolitische Narrative einfügen lassen – etwa gleichgeschlechtliche Bindungen, Geschlechtswechsel oder fürsorgliche Männchen. Unbequeme Aspekte tierischem Sexualverhaltens wie etwa erzwungene Kopulationen im Allgemeinen und mit noch nicht geschlechtsreifer Jungtieren im Speziellen (beobachtet u. a. bei Orang-Utans [6]) oder gleichgeschlechtliche Kopulationen mit bereits verstorbenen Artgenossen (etwa beobachtet bei Erpeln [7]) bleiben dagegen unerwähnt. Damit verfällt die Doku in das gleiche Muster, das sie historischen Forschern vorwirft. Erkenntnisse aus dem Tierreich werden tabuisiert, sobald sie nicht ins gewünschte Bild passen (siehe dazu auch "Natürliche Normen" – Zwei Seiten derselben Medaille). Wer aber die Natur ideologiefrei darstellen will, müsste auch ihre Schattenseiten thematisieren.
Und warum werden keine naheliegenden Parallelen insinuiert? Wenn kleine Tintenfischmännchen sich als Weibchen tarnen, um Zugang zu Paarungschancen zu erschleichen, warum wird dann nicht die Frage gestellt, ob es im menschlichen Kontext ähnlich gelagerte Phänomene gibt – etwa Männer, die sich als Frauen identifizieren, um Vorteile durch Quotenregelungen oder Zugang zu Schutzräumen zu erlangen? Oder das Konzept des "Transmaxxing", bei dem sozial isolierte Männer die Geschlechterrolle wechseln, um sich neue Möglichkeiten zu verschaffen? Solche Vergleiche wären selbstverständlich ebenfalls naturalistische Fehlschlüsse, doch wieso blendet die Doku gerade diese Analogien aus, während sie andere, ideologisch genehme Übertragungen sehr deutlich kommuniziert?
Strohmann-Argumente und Anthropomorphismus
Ein weiterer problematischer Aspekt der Dokumentation ist die unterschwellige Konstruktion eines Strohmanns. Es wird suggeriert, irgendwelche rückständigen Stimmen würden behaupten, es gäbe nur zwei Geschlechtsausprägungen, nur zwei starre Geschlechterrollen und keinerlei Variation im Sexualverhalten. Eine solche absolute Leugnung von Vielfalt vertritt jedoch kaum jemand. Die eigentliche Kritik richtet sich vielmehr darauf, dass die beobachtete Bandbreite an Verhaltensweisen und Rollen nicht gleichbedeutend mit einer Vielfalt an Geschlechtern ist, welche von Soziologen aus dem Bereich der Gender Studies regelmäßig postuliert wird, um mit diesem Kniff gesellschaftliche Normen zu "dekonstruieren" (zerstören). Hinzu kommt die anthropomorphe Sprache. Wenn von "queerer Liebe" bei Tieren die Rede ist, werden menschliche Kategorien und Emotionen auf Tiere projiziert, die kognitiv und emotional gänzlich anders veranlagt sind. Menschen sind zwar ebenfalls Teil des Tierreichs, aber gerade in ihrem komplexen Gefühlsleben nicht mit Clownfischen oder Schnecken gleichzusetzen.
Der durchgängige Anthropomorphismus ist ein zentrales Problem der Doku. Den Tieren werden menschliche Geschlechterrollen unterstellt, die sie dann scheinbar "aufbrechen". So heißt es etwa unterschwellig, dass "normalerweise" Weibchen die Jungen austrügen oder Männchen die dominanten Anführer seien, nur um dann bei Seepferdchen oder Tüpfelhyänen zu zeigen, wie sehr die Natur diese Stereotype konterkariert. Tatsächlich ist es aber schlicht die "normale" männliche Rolle eines männlichen Seepferdchens, den Nachwuchs im Brutbeutel auszutragen. Hier wird nichts "gebrochen", sondern lediglich ein menschliches Rollenschema fälschlich auf ein Tier übertragen. Man könnte sich im Gedankenexperiment auch umgekehrt fragen, wie eine Seepferdchen-Doku über den Menschen aussähe. Sie würde wohl staunend berichten, dass es bei Homo sapiens "sonderbarerweise" die Weibchen sind, die den Nachwuchs austragen – fast so, als ob sie damit die eigenen seepferdtypischen Normen aufbrechen würden.
Äußerst fragwürdig ist die wiederholte Zuschreibung von sogenannter "Pansexualität". Der Begriff bezeichnet in menschlichen Gesellschaften eine identitätsbezogene Präferenz, die in bewusster Abgrenzung zur "Bisexualität" (Ambiphilie) auch sogenannte "nicht-binäre" Geschlechtsidentitäten einbezieht. Dieses Konzept auf Tierarten anzuwenden, die eindeutig zweigeschlechtlich organisiert sind, ist milde ausgedrückt absurd! Ein Bonobo, der mit Männchen wie Weibchen kopuliert, ist – wenn man schon einen solchen Begriff verwenden möchte – "bisexuell" im Verhaltensmuster. Er verhält sich nicht "pansexuell". Die Verwendung solcher Begriffe zeugt von einer ideologischen Aufladung und trägt nicht zur biologischen Aufklärung bei. Andererseits… wenn ausgerechnet Bonobos als Paradebeispiel herhalten müssen, hat das immerhin eine ironische Pointe, denn sie gehören zur Gattung Pan,womit sie in einem ganz anderen Sinn dann doch wieder "pansexuell" sind.
Fazit
Die dokumentierten Verhaltensweisen sind spannend und zeigen, wie flexibel Fortpflanzung und Sozialverhalten in der Natur sein können. Gleichgeschlechtliches Verhalten ist eine natürliche Spielart, die vor allem bei Arten mit einem hochentwickelten Sozialverhalten nicht selten ist und deshalb selbstverständlich auch bei Homo sapiens keine Unnatürlichkeit darstellt. Doch gerade eine wissenschaftlich-seriöse Auseinandersetzung sollte vermeiden, Kategorien durcheinanderzuwirbeln. Sexualverhalten, Geschlechterrollen, Geschlechtsmorphotypen und Geschlechter sind verschiedene Ebenen, die man nicht einfach vermengen darf. Wer die Vielfalt der Natur wirklich würdigen will, sollte präzise bleiben und gerade dadurch zeigen, dass man auch ohne identitätspolitische Überfrachtung fasziniert sein kann.
Eine letzte Bemerkung verdienen die beteiligten Wissenschaftler: Am Ende der Dokumentation outen sich mehrere von ihnen selbst als "queer". Das ist selbstverständlich ihr gutes Recht und für den wissenschaftlichen Gehalt der Dokumentation irrelevant. Doch in einer Doku, die stark mit identitätspolitischen Deutungen arbeitet, bleibt dieser dramaturgische Kniff nicht ohne Wirkung. Es ist nachvollziehbar, dass Forscher, die sich selbst als "queer" verstehen, ein besonderes Interesse an ähnlichen Phänomenen im Tierreich entwickeln. Doch die Häufung naturalistischer Fehlschlüsse und Anthropomorphismen in der hier diskutierten Dokumentation legen nahe, dass die Präsentation weniger von nüchterner Zoologie als von einer identitätspolitischen Brille der Beteiligten geprägt wurde.
[2] Charles E. Roselli, Kay Larkin, John A. Resko, John N. Stellflug, Fred Stormshak, The Volume of a Sexually Dimorphic Nucleus in the Ovine Medial Preoptic Area/Anterior Hypothalamus Varies with Sexual Partner Preference, Endocrinology, Volume 145, Issue 2, 1 February 2004, Pages 478–483, https://doi.org/10.1210/en.2003-1098
[3] Charles E. Roselli, Fred Stormshak, The neurobiology of sexual partner preferences in rams, Hormones and Behavior, Volume 55, Issue 5, 2009, Pages 611-620, ISSN 0018-506X, https://doi.org/10.1016/j.yhbeh.2009.03.013.
[6] Muller, M. N., & Wrangham, R. W. (2009). Sexual coercion in primates and humans: An evolutionary perspective on male aggression against females. Harvard University Press.
Der Antrag der AfD-Fraktion fordert im Kern, das seit November 2024 geltende SBGG aufzuheben. Begründet wird dies mit fehlenden Schutzmechanismen für Kinder, Jugendliche, Frauen und Menschen mit psychischen Vorerkrankungen. Die Fraktion kritisiert insbesondere, dass das Gesetz den Geschlechtseintrag bereits ab 14 Jahren ohne Gutachten oder verpflichtende Beratung ändern lässt, wodurch schwerwiegende und möglicherweise irreversible Weichen für spätere medizinische Eingriffe gestellt würden. Zudem würden frauenspezifische Schutzräume wie Frauenhäuser oder Umkleiden gefährdet, wenn der Zugang allein auf Selbstauskunft basiere. Auch im Frauensport entstünden laut Antrag Wettbewerbsverzerrungen.
Die AfD fordert daher drei zentrale Maßnahmen:
Unverzügliche Aufhebung des SBGG.
Schaffung einer Übergangsregelung, die Schutzmechanismen für Minderjährige, psychisch vorbelastete Menschen und Frauen sicherstellt.
Vorlage einer neuen gesetzlichen Regelung, die evidenzbasiert, verfassungskonform und am Schutz von Frauen, Kindern und Jugendlichen orientiert ist
Der AfD-Antrag wurde zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend überwiesen.
Einordnung
Eine naturwissenschaftlich orientierte Betrachtung der Geschlechtsentwicklung macht deutlich, dass das biologische Geschlecht klar zwischen männlich und weiblich differenziert ist, zugleich aber auch Varianzen in seiner jeweiligen Ausprägung kennt – etwa im Bereich der sogenannten "Intersexualität". Jede politische Regelung sollte diese Realität abbilden und sowohl die biologische Grundlage als auch die natürlichen Varianten anerkennen.
Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist jedoch besondere Vorsicht geboten. Entwicklungsphasen, hormonelle Umstellungen und psychische Krisen können das Erleben von Geschlecht erheblich beeinflussen. Ein rein administrativer Wechsel des Geschlechtseintrags ohne fachliche Begleitung wird dieser Lage nicht gerecht. Sinnvoll ist vielmehr eine Lösung, die Beratung, psychologische Unterstützung und wissenschaftlich begleitete Evaluation vorsieht. Auf diese Weise kann vermieden werden, dass kurzfristige Entscheidungen langfristige Folgen nach sich ziehen, während gleichzeitig das Recht junger Menschen auf Selbstbestimmung gewahrt bleibt.
Aus medizinischer Sicht handelt es sich bei der intrinsischen Geschlechtsdysphorie um ein multifaktorielles Phänomen, bei dem primär neurobiologische, aber auch psychische und soziale Komponenten zusammenwirken. Für Betroffene ist deshalb eine differenzierte Diagnostik und ein individuell zugeschnittenes Unterstützungsangebot notwendig. Ein Gesetz, das allein auf Selbstauskunft basiert, bleibt hinter diesen Erfordernissen zurück und ignoriert, dass der innerliche Leidensdruck von Betroffenen gar nicht aus ihrem Geschlechtseintrag resultiert, sondern aus einer Diskrepanz zwischen ihres inneren Geschlechtsempfindens und ihren körperlichen Geschlechtsmerkmalen.
Die AfD differenziert in ihrem Antrag durchaus zwischen dieser innerlichen Geschlechtsinkongruenz und extrinsisch verursachten Identitätskrisen, die in der von uns unterstützten Hypothese der Rapid-Onset Gender Dysphoria (ROGD) formuliert werden:
"In der Vergangenheit waren es vor allem wenige erwachsene Männer, die an Geschlechtsdysphorie litten. In den letzten Jahrzehnten hat die Anzahl derer, die an Geschlechtsdysphorie leiden, jedoch drastisch zugenommen. Es sind immer häufiger Minderjährige - vor allem Mädchen - betroffen. Vor allem in der Pubertät bietet die Selbstdiagnose „Transidentität“ eine Flucht vor Problemen im Kontext des Erwachsenwerdens, aber auch in späteren Lebensaltern wird die Selbstdiagnose zunehmend zur Bewältigung von Lebenskrisen verwendet."
Die von der AfD aufgeworfenen Fragen des Frauenschutzes und der Fairness im Sport verdienen ebenfalls besondere Beachtung. Frauenhäuser, Umkleiden und vergleichbare Schutzräume dienen dem Rückzug und der Sicherheit von Frauen. Diese Funktion darf durch rechtliche Unklarheiten nicht untergraben werden. Wir sehen diese Zielkonflikte darüber hinaus auch bei Schutzräume von homoerotisch veranlagter Personen gegeben. Schwule sind ebenfalls eine vulnerable Gruppe, deren Safe Spaces geschlechtsexklusiv bleiben sollten. Darüber hinaus ist auch im Sport die von der AfD thematisierte biologische Leistungsdifferenz zwischen Männern und Frauen gut dokumentiert, was sportartspezifische Regeln für transidente Athleten erfordert. Eine empirisch gestützte Ausgestaltung dieser Bereiche kann Spannungen vermeiden und den Schutz von Frauen wahren, ohne pauschal auszugrenzen.
Einen aus unserer Sicht in der Debatte äußerst wichtigen Hinweis formuliert die der AfD-Fraktion in ihrem Antrag folgendermaßen:
"Derzeit werden nicht-affirmative psychotherapeutische Behandlungsansätze kaum gefördert, was der offenen wissenschaftlichen Diskussion widerspricht. Forschung zur Ursachenvielfalt von Geschlechtsdysphorie und zu alternativen Hilfeansätzen wird durch die Prämisse, Geschlecht sei ausschließlich selbst festzustellen, erschwert."
Diese Einschätzung teilen wir uneingeschränkt!
Fazit
Der Antrag der AfD-Fraktion kritisiert das Selbstbestimmungsgesetz und fordert dessen Aufhebung mit dem Ziel, eine neue, evidenzbasierte und verfassungskonforme Regelung vorzulegen. Damit wird zwar die Notwendigkeit einer Neuregelung anerkannt, jedoch bleibt unklar, wie diese im Detail ausgestaltet sein soll. Mutmaßlich hält die Partei an ihren Positionen fest, die sie in ihrem Antrag "Transsexuellengesetz erhalten und den Schutz von Menschen mit Geschlechtsdysphorie verbessern" (Drs. 20/8203) formuliert hat, welchen wir weitestgehend unterstützen.
Aus unserer Sicht sollte die politische Antwort auf das SBGG in einer evidenzbasierten Weiterentwicklung liegen. Teure Verfahren und gerichtliche Gutachten, wie sie das Transsexuellengesetz (TSG) vorsah, halten wir für verzichtbar. Notwendig sind unserer Einschätzung nach eine verpflichtende Beratung vor Geschlechtseintragsänderungen, Standards zum Schutz Minderjähriger, die klare Absicherung geschlechtsspezifischer Räume durch den Gesetzgeber und ein sportpolitischer Rahmen, der Fairness gewährleistet. Ferner sollte die wissenschaftliche Begleitforschung gestärkt werden. Auf diese Weise kann ein ausgewogenes Gesetz entstehen, das biologische Realitäten, den Schutz vulnerabler Gruppen und die Rechte von Menschen mit Geschlechtsdysphorie in Einklang bringt.
Die Einführung von Unisex-Toiletten wird von vielen Seiten als Fortschritt in Richtung Vielfalt und Toleranz gefeiert. Eine Grundschule im nordrhein-westfälischen Neuss geht nun diesen Schritt, um "auf Kinder vorbereitet zu sein, die sich als anderes Geschlecht identifizieren" – ein Signal, das weit über die reine Bauentscheidung hinausweist. Doch während Befürworter das Konzept als zeitgemäß und inklusiv betrachten, wirft es aus naturwissenschaftlicher und entwicklungspsychologischer Sicht kritische Fragen auf. Insbesondere die Begründungen, die seitens der Schule und ihrer Unterstützer angeführt werden, stehen im Spannungsfeld zwischen pragmatischer Organisation, biologischen Realitäten und ideologischen Deutungsmustern.
Hintergrund
Die Karl-Kreiner-Grundschule in Neuss (NRW) setzt als erste Grundschule der Stadt vollständig auf Unisex-Toiletten. Im Neubau, der nach über 20 Jahren Pavillon-Unterricht im Sommer 2025 eröffnet wurde, sind die sanitären Anlagen nicht mehr nach Geschlechtern getrennt. Auf den Türen steht lediglich "WC Kinder". Schulleiterin Dorothee Mühle, die das Konzept initiiert hat, nennt mehrere Gründe. Zum einen erleichterte es die Planung, da alle Toiletten identisch ausgestattet sind und auf Urinale verzichtet werden konnte. Zum anderen will die Schule damit auf eine veränderte Lebensrealität reagieren und Kinder berücksichtigen, die sich nicht eindeutig mit "männlich" oder "weiblich" identifizieren. Als christliche Bekenntnisschule sei es ihr wichtig, jeden Menschen so anzunehmen, wie er ist.
Eine städtische Vorgabe für geschlechtsneutrale Toiletten gebe es nicht, die Entscheidung lag bei der Schule. Von den Schülern sowie den Eltern werde das Konzept positiv angenommen. Unterstützung erhält die Schule zudem vom Neusser Gleichstellungsbeirat, dessen Vorsitzende sich wünscht, dass dieses Modell auch an anderen Schulen umgesetzt werde. Auch an anderen Schulen in Neuss gibt es bereits vergleichbare Ansätze. So bietet die Janusz-Korczak-Gesamtschule seit ihrer Sanierung zusätzlich zu getrenntgeschlechtlichen WCs auch Toiletten für Kinder, die sich als "divers" identifizieren.
Kritische Einordnung im Lichte der Biologie
Aus atheistisch-naturalistischer Perspektive ist die Entscheidung der Karl-Kreiner-Schule ambivalent zu bewerten. Zwar sind Unisex-Toiletten technisch gewiss unproblematisch umsetzbar und organisatorisch in manchen Fällen sogar praktisch, doch die inhaltliche Begründung wirft Fragen auf. Tatsächlich ist die Zahl der Kinder, die eine phänotypische "Intersex"-Variante aufweisen, extrem gering. Wissenschaftlich belegt liegt die Prävalenz bei etwa 0,018 Prozent – also weniger als zwei von zehntausend Neugeborenen [1]. Diese biologische Realität macht deutlich, dass der Bedarf an einer vollständigen Umgestaltung der Schulinfrastruktur aufgrund körperlich-medizinischer Besonderheiten kaum gegeben ist.
Entscheidend für die Schule ist somit vielmehr die bloße subjektive Selbstidentifikation als "andersgeschlechtlich". Davon abgesehen, dass sich selbst nur rund 1 Prozent der sogenannten "Intersexuellen" außerhalb der binären Geschlechterordnung einordnet [2], ist Selbstwahrnehmung kein naturwissenschaftlich belastbarer Grund, um ein gesamtgesellschaftliches Normsystem umzustellen. Wer auf biologische Fakten abstellt, muss feststellen, dass die überwältigende Mehrheit der Kinder entweder eindeutig weiblich oder eindeutig männlich ist.
Darüber hinaus lässt sich aus entwicklungspsychologischer Perspektive anführen, dass eine geschlechtliche Trennung in bestimmten Kontexten sinnvoll sein kann. Arbeiten wie die von Eleanor Maccoby (1998) zeigen, dass Kinder im Grundschulalter eine ausgeprägte Phase geschlechtlicher Segregation durchlaufen [3]. Mädchen und Jungen suchen bewusst den Umgang mit Gleichgeschlechtlichen, um Rollenbilder und soziale Kompetenzen zu erproben. Forschungen von Martin & Ruble (2010) verdeutlichen zudem, dass in Phasen erhöhter Körperwahrnehmung und Schamgefühl – insbesondere im Übergang zur Pubertät – klare geschlechtsspezifische Räume zur Stabilisierung beitragen können [4]. In diesem Licht betrachtet, sind getrennte Toiletten nicht Ausdruck von Diskriminierung, sondern ein entwicklungsförderlicher Schutzraum.
Nicht zuletzt werfen konkrete Sicherheitsvorfälle an der besagten Karl-Kreiner-Schule im Mai 2025 zusätzliche Fragen auf. Drei Mädchen hatten in einer Außen-Toilette einen fremden Mann in einer Kabine bemerkt, der wenig später von der Polizei festgenommen wurde. Die Schulleitung reagierte umgehend, das Notfallsystem funktionierte nach Angaben der Schulleitung "sehr gut". Dennoch zeigt der Vorfall, dass Unisex-Toiletten potenziell zusätzliche Risiken bergen. Während getrennte Toiletten – wie der Vorfall zeigt – zwar ebenfalls keine absolute Sicherheitsgarantie bieten, ermöglichen sie zumindest eine klarere Struktur und können für Kinder sowie Personal eine niedrigere Schwelle darstellen, verdächtige Situationen zu erkennen und frühzeitig einzugreifen.
Religion trifft auf Neoreligion
Dass sich eine christliche Bekenntnisschule, die sich erwartungsgemäß eigentlich auf religiöse Tradition und Werte wie das biblische Mann-Frau-Konzept stützen sollte, bereitwillig den Denkfiguren des Genderismus anschließt, erscheint uns trotz unserer atheistischen Distanz zu religiösen Mythen fragwürdig. Die Gender-Ideologie entwickelt sich zunehmend zu einer modernen Ersatzreligion, die "Geschlecht" als rein innerliches Glaubensbekenntnis deutet und von ihren Anhängern eine ähnliche Form der Loyalität und Affirmation einfordert, wie man sie aus religiösen Kontexten kennt. Dass eine christliche Institution diese Konzepte aufnimmt, liegt möglicherweise daran, dass beide Systeme geistesverwandt sind. Sie operieren beide mit Glaubensannahmen, die empirisch kaum überprüfbar sind, fordern gesellschaftliche Anpassung und beanspruchen moralische Überlegenheit. Hier entsteht der Eindruck, dass die Schule weniger einer naturwissenschaftlichen Realität verpflichtet ist, sondern vielmehr zwei Glaubenswelten miteinander verschmilzt: das traditionelle Christentum und den modernen Genderismus.
Fazit
Unisex-Toiletten können im Einzelfall eine pragmatische Lösung sein, vor allem wenn sie baulich oder organisatorisch Vorteile bringen. Doch sie sind keineswegs durch biologische oder entwicklungspsychologische Notwendigkeiten geboten. Die extrem niedrige Prävalenz echter "Intersex"-Varianten reicht nicht aus, um eine grundlegende Neuordnung sanitärer Infrastrukturen zu rechtfertigen. Die bloße Selbstidentifikation darf ferner nicht an die Stelle wissenschaftlich fundierter Argumente treten. Hinzu kommt, dass die Übernahme von Konzepten aus dem Genderismus durch eine christliche Schule eine merkwürdige Allianz zweier Glaubenssysteme offenbart.
Statt Schulen zu Orten ideologischer Symbolpolitik zu machen, sollte das Ziel sein, Kindern funktionale, entwicklungsförderliche und vor allem sichere Räume zu bieten. Nur so lässt sich verhindern, dass Schulen zu Spielfeldern kulturpolitischer Auseinandersetzungen werden, statt Kinder auf das Leben in einer an Fakten und Vernunft orientierten Welt vorzubereiten.
Quellen
[1] Sax, L. (2002). How common is lntersex? A response to Anne Fausto‐Sterling. The Journal of Sex Research, 39(3), 174–178. https://doi.org/10.1080/00224490209552139
[2] Baudewijntje P.C. Kreukels, Birgit Köhler, Anna Nordenström, Robert Roehle, Ute Thyen, Claire Bouvattier, Annelou L.C. de Vries, Peggy T. Cohen-Kettenis, on behalf of the dsd-LIFE group, Gender Dysphoria and Gender Change in Disorders of Sex Development/Intersex Conditions: Results From the dsd-LIFE Study, The Journal of Sexual Medicine, Volume 15, Issue 5, May 2018, Pages 777–785, https://doi.org/10.1016/j.jsxm.2018.02.021
[3] Maccoby, E. E. (1998). The two sexes: Growing up apart, coming together. Belknap Press/Harvard University Press.